Bürgergeld-Debatte um Ukrainer: Diese Lösungen gibt es
Über eine Million Menschen aus der Ukraine sind in Deutschland. Nur jeder Fünfte arbeitet. Dabei braucht Deutschland händeringend Arbeitskräfte.
Berlin – Die Debatte um das Bürgergeld reißt nicht ab. Neuester Streitpunkt: Bürgergeld für Ukrainer. Über 1,1 Millionen Geflüchtete aus der Ukraine sind derzeit in Deutschland, etwa 716.000 im erwerbsfähigen Alter. Doch nur etwa jeder Fünfte arbeitet. Für die Wirtschaft ist das angesichts des akuten Fachkräftemangels eine verpasste Chance. Denn Deutschland braucht 1,5 Millionen Zuwanderer jährlich, wie die Vorsitzende der Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, unlängst bekannt gab.
Die ungenutzte Ressource: Ukrainische Fachkräfte und der deutsche Arbeitsmarkt
Aus der Union kam zuletzt der Vorschlag, Ukrainer und Ukrainerinnen nur noch Asylleistungen statt Bürgergeld zu zahlen. „Der Bund macht uns das Leben schwer, indem alle Ukraine-Flüchtlinge sofort im Bürgergeld sind“, sagte Reinhard Sager (CDU), Präsident des Deutschen Landkreistags im Interview mit der Welt. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wies die Überlegungen zurück und der Bundestagsabgeordnete Helge Lindh (SPD) bezeichnete den Vorschlag zur Leistungskürzung als „Stimmungsmache gegen Geflüchtete.“
Doch wahr ist auch: Der deutsche Arbeitsmarkt braucht Fachkräfte und ein Großteil der Ukrainer und Ukrainerinnen ist gut ausgebildet. Rund 70 Prozent haben Angaben des Bundesarbeitsministeriums zufolge laut einer Befragung einen Hochschulabschluss. Unlängst startete das Arbeitsministerium die Kampagne „Job Turbo“, um Menschen aus der Ukraine schneller als bislang in Arbeit zu bringen. Nur 21 Prozent der Ukrainer und Ukrainerinnen im erwerbsfähigen Alter sind berufstätig.
Was läuft schief bei der Integration von ausländischen Arbeitskräften in Deutschland?
Kurz gesagt: jede Menge. Denn anderen Ländern gelingt es deutlich besser, Geflüchtete aus der Ukraine im Arbeitsmarkt zu integrieren. Ein Beispiel dafür sind die Niederlande und Dänemark. Sogenannte „Totalverweigerer“ - also Menschen, die nicht arbeiten wollen - sind unter den Bürgergeld-Beziehern selten. Meist sind es die bürokratischen Hürden, die den Einstieg in den Arbeitsmarkt erschweren. Kinderbetreuung, die Dauer der Anerkennungsverfahren und Sprachkenntnisse blieben ebenfalls große Herausforderungen, betont Daniel Terzenbach, der Sonderbeauftragte des „Job Turbo“ im Gespräch mit der Nachrichtenagentur AFP. Der deutsche Arbeitsmarkt sei „viel sprachabhängiger“ als der anderer Länder.
Gerade bei Fachkräften sind die Sprachkenntnisse oft entscheidend. Integrationskurse sollen helfen. Rund 400.000 Ukrainer und Ukrainerinnen haben laut Arbeitsministerium bislang einen solchen Kurs begonnen. Etwa jeder Zweite hat das Sprachniveau B1 erreicht, ein weiteres Drittel A2. Doch dank „Job-Turbo“ können Ukrainer schon ab dem Sprachniveau A2 in Jobs vermittelt werden. Das neue Gesetz für Fachkräfteeinwanderung sieht auch für andere ausländische Arbeitskräfte einen Abbau der bürokratischen Hürden vor. So können in manchen Fällen nur Sprachkenntnisse des Niveau A2 erforderlich sein. Etwa, wenn Fachkraft und Arbeitgeber sich zu einer Anerkennungspartnerschaft verpflichten.
Integration auf Zeit: Zeigt „Job-Turbo“ Wirkung?
Der „Job-Turbo“ des Arbeitsministeriums scheint laut Regierung erste Effekte zu zeigen: Die Zahl der bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldeten Stellen, die durch Zuwanderer besetzt werden könnten, hat sich von November bis Februar fast verdoppelt, hieß es im März vom Arbeitsministerium. Auch würden Geflüchtete nun häufiger von Jobcentern beraten. Zwischen November und Februar gab es demnach 225.000 zusätzliche Gespräche im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.
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Generell wächst der Anteil der erwerbstätigen Ukrainer stetig, während die Zahl der Geflüchteten aus der Ukraine in Deutschland im vergangenen Jahr relativ gleich blieb. Das sind gute Nachrichten für die Wirtschaft. In vielen Berufsfeldern funktioniert der deutsche Arbeitsmarkt seit Jahren nur dank Menschen mit ausländischen Wurzeln. Vor allem in Reinigungsberufen (60 Prozent) und in der Gastronomie (46 Prozent) gibt es laut Statistischem Bundesamt überdurchschnittlich viele Erwerbstätige mit Einwanderungsgeschichte. Auch 27 aller Ärzte und Ärztinnen hierzulande haben einen Migrationshintergrund.
Der Überfall Russlands zwang viele Ukrainer und Ukrainerinnen zur Flucht. Viele wünschen sich wohl nichts mehr, als bald in ihre Heimat zurückzukehren. Doch niemand weiß, wie lange der Ukraine-Krieg genau dauern wird. „Arbeit ist die beste Integration. Auch wenn es sich bei den ukrainischen Schutzsuchenden um eine Integration auf Zeit handeln kann“, heißt es im Aufruf des Arbeitsministeriums zur Teilnahme am Programm „Job-Turbo“. Damit lassen sich mit Blick auf die Bürgergeld-Debatte zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Deutschland hätte mehr Fachkräfte und weniger Empfänger von Hilfsleistungen.