Kontrolliertes Füttern von Tauben ist aktive Bestandsregulierung

  1. Startseite
  2. Bayern
  3. Augsburg & Schwaben
  4. Kurier Memmingen

KommentareDrucken

Regelmäßige Patienten für das Team der Stadttauben Memmingen sind Taubenküken, die von ihren Eltern nicht mehr versorgt werden können und auf Nahrungssuche aus den Nestern gefallen sind. Sie werden per Hand aufgezogen. © privat

Seit Herbst 2023 gibt es den Verein Stadttauben Memmingen e.V. Gegründet wurde er von Sarah Riester und sechs weiteren Tierfreunden.

Memmingen – Im Gespräch mit dem Memminger KURIER erzählt Riester, wie es zu der Vereinsgründung kam, was Tauben besonders macht und warum ein artgerechter Umgang mit ihnen den Geldbeutel schont.

Frau Riester, warum haben Sie sich entschlossen, den Verein Stadttauben Memmingen zu gründen?

Sarah Riester: Die Vereinsgründung entstand, weil sich in den letzten Jahren in Sachen Taubenmanagement in der Stadt Memmingen nichts getan hat. 2019 wurde das umfassende Fütterungsverbot erlassen. Aber so ein Verbot ist nur wirksam, wenn es betreute Taubenschläge gibt. Ansonsten ist das ein gezieltes Aushungern. Im August und September 2023 lagen im Stadtgebiet vermehrt tote, verhungerte Tauben. Ein Körper wog noch 173 Gramm. Eine adulte Stadttaube sollte zwischen 320 und 380 Gramm wiegen. Aus dieser Situation entstand bei mir in einer Art Kurzschlussreaktion der Gedanke: „Wenn keiner was tut, mache ich es selbst.“ Ich fand schnell „Verbündete“, zum Beispiel im Bekanntenkreis oder über Social Media. So entstand der Verein mit heute 15 Mitgliedern.

Wie haben Sie sich das Wissen zu Tauben angeeignet?

Zum einen habe ich viel Eigenrecherche betrieben, vor allem im Internet. Zum anderen gibt es in ganz Deutschland mittlerweile Taubenschutzvereine und private Päppler, bei denen man sich informieren und mit denen man sich austauschen kann. Tierärzte sind hingegen nicht immer Ansprechpartner. Es muss ein Tierarzt sein, der sich mit Vögeln auskennt. Leider gibt es in Memmingen und der näheren Umgebung keinen. Benötigen wir tierärztlichen Rat, müssen wir bis Lindau oder Landsberg fahren.

In erster Linie kümmern aber Sie sich um die Tiere?

Die meisten Tauben päppeln wir selber. Drei Tiere mussten wir bisher zum Tierarzt bringen. Einem konnten wir durch zwei Not-OPs das Leben retten, die anderen beiden waren so abgemagert, dass leider jede Hilfe zu spät kam.

Wenn ich eine verletzte Taube in Memmingen sehe, was soll ich tun?

Bitte beherzt zugreifen und mitnehmen, egal wie. Eine Taube, die sich nicht rührt, wenn man sich ihr nähert, ist grundsätzlich am Ende ihrer Kräfte. Schnelles Eingreifen ist auch nötig, wenn man sieht, dass das Tier blutet. Tauben haben nur wenige Milliliter Blut. Versorgt man sie in so einem Fall nicht, sterben sie.

Muss ich Angst vor Krankheitserregern haben oder dass das Tier mich beißt?

Nein, das muss ich nicht. Die Tiere randalieren nicht. Und der Mythos der Tauben als „Ratten der Lüfte“ ist falsch. Tauben haben keine Krankheiten oder Parasiten, die sie zu einer akuten Gefahr für den Menschen machen. Darum bitte keine Angst haben, Ihnen kann nichts passieren. Bitte nehmen Sie im Notfall die Taube mit, zum Beispiel in einem Stoffbeutel, stellen sie ins Warme und informieren uns. Wir geben weitere Tipps und kümmern uns darum, dass jemand aus unserem Team das Tier für die weitere Versorgung abholt.

Wie finanziert Ihr Verein sich?

Der Verein finanziert sich zum einen über Mitgliedsbeiträge. Die Mitgliedschaft kostet bei uns mindestens 45 Euro pro Jahr. Zum anderen finanzieren wir uns über Spendengelder. Als eingetragener und anerkannter gemeinnützlicher Verein dürfen wir auch Spendenquittungen ausstellen.

Haben Sie neben der aktiven Tierrettung weitere Aufgaben, die Sie als Verein angehen?

Wir beraten Unternehmen aus Memmingen und dem Unterallgäu, wenn sie uns bei einem „Taubenproblem“ um Unterstützung bitten. Zum Beispiel hatten wir Fälle, bei denen Mitarbeiter mehrere noch flugunfähige Tiere, die aus dem Nest gefallen waren, auf dem Parkplatz aufsammelten. Werden wir um Hilfe gebeten, schauen wir uns die Situation vor Ort an oder lassen uns Bilder schicken. Im nächsten Schritt nehmen wir eine Schätzung vor, wie viele Tiere es auf dem Gelände sind. Dann gehen wir anhand des „Augsburger Modells“ vor und beraten die Firmen, zeigen die Vorteile eines betreuten Schlags auf und geben Tipps, wo der sein könnte.

Was ist das „Augsburger Modell“?

Das „Augsburger Modell“ ist ein in den 1990ern in Augsburg entwickeltes Taubenmanagementkonzept, das auf eine tierschutzgerechte Kontrolle der Geburten und damit der Taubenpopulation setzt. Grundgedanke ist, die Eier der Tiere durch Attrappen zu ersetzen. Dafür setzt man auf Taubenschläge und betreutes Füttern. Taubenschläge können beispielsweise auf einem Dachboden oder in einem alten Bauwagen sein. Die Tiere können leicht reinkommen und finden artgerechtes Futter sowie ausreichend sauberes Trinkwasser vor. Das führt dazu, dass ihr Kot nicht flüssig und säurehaltig ist, sondern fest und zu 90 Prozent im Taubenschlag bleibt. So kann er einfach entsorgt werden, ohne dass die Stadt verschmutzt wird.

Das „Problem“ des Taubenkots, für viele ein Ärgernis, ließe sich also eindämmen?

Wenn die Tiere betreut und artgerecht gefüttert werden, ja. Das, was wir alle kennen und an den Fassaden runterläuft, ist ein dauerhafter Durchfall, der sogenannte Hungerkot. Es ist wie beim Menschen – wenn wir uns nicht richtig ernähren, werden wir krank.

Was ist eine artgerechte Fütterung für eine Taube?

Tauben sind reine Körnerfresser. Außerdem fressen sie gerne Hülsenfrüchte und Sojabohnen. Brot oder Haferflocken hingegen machen Tauben krank. Viele wissen das auch nicht, aber kontrolliertes Füttern von Tauben, auch außerhalb eines betreuten Schlags, ist zusätzlich eine aktive Bestandsregulierung.

Wieso?

Tauben – und das macht für mich den heutigen Umgang mit ihnen noch fragwürdiger – sind vom Menschen domestizierte Tiere. Es sind treue Tiere (genau diese Treue hat die Tauben viele Jahrhunderte hinweg so nützlich gemacht). Taubenpaare bleiben zum Beispiel ihr Leben lang zusammen. Menschen haben sie für die Nutzung gezüchtet sowie wegen ihres Fleisches und ihrer Eier. Als sie von anderen Tieren verdrängt wurden, hat der Mensch sie, platt gesprochen, auf die Straße geschmissen und sich selbst überlassen. Eine Folge dieser Domestizierung ist, dass Tauben ganzjährig brüten. Tauben, die betreut und artgerecht gefüttert werden, brüten in zwölf Monaten circa zwei- bis dreimal. Tauben, die jeden Tag auf Nahrungssuche gehen müssen und dabei dem totalen Stress, etwa zwischen den Menschenbeinen, ausgesetzt sind und dennoch kein artgerechtes Futter finden können, haben ein erhöhtes Brutverhalten. Sie brüten etwa sechs- bis achtmal pro Jahr. Die Anzahl der Küken bleibt gleich, es sind immer zwei.

Noch einmal zurück zu Ihren Beratungen der Firmen und dem betreuten Taubenschlag. So viele Vorteile das bringen könnte, kostet ein betreuter Schlag sicherlich eine Menge Geld?

Es fallen Kosten an, das stimmt. Vergleicht man aber die Einmalkosten und die anfallenden Futterkosten mit dem, was die Reinigung der Gebäudefassaden kostet, lohnt sich der Schlag.

Wie viel kostet ein Taubenschlag?

Das kommt auf die Größe an. Pro Taubenpaar, wie schon gesagt, die Tiere sind sich ein Leben lang treu, braucht man einen Nistplatz sowie Futter- und Wasserfläche. Das sind pro Taube 0,3 oder 0,4 Quadratmeter. Eine genaue Zahl kann ich darum nicht nennen.

Kostet Ihre Beratung die Firmen etwas?

Nein, unsere Beratung kostet die Firmen nichts. Unser wichtigstes Anliegen ist es, das Leid der Tiere größtmöglich zu reduzieren.

Wie viele Firmen haben Sie bereits beraten?

Wir haben bisher drei Firmen beraten. Zwei möchten einen betreuten Taubenschlag umsetzen. Der Eigentümer der dritten Firma möchte alle Tiere erschießen. In dem Fall blieb uns nur die Anzeige beim Veterinäramt. Außerdem beraten wir auch Privatleute, seit Oktober 2023 bereits mehr als 20 Haushalte.

Ist die Stadt Memmingen offen für Ihre Ideen?

In der Vergangenheit, siehe das Beispiel des Fütterungsverbots 2019, war sie es nicht. Wir hatten zuletzt aber ein gutes Gespräch mit unserem neuen Oberbürgermeister Jan Rothenbacher und dem Dritten Bürgermeister Dr. Hans-Martin Steiger. Beide sind interessiert an betreuten Taubenschlägen im Stadtgebiet. Das Bauamt prüft derzeit, welche Gebäude dafür infrage kommen könnten. Offen ist die Frage der Finanzierung. Wir als Verein können die Betreuung der Schläge, nicht aber die Kosten für die Errichtung übernehmen. Trotzdem bin ich optimistisch, dass wir 2024 den ersten betreuten Taubenschlag im Stadtgebiet umsetzen können und auch in Memmingen endlich eine tierschutzgerechte Lösung für die Stadttauben ohne Tierleid zu finden. Uns ist es wichtig, dass es den Tauben gut geht, sie sollen aber auch nicht mehr werden. Das geht nur mit betreuten Schlägen, um die Eier tauschen zu können.

Frau Riester, vielen Dank für das Gespräch.

Stadttauben Memmingen e.V.

NOTFALL-Meldung über WhatsApp: +49 8331/6909410

Spendenkonto: DE74 7319 0000 0000 1820 60 oder per PayPal an stadttauben-memmingen@web.de.

Mit dem Kurier-Newsletter täglich zum Feierabend über die wichtigsten Geschichten informiert sein. Besuchen Sie den Memminger KURIER auch auf Facebook!

Auch interessant

Kommentare