Tumor zu spät entdeckt: 19-Jähriger fällt nach Chemo ins Koma
Jeder Tag kann der letzte sein: Nach einer Krebsdiagnose kämpft Anja Seel um das Leben ihres Sohnes und gegen finanzielle Probleme.
Hochtaunus – Bis die Ärzte dem 17-jährigen Louis die Diagnose Krebs stellen, dauert es Monate. Erst soll es nur ein Geschwür sein - dann auf einmal mehr. „Es tut sehr weh“, sagt Louis seiner Mutter. Und auf einmal bricht die Welt über ihnen zusammen.
Bis nächste Woche - weiter denkt Anja Seel seitdem nicht mehr. Kann sie auch nicht. Es sei wie eine Achterbahnfahrt ins Ungewisse - jeder Tag bringe eine neue Herausforderung, koste mehr Kraft oder verschaffe etwas Erleichterung.
„Heute Nachmittag haben wir eine Besprechung mit den Ärzten“, sagt Seel. Sie versucht zu lächeln. Ihre Augen wirken etwas leer. Das Gesicht der Mutter zeigt die Strapazen der vergangenen zwei Jahre. Zeitweise wohne sie mit ihrer Freundin Astrid Ehrhardt in der Uniklinik Frankfurt. „Um Louis ganz nah zu sein“, wie Ehrhardt sagt. Die beiden Frauen - das ist eine alte Freundschaft, die sich im schlimmsten Moment des Lebens wiederfand. Seel wohnt in Weilrod-Mauloff, Ehrhardt in Koblenz.
Mutter kämpft gegen Krebs ihres Sohnes
„Mein größter Traum ist es, dass wir in zehn Jahren alle zusammensitzen. Wir werden darüber lachen und die Köpfe schütteln, wenn wir an diese schlimme Zeit denken“, sagt Ehrhardt. Tränen schießen ihr in die Augen - sie weint aber nicht. Dazu fehlt der Frau im Moment die Ruhe.
„Eine von uns ist immer stark für die andere. Wenn es nicht mehr geht“, sagt Seel und blickt zu ihrer Freundin hinüber. Die 47-jährige Friseurmeisterin war lange nicht mehr arbeiten. Ihren Salon in Bad Homburg betreut momentan Seels einzige Angestellte. Erst nahm Corona ihr Erspartes - jetzt kämpft sie gegen den Krebs ihres Sohnes.
Diagnose Krebs: Variante des jungen Mannes ist äußerst aggressiv
Sechs Chemotherapien ließ Louis bisher über sich ergehen. Die letzte forderte einen hohen Tribut von dem mittlerweile 19-Jährigen. Vor der Behandlung sei noch alles gut gewesen.
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„Dann fiel er ins Koma“, erzählt Ehrhardt. Freunde und Familie versammelten sich um Louis, für ein letztes Beisammensein mit ihm.
Embryonales Rhabdomyosarkom - das ist der Name des Feindes von Familie Seel. Der hochaggressive Tumor tritt meist bei Kindern auf - etwa mit 15 Jahren beginnt er in vielen Fällen zu wachsen. Die bösartige Krebsvariante bildet sich vorrangig am Hals, der Hüfte oder in der Leistengegend.
Louis kämpft um sein Leben. Seine Freunde kommen immer wieder mit ins Krankenhaus - leisten dem im Koma liegenden Jungen, der Mutter und ihrer Freundin Beistand. Die Gruppe wächst zusammen, während sie darauf warten, dass der junge Mann irgendwann wieder zu sich kommt.
Es entsteht eine tiefe Verbundenheit im Kampf gegen den Krebs - und im Hoffen um das Leben des 19-Jährigen .„Was seid ihr denn alle so dicke miteinander?“, sagt Louis, als er aufwacht. Er habe schnell bemerkt, wie sich sein Umfeld nähergekommen ist. Alle müssen lachen: Der Kampf um ihn schafft neue Bande.
Finanzielle Sorgen: „Ich bekomme kein Kindergeld mehr für Louis“
Mit der Zeit richtet sich Louis wieder im Bett auf und einige Schritte durchs Zimmer sind ein großer Sieg. „Er kann sich alleine wieder waschen“, sagt seine Mutter und lächelt. „Na ja, fast“, wirft ihre Freundin Astrid ein. „Egal“, sagt Seel. Es bleibt ein Wunder für die beiden.
Die lange Arbeitspause, die Fahrtkosten zum Klinikum, die Versorgung ihres zweiten Sohnes Jakob: All das und viel mehr setzt Anja Seel zu. Zwar bekomme sie einen Teil der Kosten von der Krankenkasse erstattet. In Vorleistung müsse die gelernte Friseurin trotzdem gehen.
„Ich bekomme seit einem Jahr kein Kindergeld mehr für Louis“, sagt Seel. Der Grund: Ihr Kind ist länger als sechs Monate krank, deswegen verfalle der Anspruch auf Kindergeld. Mehrere Anrufe bei der Familienkasse zum dem Thema hätten dazu nur ein „Versuchen Sie es mal bei der Vdk“ aus dem Hörer hervorgebracht. Dort kümmere man sich um behinderte Kinder.
Immuntherapie als letzte Hoffnung
Anja Seel lässt sich davon aber nicht ablenken - Für Louis da zu sein sei jetzt das Wichtigste. Fast beiläufig erwähnt sie die finanziellen Probleme. Die selbstständige Frau beschwert sich nicht - die Eigenschaft hat ihr Sohn vermutlich von ihr.
Eine Immuntherapie ist nun die letzte Hoffnung. „Wir sind gespannt, was die Ärzte nachher sagen. Gleichzeitig haben wir große Angst, was bei dem Gespräch rauskommt“, gibt Seel zu.
Von dem Befund hänge viel ab. Wie es weitergehe - was möglich ist. Denn die Chemotherapien helfen Louis nicht. „Keine einzige hat angeschlagen“, sagt Ehrhardt. Dann verabschiedet man sich, geht zu dem Gespräch mit den Ärzten. Die Freundinnen sind gefasst - wollen bereit sein.
„Ich habe die GoFundMe-Seite auf Louis’ Wunsch aktualisiert“, schreibt Ehrhardt über WhatsApp am nächsten Tag. „GoFundMe“ ist eine Möglichkeit, Menschen über das Internet Geld zu spenden. 688 Leute haben bisher 52 225 Euro für Anja und Louis Seel aufgebracht.
„Wir glauben an Wunder“: Sarkom-Zentrum könnte helfen
Damit können die Kosten der näheren Zeit abgedeckt werden. Bis nächste Woche - und darüber hinaus - kann alles gut sein. Scrollt man weiter runter, finden sich die kürzlich von Ehrhardt verfassten Zeilen. „Alles gut“, schreibt sie immer wieder. Alles gut.
Der behandelnde Arzt spreche aber von Palliativpflege - die Immuntherapie ist vom Tisch. Anja Seel weint.
„Wir haben gestern erfahren, dass es keine schulmedizinische Therapie mehr für Louis’ Krebs gibt“, schreibt Astrid Ehrhardt in den letzten Zeilen ihres „GoFundMe“-Eintrags. „Der Tumor hat in die Lunge gestreut. Louis wird heute nach Hause entlassen.“
Eine letzte Möglichkeit ist das Sarkom-Zentrum in Essen - hier hat Louis bald einen Termin. Während die Tumore weiter wachsen, ist dort vielleicht eine Weiterbehandlung möglich. Denn das Zentrum wendet auch besondere Therapien speziell für Sarkome an, die selbst die Uniklinik Frankfurt nicht anwendet.
Aufgeben wollen die Freundinnen auf keinen Fall. Jede Option werde genutzt. „Wir glauben an Wunder“, schreibt Erhard auf der „GoFundMe“-Seite. (ske )