Auslaufpflicht im Winter: Widerstand im Oberland gegen Tierschutzgesetzentwurf aus Berlin

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Ortstermin in Burggen: Bauern und Politiker machen sich für die Kombihaltung stark. Insbesondere der verpflichtende Zugang zu einem Freigelände zweimal pro Woche sorgt für Kopfschütteln. Die Idee müsse von jemandem stammen, der von der Praxis und Tierwohl keine Ahnung hat, hieß es. © Schorer

Post aus dem Oberland für Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne): Nach mehreren Aktionen Ende vergangenen Jahres, den Protesten im Frühjahr und einer zwischenzeitlichen Nachbesserung an einem Gesetzentwurf legen die Bauern nach. Sie fordern dessen erneute Überarbeitung. Denn dieser sieht vor, dass Kühe im Winter zweimal wöchentlich Auslauf bekommen sollen. Nachdem Landrat Anton Speer und zahlreiche Bürgermeister im Landkreis Garmisch-Partenkirchen jüngst in Altenau mit einem offenen Brief vorlegten, taten es ihnen die Kollegen aus dem Landkreis Weilheim-Schongau am Freitag vergangener Woche gleich.

Region – Ein Hauptproblem sah Georg Holzer, BBV-Kreisobmann Starnberg, im Zug der Bauernproteste schon im Frühjahr im geplanten Tierschutzgesetz mit Verbot der Anbindehaltung. Es brauche fachliche Zugeständnisse und Bürokratieabbau, bekräftigte sein Miesbacher Kollege Josef Huber damals (wir berichteten).

Nun beklagt Stefan Gabler, Leiter des Amts für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Weilheim, wieder: „Das haben sich Leute ausgedacht, die keine Ahnung von der Praxis haben“. Sein Unmut richtet sich gegen Berlin und einen Passus im neuen Tierschutzgesetz.

„Rettet Berta“ hatte der Bayerische Bauernverband (BBV) im Herbst appelliert. Damals war zur Debatte gestanden, das Anbinden von Tieren per Gesetz generell zu verbieten. Auch die Kombihaltung, bei der die Rinder sich zeitweise angebunden im Stall, ansonsten aber auf der Weide oder im Laufhof aufhalten, hätte dann nur noch fünf Jahre Schonfrist bekommen. Doch nicht nur „Berta“ wäre vor dem Schlachthof zu retten gewesen, sondern auch viele Höfe vor dem Aus. 13.000 seiner Kleinbauern, etwa die Hälfte der Milchviehhalter, beträfe das Verbot der Anbindehaltung, schätzte der BBV, auch im Landkreis Weilheim-Schongau.

Das hätte eine sich deutlich verändernde Kulturlandschaft zur Folge gehabt, samt schwindender Biodiversität, so die Warnung. Peter Erhard, Bürgermeister von Böbing (Weilheim-Schongau), befürchtete einen „brutalen Strukturwandel“, brachliegende oder umgenutzte Hofstellen und die Verödung von Dorfkernen. Der Tourismusverband Pfaffenwinkel teilte diese Sorgen.

Änderung geht nicht weit genug

Ende April dann Neuigkeiten aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium: Ein überarbeiteter Referentenentwurf sieht nun vor, dass die reine Anbindehaltung in zehn Jahren ausläuft. Die Kombihaltung für kleinstrukturierte Landwirtschaft soll erlaubt bleiben. Allerdings: „Die Tiere müssen auch außerhalb der Weidesaison zweimal pro Woche Auslauf erhalten.“

Ein Schmarrn, findet das AELF Weilheim. In seinem Gebiet wurden 2022 rund 46.000 Kühe gehalten: Etwa 7.300 im Landkreis Garmisch-Partenkirchen (Durchschnittszahl je Halter: 16,8), knapp 35.000 in Weilheim-Schongau (34,0) und fast 4.300 im Landkreis Starnberg (33,2). Im Haupterwerb wurden gut 40 Prozent der Betriebe geführt (Garmisch-Partenkirchen: 22 Prozent; Weilheim-Schongau: 49; Starnberg: 50). Behördenleiter Gabler befürchtet „dramatische Auswirkungen für das Alpenvorland“.

Kombihaltung: Die rund 30 Kühe von Familie Lang in Burggen sind im Sommer auf der Weide; abends und im Winter kehren sie in den Stall in der Mitte des Dorfs zurück.
Kombihaltung: Die rund 30 Kühe von Familie Lang in Burggen sind im Sommer auf der Weide; abends und im Winter kehren sie in den Stall in der Mitte des Dorfs zurück. © AELF

Mitten in Burggen (Weilheim-Schongau) liegt der Hof von Iris (57) und Christian Lang (59). 37 Hektar, davon 17 eigene, bewirtschaftet die Familie. Passt das Wetter, sind ihre 32 Milchkühe von April bis November täglich für sechs bis acht Stunden auf der Weide. Der Weg dorthin und zurück ist für die Familie mit einigem Aufwand verbunden. Über Nacht draußen bleiben die Tiere einen bis eineinhalb Monate im Hochsommer.

Kombihaltung: Die rund 30 Kühe von Familie Lang in Burggen sind im Sommer auf der Weide; abends und im Winter kehren sie in den Stall in der Mitte des Dorfs zurück.
Kombihaltung: Die rund 30 Kühe von Familie Lang in Burggen sind im Sommer auf der Weide; abends und im Winter kehren sie in den Stall in der Mitte des Dorfs zurück. © AELF

Wenn es im Frühling wieder rausgeht und die Sonne lacht, ist ihre Freude sichtbar. Bei schlechtem Wetter sehe das ganz anders aus, „da wollen Kühe gar nicht“, so Gabler. Im Winter bestehe zudem aufgrund von Schnee und Eis, Salz und Splitt Verletzungsgefahr. Erhöht wird diese durch die Rangkämpfe der Tiere untereinander. Im Sommer ausgekartelt, brächen sie beim Winter-Auslauf wieder aus. „Da ist dann Alarm“, so Christian Lang.

Noch dazu geht es ihm wie vielen Bauern: Wohin eigentlich im Winter mit den Tieren? Auf dem Hof mitten im Dorf ist kein Platz.

Lösung Laufstall?

Lösung Laufstall also? Schwierig. Die Kosten für einen kompletten Neubau liegen bei 1,5 Millionen Euro, schätzt Konrad Knoll. Innerhalb einer Generation sei das kaum zu schultern. Das Bundeslandwirtschaftsministerium stellt zwar eine Förderung in Aussicht. „Das rentiert sich aber erst ab 50 Kühen“, sagt der Berater vom Landwirtschaftsamt.

Dazu komme ein erhöhter Energie-, Platz- und Rohstoffbedarf. Der „Konkurrenzkampf um die Flächen“ nehme dann deutlich an Fahrt auf. „Es hat halt alles Vor- und Nachteile“, so Knoll. Stärke der Kombihaltung sei unter anderem ihr extensives Wirtschaften, verbunden mit weniger Druck. Freilich lasse sich auch der ein oder andere Anbinde- zum Laufstall umfunktionieren. Folge sei aber eine nur noch halb so große Viehzahl.

Es sei Zeit für ein erneutes Einlenken in Berlin, mahnt AELF-Leiter Gabler. Und zwar rasch. Das Bundeskabinett habe den Gesetzentwurf bereits Ende April durchgewunken, es folgt das parlamentarische Verfahren. Ihre Stimme wollen Landräte und Bürgermeister im Oberland erheben. „Um unser Modell Kombihaltung mit Sommerweidegang dauerhaft erhalten zu können, muss im novellierten Tierschutzgesetz auf die Vorgabe verzichtet werden, dass die Tiere im Winter zwingend Zugang zu einem ‚Freigelände‘ haben müssen“, heißt es in den Schreiben aus den Landkreisen Garmisch-Partenkirchen und Weilheim-Schongau, die Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir zugingen. „Es geht um die bäuerliche Landwirtschaft bei uns und bundesweit“, fasste Weilheim-Schongaus Landrätin Andrea Jochner-Weiß ihre Sicht zusammen.

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