Israel erwartet Gegenschlag: „Wir sind auf alles vorbereitet“
Israel beginnt größte Offensive gegen Iran. 200 Jets bombardieren 100 Ziele. Nahost-Experte Rimmel lebt in Israel – und befürchtet großen Gegenschlag.
Jerusalem – Es ist der bislang größte Angriff Israels auf den Iran. Als die Armee in der Nacht auf Freitag die Operation „Rising Lion“ (Aufsteigender Löwe) startet, ist das der Beginn einer neuen Eskalation im Nahen Osten: 200 Kampfflugzeuge attackieren rund 100 Ziele im Iran, darunter die Hauptstadt Teheran, die Atomanlage Natans sowie mehrere Militäreinrichtungen.
Der Chef der Revolutionsgarden, Hussein Salami, Armeechef Mohammad Bagheri sowie sechs Atomwissenschaftler werden getötet. Israel begründete den „Präventivschlag“ mit dem weit fortgeschrittenen iranischen Atomprogramm. Der Iran sprach von einer „Kriegserklärung“ und schickte 100 Drohnen Richtung Israel – die allesamt abgeschossen wurden. Droht nun ein neuer, großer Krieg?
Michael Rimmel ist Leiter des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Jerusalem. Am Tag nach dem israelischen Großangriff spricht er mit uns über die Lage vor Ort.
Nach Iran-Angriff: Diesmal ist es anders - Alle rechnen mit dem „großen Gegenschlag“
Herr Rimmel, Israel ist im Ausnahmezustand. Wie macht sich das in Jerusalem bemerkbar?
So gut wie alles ist geschlossen: Schulen, große Veranstaltungen, Kundgebungen. Der Flugverkehr ist eingestellt, der Luftraum gesperrt. Gegen drei Uhr morgens, als Israel den Angriff gegen den Iran gestartet hat, gab es einen landesweiten Alarm, einen Weckruf für die Bürger – obwohl wir in dem Moment gar nicht angegriffen wurden. Das war einmalig.
In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Angriffe zwischen Israel und dem Iran. Diesmal ist es also anders?
Ja, das merkt man deutlich – vor allem an den Vorbereitungen des Militärs und der Sicherheitsbehörden. Alle gehen davon aus, dass jetzt der große Gegenschlag kommt. Wann und in welcher Form, das weiß niemand. Klar ist aber: Der Iran ist rund 2000 Kilometer entfernt. Wird eine ballistische Rakete abgefeuert, dauert es neun Minuten, bis sie hier einschlägt. Bei Drohnen sind es mehrere Stunden. Das verschafft uns Zeit, um uns in Sicherheit zu bringen.

Nahost-Experte überrascht Angriff-Zeitpunkt – aber nicht Israels Absicht
Hat Sie der Angriff überrascht?
Was den Zeitpunkt betrifft: ja. Was die Absicht betrifft: nein. Es war klar, dass das irgendwann passieren würde. Der Angriff geschah übrigens am 61. Tag nach dem 12. April – jenem Tag, an dem Trump angekündigt hatte, es gebe 60 Tage für Verhandlungen mit dem Iran, andernfalls werde es zu einer Eskalation kommen. Das sollten wir im Blick behalten.
Sie haben also mit einem Angriff dieser Härte gerechnet?
Überraschend war vor allem die Präzision der Angriffe – die gezielte Ausschaltung der militärischen Führung und mehrerer Atomwissenschaftler. Die Schläge waren so punktgenau, dass man nicht mal ganze Gebäude, sondern einzelne Wohnungen getroffen hat. Damit hat kaum jemand gerechnet, nicht einmal Experten.
Aber Israel hat das von langer Hand geplant?
Das ist nichts, was gestern entschieden wurde – diese Operation läuft seit Jahren. Offenbar ist Israel sehr tief in die iranischen Nachrichtendienste eingedrungen.
Sorge ist Groß: Israelis rechnen mit schwerem Angriff – „Menschen hier sind kriegserprobt“
Netanjahu hat die Israelis dazu aufgerufen, sich mit Vorräten zu versorgen, um lange in Schutzräumen ausharren zu können. Was macht das mit der Bevölkerung?
Die Menschen hier sind kriegserprobt – nicht erst seit dem 7. Oktober, aber seither besonders. Eine Woche ohne Raketenalarm ist mittlerweile eher ungewöhnlich, zuletzt waren es Angriffe von den Huthis aus dem Jemen. Fast jede Familie hat einen Schutzraum oder weiß zumindest, wo sich einer befindet. Mental sind die Menschen hier auf alles vorbereitet.
Der Chef der israelischen Armee rechnet mit höheren Opferzahlen als bei früheren Angriffen. Macht Ihnen das Angst?
Ich würde eher sagen: Sorge. Natürlich macht man sich Gedanken. Niemand möchte seine Familie oder sich selbst in Gefahr bringen. Aber die Bedrohung durch den Iran ist heute nicht größer als vor dem 7. Oktober – sie ist sogar geringer. Damals war Israel umzingelt: die Hisbollah im Norden, die Hamas im Süden, dazu noch syrische Milizen, alle vom Iran unterstützt. Diese Bedrohung besteht so nicht mehr. Die größte Angst ist also ein nuklear bewaffneter Iran – und genau das versucht Israel gerade zu verhindern. Diese Sorge wiegt hier schwerer als die unmittelbare persönliche Angst vor dem nächsten Gegenschlag Teherans.
Israel ist bereit, dieses Risiko einzugehen.
Nächste Eskalationsstufe zwischen Israel und Iran: Offener, direkter Konflikt
Netanjahu sprach von einem „Eröffnungsschlag“. Was hat er vor? Kommt jetzt der große Krieg?
Ich denke, den gibt es bereits. Die letzten beiden Angriffe – im April und im Oktober 2024 – waren schon direkte Konfrontationen zwischen Israel und dem Iran. Vorher lief das alles über Stellvertreter. Jetzt befinden wir uns in einem offenen Konflikt, und das hier ist die nächste, große Eskalationsstufe.
Israel hat viele mächtige Männer getötet, darunter den Chef der Revolutionsgarden. Was bedeutet das für den Iran?
Zunächst steht Teheran unter Schock. Aber der Iran ist ein großes Land mit einer breit aufgestellten militärischen Struktur – diese Leute können ersetzt werden, und es sind bereits erste Namen gefallen. Bei Terrororganisationen ist es einfacher, mit der Ausschaltung der Führung eine gesamte Struktur lahmzulegen. Beim Iran ist das anders. Trotzdem sitzt dieser Schlag tief, und es wird eine Weile dauern, bis sich der Iran davon erholen und zurückschlagen kann.
Stimmt es, dass Israel den Iran tatsächlich an der Entwicklung von Atomwaffen gehindert hat?
Das ist noch zu früh zu sagen. Jedenfalls wurden nicht nur Anlagen, sondern auch Schlüsselpersonen in der Entwicklung getroffen. Aber ob das Programm wirklich vollständig gestoppt wurde und wie weit man es zurückgeworfen hat, wird sich erst in den nächsten Tagen oder Wochen zeigen.
Die Rolle der USA: Kein aktiver Konfliktteilnehmer – außer der Iran greift US-Ziele an
Welche Rolle spielte Washington bei dem Angriff?
Die Amerikaner wussten offenbar von den Plänen, haben sie aber nicht unterstützt – zumindest nicht operativ. Jetzt bleibt abzuwarten, wie sie reagieren, wenn der iranische Gegenschlag massiv ausfällt.
Wird der Iran auch US-Ziele angreifen?
In diesem Fall wären die Amerikaner unmittelbar involviert – und das würde eine neue Eskalationsstufe bedeuten. Der Iran ist derzeit so schwach, dass er das wohl vermeiden will. Aber ausschließen kann man es nicht.
Zwischen Israel und dem Iran liegen noch Irak, Syrien, Jordanien und Saudi-Arabien. Wie reagieren diese Länder?
Saudi-Arabien hat den Iran verteidigt und Israel kritisiert – das hat sicher viele Facetten, da die Saudis als Verbündete der USA gelten. Jordanien hat iranische Drohnen abgefangen, die über seinen Luftraum flogen. Was die Länder in der Region eint, ist die Sorge, in diese Eskalation hineingezogen zu werden. Ausschließen kann man das nicht.
In Israel gibt es großen Rückhalt für den Iran-Angriff – aber jetzt kämpft Israel an mehreren Fronten
Netanjahu hatte zuletzt viel Unterstützung verloren, international, aber auch unter den Israelis wächst die Kritik am Gaza-Krieg. War der Schlag ein kluger Schachzug?
Wenn man mit Menschen hier spricht – in Politik, Gesellschaft, vom rechten bis zum linken Spektrum –, hört man eine recht einheitliche Meinung: Ein nuklear bewaffneter Iran ist nicht akzeptabel, dagegen muss man etwas unternehmen. Auch die Opposition trägt diesen Kurs mit. Ich glaube nicht, dass dieser Angriff mit der Kriegsführung in Gaza in Verbindung gebracht wird.
Nun brennt es aber an mehreren Fronten. Gerät Israel nicht an die Grenze seiner Kapazitäten?
Vor dem 7. Oktober 2023 hätte ich das bejaht. Aber heute ist Israel militärisch besser aufgestellt als zuvor. Und die Bereitschaft, Kompromisse bei der Sicherheit oder Existenz Israels einzugehen – wie es vor dem Überfall der Hamas vielleicht noch der Fall war – ist inzwischen sehr gering. Israel ist bereit, dieses Risiko einzugehen.