Kampf um die vier Prozent - Merz eröffnet schwarz-gelbe Feldschlacht - und macht Jagd auf enttäuschte FDP-Wähler
An diesem Sonntag will Christian Lindner seine FDP festlegen: Keine Koalition mit den Grünen nach der Bundestagswahl – das ist eine zentrale Aussage im Wahlaufruf, den die Liberalen bei ihrem Bundesparteitag in Potsdam beraten werden und beschließen dürften.
Einen „Jubel-Parteitag“ plane der Parteichef in der Potsdamer Metropolishalle, heißt es bei den Liberalen. Vielleicht sind der Jubel und der Ausschluss einer Koalition mit den Grünen die letzten Kaninchen, die Lindner vor der Wahl am 23. Februar noch aus dem Hut zu zaubern versteht. Groß nämlich ist die Resignation in der FDP, die in fast allen Umfragen bei nur vier Prozent liegt (Wahl 2021: 11,5 Prozent). Das ist eine düstere Machtperspektive so kurz vor der Bundestagswahl.
Mit ihrem Wettern gegen die Grünen und dem Ruf, ein Regieren mit den Grünen auszuschließen, müsste sich Christian Lindner bestens verstehen mit Markus Söder, dem bayerischen Ministerpräsidenten, oder CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Auch sie fordern, die Union solle eine Koalition mit den Grünen auszuschließen (mit denen ihre Schwesterpartei CDU über die Länder fast jeden zweiten Deutschen regiert).
„Vier Prozent sind vier Prozent zu viel für die FDP und vier Prozent zu wenig für die Union.“
Friedrich Merz (CDU), Unionskanzlerkandidat
Merz eröffnet schwarz-gelbe Feldschlacht
Doch der schwarz-gelbe Honeymoon ist vorbei, bevor er begonnen hat. So nämlich rief Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) Anhänger der FDP dazu auf, bei der Bundestagswahl für seine Partei und nicht die FDP zu stimmen. „Vier Prozent sind vier Prozent zu viel für die FDP und vier Prozent zu wenig für die Union“, sagte Merz der Funke Mediengruppe: „Die Wählerinnen und Wähler müssen sich überlegen, ob Stimmen für die FDP am Ende verlorene Stimmen sind.“
Damit hat Merz gewissermaßen eine offene Feldschlacht gegen die FDP eröffnet. FDP-Generalsekretär Marco Buschmann wies Merz’ Äußerungen zurück. „Wir machen Wahlkampf für Schwarz-Gelb“, sagte er: „Und wer eine Garantie dafür haben will, dass es nicht Schwarz-Grün gibt und Robert Habeck wieder Wirtschaftsminister wird, der muss dann eben doch zwingend FDP wählen.“
Dabei stehen die Liberalen so sehr unter Druck wie schon lange nicht mehr. Das Kalkül, mit dem Rückzug aus der extrem unbeliebten Ampel-Koalition im November 2024 politisch und elektoral Honig zu ziehen, ist nicht aufgegangen. Die FDP, die eigentlich immer eine Funktionspartei war, droht politisch funktionslos zu werden.
FDP-Sympathisanten, die damit rechnen müssen, dass ihre Partei an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern wird, könnten in der Tat zur Union abwandern. In der Wirtschafts- und Migrationspolitik sind sich Union und FDP recht nahe. Merz ist qua Vergangenheit und Profil der am stärksten wirtschaftsliberale Unions-Kanzlerkandidat seit der „frühen“ Angela Merkel vor der Bundestagswahl 2005.
Migrationspolitik spaltet die FDP
Just die Migrationspolitik aber hat die kleine FDP in zwei Flügel gespalten, wie es das schon lange nicht mehr gegeben hat. Der Mehrheits-FDP, angeführt von Lindner, dem Fraktionsvorsitzenden Christian Dürr und Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki, ist es in der vergangenen Woche misslungen, die Fraktion zusammenzuhalten.
Mit Johannes Vogel, Konstantin Kuhle und Lukas Köhler waren gleich drei stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende am vorigen Freitag der Abstimmung über das „Zustrombegrenzungsgesetz“ der Union ferngeblieben. Vogel, Kuhle, Köhler, aber auch die stellvertretende Parteivorsitzende und Europapolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann gelten parteiintern plötzlich als „links“, was bei den Liberalen als kleine Gemeinheit gilt.
Angespannt waren die Sitzungen der FDP-Fraktion in der vorigen Woche. Das Abstimmen mit der AfD hat vielen Liberalen Bauchschmerzen bereitet. Dass Fraktionschef Dürr am Freitag noch einen Kompromiss zu dem Unions-Gesetzesentwurf herbeiführen wollte, war nicht nur der Sache geschuldet, sondern auch der Erkenntnis, dass seine Fraktion in dieser Frage uneins war wie selten zuvor.
Am Ende stimmten 67 der 90 FDP-Abgeordneten – am Ende erfolglos – an der Seite von Union, AfD und BSW mit Ja. Zwei votierten mit Nein, fünf enthielten sich, 16 Liberale blieben dem Votum fern.
Kubickis giftige Chat-Nachricht
Das führte zu der inzwischen legendären internen Chat-Nachricht Kubickis: „Wir verlieren gerade den gewaltigen Move von heute Nachmittag. Sehr schade.“ Die FDP-Spitze hatte sich bis kurz vor der Abstimmung bemüht, zwischen Union, Grünen und SPD zu vermitteln – vergeblich.
„Ich schlage vor, dass jetzt Marie-Agnes [Strack-Zimmermann, Anm. d. Red.], Franziska Brandmann, Johannes Vogel und Konstantin Kuhle die Wahlkampfführung übernehmen“, schrieb Kubicki giftig: „Ich räume schon mal mein Büro auf“. Brandmann ist Juli-Vorsitzende, gehört aber dem Bundestag nicht an.
Kubicki hatte am vergangenen Freitag eine viel beachtete Rede im Bundestags-Plenum gehalten. Er verwies auf seinen Einsatz für die sozial-liberale Koalition unter Willy Brandt und Walter Scheel vor einem halben Jahrhundert, seinen erfolgreichen Kampf gegen Rechtsextreme in Schleswig-Holstein.
Nur die halbe Wahrheit
Doch Kubicki suggerierte, wie schon zuvor Dürr in einem Statement auf der Fraktionsebene, die FDP stimme geschlossen für den Unions-Antrag. „Wir werden in der Sache zustimmen“, beendete Kubicki seine Rede. Im Bundestags-Protokoll ist das nachzulesen. Das war nur die halbe Wahrheit. In einer Partei, die weniger diszipliniert organisiert ist als die CDU/CSU, kommt so etwas nur bedingt gut an.
Indem Vogel und Kuhle sich der Abstimmung mit der AfD verweigert haben und ihrem Fraktionschef nicht folgten, schält sich eine Führungsreserve für eine Nach-Lindner-FDP heraus. Womöglich für eine Partei außerhalb des Parlamentes.
Von Daniel Friedrich Sturm
Das Original zu diesem Beitrag "Kampf um die vier Prozent: Merz will sich die FDP einverleiben" stammt von Tagesspiegel.