Das NS-Tor zur Welt? Hitlers gigantische Pläne mit der Hansestadt Hamburg

In Hamburg war es über Jahrzehnte eine gern erzählte Geschichte, dass Adolf Hitler die Stadt nicht mochte und sie daher möglichst gemieden habe. Spätestens, seit der Historiker Harald Sandner vor einigen Jahren sein „Hitler-Itinera“ vorgelegt hat, wissen wir, dass das eine Legende ist. 

Statt der bis dahin vermuteten 33 mal hatte der „Führer“ insgesamt 75 mal Hamburg besucht. Tatsächlich übte Deutschlands größte Hafenstadt eine nicht geringe Faszination auf ihn aus. Gerne kam er zum Beispiel an die Elbe, wenn es galt, große Schiffe wie den Kreuzfahrtriesen „Wilhelm Gustloff“ oder den Stolz der Kriegsmarine, die „Bismarck“, einzuweihen.

Hamburg – eine „amerikanische“ Stadt

Aber Hitler hatte auch große Pläne mit Hamburg: Er wollte die altehrwürdige Hansestadt zum nationalsozialistischen Tor zur Welt ausbauen. Und Hamburg sollte zugleich nichts weniger als die Antwort des Dritten Reiches auf New York werden. 

Die USA sah Hitler stets in einer Mischung aus Bewunderung und Verachtung, aber wenn es um die technischen und architektonischen Leistungen ging, überwog ganz klar die Bewunderung. Und Hamburg war für Hitler Deutschlands „amerikanischste“ Stadt. 

Seit wann er solche Pläne mit der Hansestadt im Kopf hatte, ist unbekannt. Aber wann er sie erstmals öffentlich äußerte, wissen wir: während einer Hafenrundfahrt am 13. Juni 1936. 

Der Hamburger Bürgermeister Vincent Krogmann berichtete nach dem Krieg, Hitler sei an die Reling der Barkasse getreten, habe auf die Elbe gezeigt und kundgetan, dass er im Geiste eine große Brücke über die Elbe sehe. Vorbild war ganz offensichtlich die Golden Gate Bridge in San Francisco, die zum damaligen Zeitpunkt noch im Bau war.

Riesige Bauten sollten die Menschen beeindrucken

Hamburg war neben München, Nürnberg, Berlin und Linz eine der fünf „Führerstädte“ – Städte, die besonders hervorgehoben wurden. Und so sollte nicht gekleckert, sondern geklotzt werden, so wie das im Reich der Nazis ja ohnedies stets der Fall war. 

Hitlers Plan war es, Hamburg in Teilen vollständig umzugestalten. Er wollte Ordnung schaffen in der während der Industrialisierung unkontrolliert und rasch gewachsenen Stadt. 

Vor allem aber sollte Hamburg durch neue riesige Bauten die Menschen im In- und Ausland beeindrucken. Historische Gegebenheiten oder die Interessen der von der Umgestaltung betroffenen Menschen spielten keine Rolle. Genausowenig wie Grenzen.

So beschloss die Regierung zum 1. April 1937 das Groß-Hamburg-Gesetz, durch das mehrere kleinere Nachbarstädte wie Wandsbek und Altona eingemeindet wurden. Dadurch wuchs Hamburg über Nacht von 1,2 auf knapp 1,7 Millionen Einwohner. Kritik daran wischte Hitler weg, es ging ihm ja nicht um Klein-Altona, sondern um Groß-Deutschland.

Konstanty Gutschow wurde einer von Hitlers Lieblingsarchitekten

Schließlich wurde ein Wettbewerb zur zukünftigen Stadtplanung ausgelobt. Bei diesem Wettbewerb setzte sich überraschend ein Mann durch, der bis dahin kaum als Architekt hervorgetreten war und fast nur kleine Wohnhäuser entworfen hatte. Doch Konstanty Gutschow erfasste am besten, was Hitler sich vorstellte. Dass er seit 1933 SA-Mitglied war und 1937 auch flugs in die NSDAP eintrat, unterstützte die Bewerbung.

Gutschow begann mit seinen Planungen und im Laufe der Zeit wuchs sein Büro auf die stattliche Zahl von 250 Mitarbeitern an. Er konnte sich sicher sein, die Aufmerksamkeit des „Führers“, der sich ja selbst als großen Architekten sah, zu haben. Er entwickelte Pläne, die in ihrer Größe mit Hitlers Vorstellungen mithalten konnten. 

So sollte etwa an der Stelle, wo sich der Bahnhof Altona befindet, ein Hochhaus für die Gau-Verwaltung entstehen. Es sollte auf eine Höhe von 250 Metern kommen und damit die Kirche St. Michaelis, das bekannte Hamburger Wahrzeichen, das im Volksmund „Michel“ genannt wird, um etwa das Doppelte überragen. Geplant war somit das höchste Haus Europas, und wer Vergleichbares sehen wollte, musste über den großen Teich blicken – nach New York. 

Konkurrenz mit New York

Das Gauhochhaus wäre das einzige richtige Hochhaus des Dritten Reiches geworden. Es sollte durch einen sehr großzügigen Boulevard mit den Landungsbrücken auf St. Pauli verbunden werden, an dessen Landseite eine Reihe moderner, 60 Meter hoher Gebäude geplant wurde. 

Anders als die sonstigen Architekturvorhaben sollten diese Gebäude ein modernes Antlitz bekommen – ein deutliches Zeichen, mit welcher Stadt Hamburg konkurrieren sollte – eben mit Big Apple.

Hitler
Adolf Hitler bei einem Besuch in Hamburg - einer der fünf "Führerstädte". Imago

Weiter sollte ein Terminal zum Anlegen für die Schiffe der NS-Freizeitorganisation „Kraft durch Freude“ wie die berühmte „Wilhelm Gustloff“, das Traumschiff der Nazis, errichtet werden. Dazu ein Hotel für 2000 Gäste mit einer Höhe von 80 Metern. Gigantisch waren die weiteren Planungen: Neben einer „Volkshalle“ für 50 000 Menschen sollte es einen Aufmarschplatz für 100 000 geben. 

Und neben dem Gauhochhaus, das nach Hamburg einlaufende Schiffe begrüßen sollte, wurde ein zweites Wahrzeichen geplant: eine gigantische Hängebrücke über die Elbe mit 180 Meter hohen Pfeilern und einer Spannweite von 750 Metern. 

Diese Brücke sollte „Amerika übertreffen, so wie Hamburg ausersehen war, die amerikanischen Maßstäbe zu übertreffen“, erinnerte sich später Hitlers wichtigster Architekt Albert Speer. Zudem sollte der Hamburger Hafen neu gegliedert werden, um ihn sicherer gegen mögliche Luftangriffe im von Hitler längst geplanten Krieg zu machen.

Mitte der Sechzigerjahre sollte alles fertig sein

Die veranschlagten Kosten waren mit 1,6 Milliarden Reichsmark gigantisch und das Vorhaben war auf einen Zeitraum bis etwa Mitte der Sechzigerjahre angelegt. Ab dem 1. April 1939 durfte sich Gutschow offiziell „Architekt des Elbufers“ nennen. 

Er begann zu planen, doch Hitler war nie ganz zufrieden, so dass der Architekt immer wieder neue Entwürfe vorlegen musste. Auch zwei Generalbaupläne für Hamburg entwarf er. 

Die gleichgeschalteten Zeitungen jubelten, als die Pläne 1937 bekannt wurden. „Des Führers gewaltige Bauten in Hamburg“ titelte das „Hamburger Fremdenblatt“, und die „Frankfurter Zeitung“ sagte voraus: „So wird Hamburg als Tor zur Welt mit amerikanischen Dimensionen wetteifern.“ Auch drüben nahm man die Pläne wahr, wie ein Artikel in der „New York Times“ zeigte.

Zehntausende hätten ihre Wohnungen verloren

Doch längst nicht alle Hamburger waren begeistert, auch wenn das niemand offen artikulieren konnte. Unter anderem hätten die Pläne bedeutet, dass rund um den St. Pauli-Fischmarkt 40.000 Menschen ihre Wohnungen verloren hätten, weil ihre Häuser abgerissen werden sollten. 

Dass für die Produktion der notwendigen Klinkersteine im Hamburger KZ Neuengamme tausende Häftlinge schwer schuften mussten und sehr viele ihr Leben ließen, steht ohnehin auf einem anderen Blatt.

Experten wiesen allerdings darauf hin, dass weder das Hochhaus noch die Brücke tatsächlich hätten gebaut werden können. Denn an den Stellen gab es nur Sand, der diese Bauten gar nicht hätte tragen können. Hitlers Pläne waren auf Sand gebaut.

Bald kam ohnedies alles ganz anders. Am 1. September 1939 trat Hitler mit dem Angriff auf Polen den Zweiten Weltkrieg los, im Juni 1941 griff er auch die Sowjetunion an. Im selben Jahr wurden die Planungen für Hamburg unterbrochen und dann wegen der Entwicklung des Krieges auch nicht mehr wieder aufgenommen. 

Keine Stunde Null nach 1945

Spuren dieser Planungen finden sich in der Hansestadt aber heute noch, und zwar nicht wenige. So läuft der neue Elbtunnel genau an der Stelle, an der die Brücke geplant war. Ebenso wurden in den Aufbaujahren nach dem Krieg Überlegungen Gutschows zur Gestaltung von Wohnsiedlungen umgesetzt. 

Diese Kontinuität kann nicht überraschen, denn eine Reihe von Gutschows Mitarbeitern wurden später in der Hamburger Stadtplanungsbehörde angestellt. Eine Stunde Null, wie es so oft heißt, gab es also 1945 nicht.