Bei Generaldebatte zeigt Merz eine große Stärke – aber verschweigt 2 Niederlagen
- Im Video oben: "Sie sind jetzt schon der Lügenkanzler": Weidel greift Merz sehr scharf an
Die Generaldebatten, die in Haushaltswochen anstehen, werden traditionell von der Oppositionsführerin eröffnet. In dieser Legislaturperiode ist das AfD-Fraktionschefin Alice Weidel. Obwohl – oder gerade weil – sie den Bundeskanzler hart angeht, ist diese Eröffnungsrede ein Segen für Friedrich Merz.
Weidel zeigt keinerlei Mäßigung, die sich die AfD-Fraktion erst kürzlich auf die Fahne geschrieben hat. Sie verspottet Merz als "Papierkanzler" und "Lügenkanzler", wirft ihm "Volksverdummung" und "Wahlbetrug" vor. Der Kanzler betreibe "Realitätsflucht", in dem er an internationalen Gipfeltreffen teilnehme, statt sich um "ein Land im Sinkflug" zu kümmern.
Während Weidel spricht, vertieft sich Merz in den Inhalt seiner Aktenmappe. Es wirkt zunächst, als wolle er den Spott lieber nicht hören. Doch gleich zu Beginn seines eigenen Auftritts wird klar: Merz hat sein Redemanuskript offenbar deshalb noch einmal studiert, um an den richtigen Stellen des vorbereiteten Textes seine Konter gegen die AfD-Fraktionschefin zu fahren.
Merz kontert Weidel im Bundestag und zeigt Emotionen
In einer parlamentarischen Demokratie müsse sich die Regierung der Kritik stellen, auch maßlose Kritik anhören, leitet Merz ein. "Halbwahrheiten, üble Nachrede und persönliche Herabsetzungen" müsse aber niemand hinnehmen. Dann präsentiert er sich als der Außenkanzler, den Weidel eben noch kritisiert hat.
"Unsere Arbeit steht bis heute im Zeichen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine", setzt Merz an, wird jedoch von einem hämischen Raunen aus den Reihen der AfD unterbrochen. Dann legt der Kanzler richtig los: "Das ist eine interessante Reaktion von Ihnen!"
Merz liest der AfD die Leviten, die ignoriert, dass es erst in der Nacht die schwersten Angriffe auf zivile Ziele in der Ukraine seit dreieinhalb Jahren gegeben hat. "Von Ihnen, Frau Weidel, kein Wort dazu. Das sagt etwas aus, darüber wie Sie denken und wie Sie fühlen in dieser Bundestagsfraktion!" Der Kanzler lässt hier echte Emotionen durchscheinen, die er in bisherigen Regierungserklärungen weitestgehend hat vermissen lassen.
Merz ist stark, wenn er sich an einem Gegner abarbeiten kann
Merz erklärt, warum er in den ersten zwei Monaten seiner Kanzlerschaft zahlreiche Auslandsreisen absolviert hat: Für die zahlreichen Herausforderungen auf der Welt brauche es eine deutsche Führungsrolle und starke Partner. "Wenn wir AfD und Linkspartei gefolgt wären, wäre die Nato im 70. Jahr unserer Mitgliedschaft auseinandergebrochen."

Merz versucht in diesem Teil der Rede einen schwierigen Spagat zwischen AfD-Attacken und staatsmännischen Angriffen, der im Bundestag aber gut ankommt. Selbst die oppositionellen Grünen lassen sich zu Applaus hinreißen.
Merz kann eine seiner Stärken an diesem Mittwoch ausspielen: Er hat jetzt wieder einen Gegner, an dem er sich abarbeiten kann. Ganz so wie in der Zeit, als er selbst noch Oppositionsführer war und für starke Reden gefeiert wurde.
Merz zur AfD: "Sie werden jetzt Ihr politisches Kampfthema los"
Merz setzt seine Konter gegen die AfD auch fort, als es um die Migrationspolitik geht. "Wir haben die ersten Weichen gestellt für eine nachhaltige Reduzierung der irregulären Migration", lobt er zunächst die Arbeit seiner Regierung.
Als Beleg zieht er die Asylantragszahlen heran, die im ersten Halbjahr im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 43 Prozent gesunken sind – lässt aber unerwähnt, dass die schwarz-rote Koalition nur einen kleinen Anteil daran hat.
Dennoch hat Merz einen Punkt: "Sie werden jetzt langsam Ihr politisches Kampfthema los, dem sie Ihre Existenz verdanken", ruft er in Richtung AfD. "Wir werden dieses Problem lösen und Ihnen nicht die Freude machen es zu erhalten, denn Sie leben davon, dass Sie ständig nur mit diesem Thema in Deutschland Stimmung machen können."
Merz verschweigt zwei Niederlagen in der Migrationspolitik
Anders als in der Außenpolitik, wo Erfolg und Misserfolg oft nur schwer messbar ist, werden im migrationspolitischen Teil der Merz-Rede aber auch Probleme offenkundig.
So lobt sich Merz für die Zurückweisungen an den Grenzen – lässt aber außer Acht, dass die Bundesregierung zumindest im Fall von drei Somaliern eine Niederlage vor Gericht einstecken musste. Sie durften schließlich doch noch einreisen. Unerwähnt lässt der Kanzler auch, dass die Zurückweisungen und Grenzkontrollen zu Verstimmungen bei den europäischen Nachbarn wie Polen geführt haben – etwas, das seinem Anspruch als zuverlässiger europäischer Partner entgegensteht.
Kein Wort sagt Merz auch zu der zweiten Niederlage vor Gericht: Erst am Dienstag wurde entschieden, dass eine Afghanin und ihre Angehörigen im Rahmen des Bundesaufnahmeprogramms Visa für Deutschland erhalten müssen. Künftig könnte wohl entgegen den Wahlkampf-Forderungen der Union ein Großteil der Afghanen mit Aufnahmezusage nach Deutschland kommen. Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien sind hingegen erst einmal nicht in Sicht.
Und schließlich sitzt Merz bei der Migrationspolitik die SPD im Nacken. Während dieses Teils der Rede applaudieren die sozialdemokratischen Abgeordneten nur spärlich. Da hilft es auch wenig, dass der Kanzler sich ausdrücklich bei ihnen bedankt. In Bezug auf die vorübergehende Aussetzung des Familiennachzugs sagt er: "Ich weiß, dass Ihnen das nicht leichtgefallen ist."
Merz rechnet sich die Stromsteuer-Entscheidung schön
Mühe hat Merz auch bei der Erklärung seiner Wirtschaftspolitik. Er will sich als Entlastungskanzler präsentieren, zählt dafür spiegelstrichartig auf, was das Kabinett schon alles auf den Weg gebracht hat. Merz liest hier überwiegend von seinem Manuskript ab. Das Mitreißende seiner Angriffe auf die AfD fehlt hier völlig.
Der Kanzler gibt sich auch wenig Mühe, die hochumstrittene Stromsteuer-Entscheidung zu erklären. Nötig wäre das aber, laut einer Forsa-Umfrage haben zwei Drittel der Bürger kein Verständnis für die vorerst ausbleibende Entlastung.
Stattdessen rechnet Merz beschwichtigend vor: "Von den möglichen 200 Euro pro Familie und Jahr, die möglich und wünschbar gewesen wären für die Entlastung bei den Energie- und Stromkosten, machen wir jetzt 150 Euro im Jahr möglich."
Merz setzt bei Wirtschaft auf Prinzip Hoffnung
Der Kanzler setzt – wie schon in seinen bisherigen Reden – vor allem auf das Prinzip Hoffnung. Ja, die Wirtschaftsforschungsinstitute heben ihre Wachstumsprognosen wieder leicht an. Um Deutschland im internationalen Wettbewerb signifikant nach vorne zu bringen, reicht das aber noch lange nicht.
Was, wenn die Wirtschaft nicht wie erhofft anspringt? Die Haushaltsplanung der Bundesregierung für die kommenden Jahre würde das in erhebliche Schwierigkeiten bringen. Ein großer Wurf, um das zu verhindern, oder ein Plan B ist von Merz allerdings nicht zu vernehmen.
Schwarz-Rot in Umfragen ähnlich schlecht wie die Ampel
Immerhin scheint der Kanzler für das Thema sensibilisiert zu sein. Er nehme eine bessere Stimmung im Land wahr, sagt er zum Ende seiner Rede, "aber wir nehmen auch wahr, dass viele Bürgerinnen und Bürger unseres Landes Sorgen haben, von Ängsten und Unsicherheiten beschwert sind."
Merz muss das nachhaltig angehen. Zum Wohle des Landes – aber auch, um seine eigene Kanzlerschaft mit Erfolg zu krönen. Laut einer aktuellen Forsa-Umfrage sind derzeit 59 Prozent unzufrieden mit der bisherigen Arbeit von Kanzler Merz, 58 Prozent sind unzufrieden mit Arbeit der Bundesregierung insgesamt – bei Olaf Scholz und der Ampel fielen die Werte nach zwei Monaten im Amt ähnlich dürftig aus.