Deutschland kürzt bei Entwicklungszusammenarbeit – dabei profitieren wir alle
Die Koalitionsverhandlungen sind vorbei – und mit ihnen die Entscheidung, wie ernst es der neuen Bundesregierung mit globaler Verantwortung ist. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) bleibt bestehen und viele Prioritäten wurden richtig erkannt. Doch die öffentlichen Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit (ODA) sollen weiter gesenkt werden.
Diese Entscheidung wird weitreichende Auswirkungen haben – besonders für konfliktbetroffene Frauen weltweit. Schon der Haushaltsentwurf für 2025 sieht drastische Einschnitte vor. Gleichzeitig wird die offiziell gemeldete ODA-Quote – also der Anteil des Bruttonationaleinkommens, den Deutschland für Entwicklungszusammenarbeit bereitstellt – schöngerechnet.
Deutschland gibt weniger für Entwicklungszusammenarbeit aus
Dabei hat sich Deutschland, wie viele andere Geberländer, international verpflichtet, jährlich mindestens 0,7 Prozent seines Bruttonationaleinkommens für Entwicklungszusammenarbeit aufzuwenden.
Ähnlich wie bei der Nato, wo ein Richtwert von 2 Prozent für Verteidigungsausgaben gilt, dient auch diese Quote als Maßstab für das internationale Engagement. Im Jahr 2023 lag Deutschland mit einer ODA-Quote von 0,82 Prozent über dem vereinbarten Ziel. Rund ein Fünftel dieser Mittel wurde allerdings für die Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten im Inland aufgewendet.
Dem gegenüber steht ein Rückzug der wichtigsten internationalen Geber – USA und Großbritannien – und vor allem: 700 Millionen Menschen in extremer Armut, 300 Millionen Menschen, die auf Humanitäre Hilfe angewiesen sind und 100 Millionen Menschen, die auf der Flucht sind (Venro, März 2025).

Über die Artikelreihe
Caroline Kent ist Geschäftsführerin von Women for Women International Deutschland. Die Organisation unterstützt Frauen in Konflikt- und Krisenregionen dabei, sich eine selbstbestimmte Zukunft aufzubauen – durch Bildung, wirtschaftliche Stärkung und psychosoziale Begleitung. Ihre Arbeit zeigt: Investitionen in Frauen im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit sind essenziell für nachhaltige globale Entwicklung, Stabilität und Frieden. In diesem Jahr war sie Jury-Mitglied des "Constructive World Award" 2025.
Der "Constructive World Award" wurde 2023 von FOCUS online ins Leben gerufen. Mit dem Award soll die gesellschaftliche und journalistische Arbeit derjenigen gewürdigt werden, die unsere Welt konstruktiv nach vorne denken und bewegen.
Die Gewinnerinnen und Gewinner des "Constructive World Awards" werden auf einer feierlichen Veranstaltung am 5. Juni 2025 in Berlin bekannt gegeben.
In einer Reihe von Gastbeiträgen bringen die Jury-Mitglieder ihre Sicht und Ideen für die Lösung von gesellschaftlichen Problemen ein.
Wenn Frauen gestärkt werden, profitiert die ganze Gesellschaft
Wir von Women for Women International begleiten Frauen in den schwierigsten Momenten ihres Lebens. Die Frauen, mit denen wir arbeiten, haben Krieg, sexualisierte Gewalt und Vertreibung überlebt. In unseren Programmen erhalten sie Zugang zu Bildung, wirtschaftlicher Selbstständigkeit und psychosozialer Unterstützung.
Viele der Frauen erzählen uns, dass insbesondere die Möglichkeiten, sich in den Schulungszentren in einem sicheren Umfeld miteinander auszutauschen, gemeinsam zu lernen und Freundschaften zu knüpfen, ihnen inmitten von Krisen sehr viel bedeutet. All diese Unterstützungsmöglichkeiten könnten durch Kürzungen der öffentlichen Gelder nun ins Wanken geraten.
In Nord-Nigeria zum Beispiel konnten wir durch gezielte Unterstützung über 1.000 Frauen dabei begleiten, ihre eigenen Kleinunternehmen aufzubauen – vom Marktstand bis zur Schneiderei. Eine dieser Frauen, Dada, war nach einem Überfall durch Boko Haram mit ihren Kindern allein zurückgeblieben. Heute leitet sie eine Kooperative, bildet andere Frauen aus – und finanziert den Schulbesuch ihrer Töchter selbst.

Der VR-Film “Through Dada’s Eyes” gibt einen Einblick in Dadas Leben in Nigeria: Jetzt hier auf YouTube ansehen.
In echte Veränderungen investieren
Solche Geschichten sind kein Einzelfall. Sie sind möglich, weil Länder wie Deutschland in echte Veränderung investieren. Durch unsere Arbeit in Konfliktregionen und den Austausch mit den Frauen und Partnerorganisationen vor Ort wissen wir, dass eine Gruppe die Kürzungen in der Entwicklungszusammenarbeit ganz besonders zu spüren bekommt: Frauen wie Dada.
Deutschland zählt zu den bedeutendsten Gebern in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit. Als zweitgrößter bilateraler Geber öffentlicher Mittel entfaltet das Land sowohl politisch als auch praktisch eine enorme Wirkung. Mit deutscher Unterstützung konnten in einigen der ärmsten Länder der Welt in den vergangenen zwei Jahrzehnten unter anderem Kinder- und Müttersterblichkeit deutlich gesenkt werden.
Durch partnerschaftliche Zusammenarbeit bringt Deutschland zudem wertvolle Expertise in den Wiederaufbau von Gesellschaften nach Konflikten und Kriegen ein. Die eigene Geschichte – insbesondere die internationale Hilfe beim Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg – prägt Deutschlands Rolle als glaubwürdiger und engagierter Partner in der Entwicklungszusammenarbeit.
Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier unterstrich bei einem Besuch der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit in Bonn, dass Entwicklungszusammenarbeit ein zentraler Beitrag zur Bewältigung globaler Herausforderungen sei – und letztlich auch Deutschland selbst davon profitiere.
Krisen brauchen Lösungen – und zwar jetzt
Wenn Deutschland sich zurückzieht, folgen andere. Wenn Deutschland kürzt, fehlen Millionen in Bildungsprogrammen, Frauenförderung, medizinischer Hilfe. Und wenn Deutschland Entwicklung als Nebensache behandelt, untergräbt es nicht nur Vertrauen bei internationalen Partnern – sondern auch seine eigene Glaubwürdigkeit als "verlässlicher Akteur" für Frieden und Menschenrechte. Und wen das noch nicht überzeugt – es ist wirtschaftlich für alle sinnvoll, in Entwicklungszusammenarbeit zu investieren.
Besonders Investitionen in Frauen lohnen sich: 2024 prognostizierte McKinsey auf dem Weltwirtschaftsforum, dass die Weltwirtschaft in 15 Jahren um eine Billion Dollar jährlich wachsen könnte, wenn die Weltgemeinschaft in die Gesundheit von Frauen investiert.
Gerade jetzt, in einer Welt voller Krisen – von Gaza über den Sudan bis zur Ukraine – braucht es Stabilität und mutige Investitionen. Entwicklungszusammenarbeit ist unerlässlich, um Gewalt zu verhindern, Armut zu bekämpfen und Frauen den Raum zu geben, aktiv an Friedensprozessen mitzuwirken.
Wir brauchen Mut, nicht Rückzug
Wir setzen uns dafür ein, an dem Versprechen festzuhalten, 0,7 % des Bruttonationaleinkommens in Entwicklungszusammenarbeit zu investieren. Gerade Frauen in Krisenregionen sind auf diese Unterstützung angewiesen – und sie setzen sie gezielt und wirkungsvoll ein. Jeder Euro, den Deutschland investiert, hat das Potenzial, Leben zu verändern. Nicht irgendwann. Sondern jetzt.
Dabei ist es ebenso wichtig, bestehende Strukturen und Prozesse in der Entwicklungszusammenarbeit regelmäßig zu hinterfragen. Auch bei der Betrachtung der ODA-Quote lohnt ein genauerer Blick: Während Deutschland offiziell über dem international vereinbarten Ziel liegt, fließt ein nicht unerheblicher Teil der gemeldeten Mittel in Ausgaben innerhalb des eigenen Landes. Das zeigt, wie wichtig es ist, nicht nur auf Zahlen zu schauen, sondern auch auf die tatsächliche Wirkung der eingesetzten Mittel in den Partnerländern.
Nur so stellen wir sicher, dass die Hilfe tatsächlich dort ankommt, wo sie gebraucht wird – wirksam, partnerschaftlich und nachhaltig.
Über Women for Women International
Wenn Krieg ausbricht, leiden Frauen oft am meisten darunter – sie müssen Traumata, sexualisierte Gewalt und den Tod ihrer Angehörigen erleben. Wenn der Konflikt schließlich vorbei ist, bewegt sich die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit weiter und es fällt den zurückgebliebenen Frauen zu, ihre Familien und Gemeinschaften wiederaufzubauen.
Women for Women International unterstützt Frauen, die an einigen der gefährlichsten Orte der Welt leben. Diese Frauen schreiben sich in unserem einjährigen Programm ein. Hier lernen sie, wie sie Geld verdienen und sparen können, die Gesundheit ihrer Familie verbessern und wie ihre Stimmen gehört werden – zu Hause und in ihrer Gemeinschaft.
Mehr Informationen unter:
https://www.womenforwomeninternational.de
@WomenforWomenDE