„Haben keine 100 Tage“: Regierung will mit Sofortprogramm auf Unternehmensschließungen reagieren
Die deutsche Wirtschaft steckt tief in der Krise. Unternehmensschließungen steigen dramatisch. Ein Sofortprogramm soll jetzt helfen.
Frankfurt – Die deutsche Wirtschaft befindet sich weiterhin in einer schwierigen Lage, während die Zahl der Unternehmensschließungen besorgniserregend zunimmt. Die neue Bundesregierung plant ein Sofortprogramm, um gegenzusteuern. Die Herausforderungen sind jedoch gewaltig.
Die Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium, Gitta Connemann (CDU), kündigte bereits vori der Vorstellung des Frühjahrsgutachtens der Wirtschaftsweisen am Mittwoch, dem 21. Mai, ein Sofortprogramm an. Sie betonte: „Wir wissen, dass wir keine 100 Tage haben - das heißt, wir werden schon bis zum 11. Juli ein Programm vorlegen mit den ersten Sofortmaßnahmen“, sagte sie im ARD-„Morgenmagazin“.

„Größte Probleme der deutschen Wirtschaft“: Sofortprogramm soll helfen
Connemann hob hervor, dass die Regierung zügig „an die größten Probleme der deutschen Wirtschaft“ herangehen müsse. Sie nannte dabei mehrere Schwerpunkte: „Energiekosten runter, das heißt Stromsteuer reduzieren auf das europäisch zulässige Mindestmaß, Netzentgelte runter, Umlagen runter.“
Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Förderung von Investitionen. Im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD ist festgelegt, dass Unternehmen ab 2025 drei Jahre lang Ausrüstungsinvestitionen mit je 30 Prozent abschreiben können. Dieser „Investitionsbooster durch Abschreibungen“ soll die Wirtschaft beleben.
Zudem plant die Regierung, die „lähmende Bürokratie“ zu reduzieren. Connemann erklärte: „Da kann man sofort Zeit, Kraft, Effizienz, aber auch Lust freisetzen.“
Deutsche Unternehmen müssen immer häufiger schließen
Die Ankündigung erfolgt zu einem Zeitpunkt, an dem die Zahl der Unternehmensschließungen in Deutschland stark ansteigt. Laut einer Studie der Auskunftei Creditreform und des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) wurden im letzten Jahr 196.100 Betriebe geschlossen – ein Anstieg von 16 Prozent im Vergleich zu 2023. Diese Zahl war seit 2011, als die Finanzkrise die deutsche Wirtschaft belastete, nicht mehr so hoch.
„Die Schließungszahlen sind in allen Wirtschaftsbereichen alarmierend“, warnt Patrik-Ludwig Hantzsch, Wirtschaftsforscher bei Creditreform. „Vor allem die Industriebetriebe leiden unter den hohen Energiekosten in der Produktion, während der Wettbewerbsdruck durch ausländische Anbieter steigt.“ Besonders betroffen sind energieintensive Branchen, wo die Zahl der Betriebsschließungen um 26 Prozent auf 1.050 anstieg. Auch zukunftsorientierte Bereiche wie „IT, Produktentwicklung, Umwelttechnik und Diagnostik“ verzeichneten einen Anstieg der Schließungen um etwa ein Viertel.
Sandra Gottschalk, Forscherin am ZEW, weist darauf hin, dass gerade dieser Wirtschaftsbereich eigentlich wachsen müsste, da er eine Zukunftsbranche sei. „Doch wegen eines gravierenden Fachkräftemangels konkurrieren Unternehmen um knappe Ressourcen. Das führt dazu, dass nicht genug Aufträge angenommen werden können, um wirtschaftlich zu arbeiten.“
Nicht nur Insolvenzen: Unternehmen finden keine Nachfolger
Die Schließungen betreffen nicht nur Insolvenzen, sondern auch freiwillige Geschäftsaufgaben. Ein häufiger Grund ist die fehlende Nachfolge, wenn Firmeninhaber in den Ruhestand gehen möchten, aber niemanden finden, der das Unternehmen übernimmt.
Auch größere Betriebe sind zunehmend von Schließungen betroffen. Ein typisches Beispiel ist ein in die Jahre gekommenes Hotel mit Investitionsstau, das in guter Lage den Betrieb einstellt. Ein Immobilienunternehmen kauft das Grundstück, reißt das Gebäude ab und errichtet Wohnungen, die an Privatleute verkauft werden. Das Statistische Bundesamt hatte im Februar mitgeteilt, dass in Deutschland im vergangenen Jahr mehr Betriebe gegründet als aufgegeben wurden. Diese Statistik bezog sich jedoch nur auf größere beziehungsweise wirtschaftlich bedeutendere Unternehmen.
Connemann dämpfte die Erwartungen an eine schnelle wirtschaftliche Erholung. Es sei klar, „dass die deutsche Wirtschaft nach Rezession und Stagnation jetzt nicht mit einem Schlag erstehen wird wie ein Phönix“. Dennoch hellt sich die Stimmung in der Wirtschaft auf. „Die Wirtschaft wartet auf gute Signale aus der Politik“, betonte sie.
Strukturprobleme der deutschen Wirtschaft
Das wirtschaftliche Beratungsgremium der Bundesregierung, die sogenannten Wirtschaftsweisen, stellte am Mittwochmorgen, dem 21. Mai, seine aktualisierte Konjunkturprognose für die Jahre 2025 und 2026 vor. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hatte im Herbst ein schwaches Wachstum um 0,4 Prozent für dieses Jahr prognostiziert.
Die aktuellen Entwicklungen verdeutlichen die strukturellen Probleme der deutschen Wirtschaft. Neben den hohen Energiekosten und der überbordenden Bürokratie kämpfen viele Unternehmen mit dem Fachkräftemangel und dem zunehmenden internationalen Wettbewerbsdruck.
Wirtschaftsexperten sehen die Ankündigung eines Sofortprogramms grundsätzlich positiv, mahnen aber auch tiefgreifende strukturelle Reformen an. „Die geplanten Maßnahmen können kurzfristig Entlastung bringen, aber für eine nachhaltige Erholung der deutschen Wirtschaft braucht es einen umfassenden Modernisierungskurs“, erklärt Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln.