EU-Staaten weiter von Russlands Gas abhängig: Polen hat einen klaren Plan für fossilfreie Energie in der EU
Im Zuge von Polens EU-Ratspräsidentschaft wirbt Premierminister Tusk für Atomkraft zur EU-Energieversorgung. So soll es gelingen, unabhängig von russischem Gas zu werden.
Warschau – Im Dezember übernahm Polen die EU-Ratspräsidentschaft, die im Sechs-Monatsrhythmus zwischen den 27 EU-Staaten wechselt, von Ungarn. Damit obliegt es Polens Regierung, das politische und wirtschaftliche Profil der EU entscheidend zu prägen, wofür sie bis zum Sommer rund 1000 Ministertreffen in Brüssel und Warschau plant. Unter dem Motto „Sicherheit, Europa!“ verfolgt Polen dabei einen Ausbau der europäischen Sicherheitspolitik mit Blick auf Russland. Premierminister Donald Tusk forderte von den EU-Staaten vor Kurzem etwa eine Erhöhung ihrer Rüstungsetats.
Einige EU-Staaten beziehen trotz Sanktionen weiter Gas aus Russland
Doch auch wirtschaftlich will Polen die Unabhängigkeit der EU-Staaten von Russland anregen. Und das vor allem im Energiesektor: Bis 2027 soll die EU unabhängig von russischer Energie werden. Weil Europa aber auch fast drei Jahre nach Beginn des Ukraine-Kriegs immer noch Erdgas aus Russland bezieht, bringt Polen nun die Energieerzeugung aus preiswerteren Quellen in die Debatte ein.
Anfang September zeigten Daten der Brüsseler Beratungsgesellschaft Bruegel, dass die EU-Staaten erstmals seit zwei Jahren mehr Gas aus Russland importierten als aus den USA. Das bewog unter anderem CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen, im September (1. September 2024) gegenüber der Welt ein EU-weites Importverbot für russisches Gas zu fordern: „Die Europäer unterstützen die Ukraine mit Milliarden und zahlen gleichzeitig Milliarden in die Kriegskasse Putins – das ist weder verantwortlich noch rational, noch glaubwürdig“, sagte Röttgen damals.

Die ARD-Tagesschau berichtete Mitte November (10. November 2024), allein 2023 hätte Russland rund 12,5 Milliarden Euro mittels Gasimporten in die EU eingenommen. Die EU-Importe von russischem Gas waren dabei aber auch auf Initiative von Ungarns Präsidenten Viktor Orbán angezogen: Der hatte im Frühjahr des Vorjahrs zusätzliche Lieferverträge mit Russland in Gang gesetzt, etwa mit dem russischen Versorger Gazprom.
Polen will Atomkraft in der EU-Energieversorgung wieder etablieren
Der ungarischen Linie der EU-Ratspräsidentschaft, die unter dem Motto „MEGA“ („Make Europe Great Again“) stand – in Anlehnung auf Trumps MAGA-Bewegung („Make America Great Again“) – will Polen nun etwas Entscheidendes entgegensetzen. Und gerade eine Energiequelle, die in Zeiten der Energiewende zumindest in Deutschland ausgedient hat, soll es dabei richten. Mit dem Ziel günstigerer Energie und Unabhängigkeit von Russland nimmt Polen Kurs auf Energiegewinnung mittels Atomkraftwerken. Das geht aus einem vertraulichen Brief der polnischen Regierung an Europas Wirtschafts- und Finanzminister hervor, über den die Welt nun berichtete.
Meine news
In ihm wirbt Polens Regierung unter Premierminister Tusk für Atomkraftwerke als Energiequellen. „Die traditionelle Kernenergie ist wichtig für die Energiewende und sollte Teil der europäischen Strategie sein“, heißt es darin. „Kostengünstige und zuverlässige Energie ist entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit Europas.“
In Polen selbst hat die Verfeuerung von Kohle zur Strom- und Wärmeerzeugung den europaweit größten Anteil am Strommix, laut dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz basierte Polens Bruttoenergiemix 2022 zu 42 Prozent auf Kohle. Polens Strommix bestand 2023 zu 63 Prozent aus Kohle, im Jahr zuvor hatte sie noch über 70 Prozent des polnischen Strommixes ausgemacht. Der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromversorgung stieg jedoch und deutlich und lag im Vorjahr bei 27 Prozent.
Auslaufender Transitvertrag könnte Gaspreise in drei EU-Ländern steigen lassen
Das russische Gas floss bisher sogar durch Pipelines in der Ukraine nach Europa, zum Jahreswechsel jedoch endete der russisch-ukrainische Transitvertrag, nachdem er im Sommer von der Ukraine aufgekündigt worden war. 15 Milliarden Kubikmeter russisches Gas gelangten auf diesem Wege im Vorjahr nach Europa, wie Daten des Verbands Europäischer Fernleitungsnetzbetreiber für Gas (ENTSOG) zeigen, über die das ZDF berichtete.
Bezogen wurde es von Ungarn, der Slowakei und Österreich. Die könnten zwar auch Gas von anderen EU-Ländern importieren – wie etwa Flüssigerdgas (LNG) – das wäre jedoch um einiges teurer, berichtete der Deutschlandfunk. Georg Zachmann, Energiepolitik-Experte am Helmholtz-Zentrum in Berlin und bei der Brüsseler Denkfabrik Bruegel, geht angesichts des Transitstopps von steigenden Gaspreisen in den drei Ländern aus. „Die Slowakei ist hier unter den EU-Staaten am stärksten betroffen, da sie Gas nur über die betroffene Pipeline über die Ukraine bezog“, sagte Zachmann dem Deutschlandfunk. Jedoch dürfte es angesichts der Anbindung an europäische Pipelines moderat ausfallen.
Die Versorgungssicherheit der EU mit Gas sei aber auch im kommenden Winter nicht gefährdet: Denn russisches Gas mache 15 Prozent der EU-Versorgung aus, und davon kämen nur fünf Prozent über Pipelines aus der Ukraine, was etwa durch LNG-Importe ersetzt werden könne. Auch seitens der EU-Ratspräsidentschaft hieß es, es sei „keine bemerkenswerte Erhöhung der Gaspreise“ festgestellt worden.
Polen plant in der eigenen Energieversorgung langfristig mit Atomkraft
Importen von russischem Gas will Polen mit seinem langfristigen Kurs in Richtung Atomkraft aus dem Weg gehen. Das erste AKW des Landes soll am Osteestrand entstehen, in der Gemeinde Choczewo. Hier wurden aktuell bereits Hunderte Hektar Wald gerodet, wie der Südwestdeutsche Rundfunk (SWR) nun berichtete.
Die Bauarbeiten am AKW sollen im kommenden Jahr beginnen, 2033 soll der Meiler Choczewo dann ans Netz gehen, wie das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz informiert. Bis 2043 sollen in Polen an zwei Standorten insgesamt sechs Blöcke mit einer Gesamtkapazität von 6 bis 9 Gigawatt (GW) entstehen. (fh)