Drei Stunden Achterbahn: „Stolz und Vorurteil* (*oder so)“ im Landsberger Stadttheater

  1. Startseite
  2. Lokales
  3. Landsberg

KommentareDrucken

Im Gefühls-Lametta gefangen – stilecht in Gummistiefeln vor Etagere: Emma Schoepe als Elisabeth in „Stolz und Vorurteil* (*oder so)“. © Greiner

Schrill, rasant, laut: Eigenschaften, die man nicht unbedingt den Protagonistinnen von Jane Austen zuschreibt. In Isobel McArthurs ‚Musical‘-Fassung von „Stolz und Vorurteil“ sind die Figuren aber genau das: schrill, rasant, laut.

Landsberg – Wer an diesem Theaterabend die träumerisch-sanften Hügel von Hertfordshire erwartet, schlägt hart auf: Nach wenigen Sekunden schmettern die Schauspielerinnen (ja, exklusiv, es sind nur Frauen) „Total Eclipse of the Heart“ – mit all der 80er-Jahre-Inbrunst, die Bonny Tyler in den bombastischen Schmalzhit legte. Aber es ist ja auch nicht Jane Austens „Stolz und Vorurteil“, das das Landestheater Tübingen zeigt. Sondern die Fassung von Isobel McArthur – mit dem „(*oder so)“ im Anhang.

Vor Emotionen platzen: In „Stolz und Vorurteil* (*oder so)“ singt man sich frei

McArthur gibt denen eine Stimme, die in Austens Romanen nur Randfiguren sind: den Dienstmädchen. Sie erzählen. Wobei „Stimme“ dabei wörtlich zu nehmen ist: Die fünf Schauspielerinnen, die im Stück in die Rollen der fünf Schwestern – und allen anderen – schlüpfen, singen. Ständig. Inbrünstig. (Wir fragen uns insgeheim, ob Isobel McArthur Fan der Buffy-Folge „Once more, with Feeling“ sein könnte ...)

McArthurs Leitfaden: In Austens Roman werden Gefühle verdrängt. „Glück in der Ehe ist eine Sache des Zufalls“, lautet nicht umsonst eines der berühmten Zitate. Gefühle müssen aber irgendwann raus. Und deshalb ‚platzen‘ die Figuren vor Emotionen – und derer sind viele.

Am Anfang kommt kurz das mulmige Gefühl auf: Na, das könnte auf Dauer vielleicht ein bisschen zu viel werden, oder? Nein: Dominik Günthers rasante Regie zieht das Publikum in Bann – und in schallendes Gelächter. Vor allem, als auch die dreiköpfige Buchsbaum-Kombo singt, ist im Publikum kein Halten mehr. Auch wir wollen ab und zu mal ganz frei Emotionen zeigen.

„Fuck you, Mr. Darcy!“

Das macht unglaublich viel Spaß. Und funktioniert, weil zum Beispiel Emma Schoepe als kluge Elisabeth so ‚normal‘ wirkt im Gegensatz zu Rosalba Salomon, die ‚Grimassenkönigin‘ Mary hingebungsvoll auf die Bühne bringt. Wobei auch Schoepe mal im emotionalen Overload „Fuck you, Mr. Darcy!“ brüllen darf – hinreißend!

Auch Insa Jebens überzeugt als völlig abstruse Miss Bingley, Franziska Beyers Lady Catherine de Bourgh (Yep, da singen sie „Lady in Red“) – und Susanne Weckerle schafft in all der Überdrehtheit als Mr. Darcy und Bennet-Mutter den Ruhepol.

Das Bühnenbild (Sandra Fox, die auch die schön-schrillen Kostüme verantwortet) strotzt nur so vor Ideen. Ein großer Rahmen wird zum ‚Bildschirm‘, auf dem wie beim Karaoke die Liedtexte mitlaufen. Als Requisiten ein paar Bäumchen in Töpfen, Gartenmöbel, die edle Vase aus irgendeiner Dynastie. Ansonsten: nichts. Denn genau so, wie die Schauspielerinnen zu Bäumen werden, können sie auch Standuhr – praktischerweise wird der Staubwedel dabei zum Pendel.

Hätte man das Ganze etwas kürzen können? Ja, schon. Dauert ja immerhin drei Stunden. Muss man Austen heutzutage so machen? Sicher nicht. Aber man darf. Und es macht so viel Spaß, die ganzen drei Stunden lang. Deshalb unser Resümee: Seufz!

Das LTTT war erst vor zwei Wochen in Landsberg mit „Endstation Sehnsucht“ - hier die Rezension.

Auch interessant

Kommentare