Wohnraum für Weißstörche wird knapp in größter Brutkolonie Südbayerns
Der Frühling naht! In Raisting sind die vielen Weißstörche, die aus südlichen Gefilden in ihre Horste zurückkehren, ein Indiz dafür. Die Freude ist groß bei Bewohnern und Ausflüglern über die langbeinigen Rotschnäbel in der größten Brutkolonie Südbayerns. Doch nimmt die Population langsam überhand? Vergangenes Jahr wurden 73 Jungstörche flügge. Wo sollen sie künftig brüten?
Raisting - Seit 3. Februar werden die Raistinger morgens nicht mehr von den Kirchenglocken, sondern von den gefiederten Frühaufstehern geweckt. Grazil legen sie den Kopf in den Nacken und klappern mit ihrem Schnabel, was das Zeug hält – ein Ausdruck von Lebensfreude und ein Signal für Konkurrenten, Abstand zu wahren.
Rund vierzig Störche wurden dieser Tage bereits gezählt. Die ersten kamen etwa zwei Wochen früher als 2023. „Es sind schon fast alle Horste belegt“, erklärt der Weißstorchbeauftragte des Landesbunds für Vogelschutz (LBV), Wolfgang Bechtel aus Herrsching. Und er kündigt weiteren Zuzug auf Raistings Dächern an. Bis Anfang Mai rechnet er mit Neuankömmlingen.
27 Storchenpaare registrierte Bechtel vergangenes Jahr in dem Ort, dazu – dank des guten Wetters – 73 flügge Jung-
störche. Rund 1.200 Störche wurden 2023 in Bayern gezählt, das sind etwa zwanzig Prozent mehr als im Vorjahr.
Die Störche, die gerade im Landeanflug auf Raisting sind, haben meist in der Schweiz, in Spanien oder Marokko überwintert. Die jungen Störche fliegen im Herbst meist weiter als die älteren, erklärt Bechtel. Das bestätigt Storchendame Hui Buh. Das sechsjährige Tier wurde 2022 mit einem Sender ausgestattet, mit dem seither ihre Flug-
routen nachverfolgt werden. Demnach ist Hui Buh 2022 bis Nordostspanien geflogen und 2023 nur mehr bis in die Region Bern in der Schweiz. In Raisting hat die Senderstörchin ihr Domizil auf dem Dach des Heimatmuseums.
Weil das Wetter vergangenes Jahr in Raisting lange angenehm war, traten zahlreiche Tiere erst nach dem Wintereinbruch im Dezember die Reise gen Süden an. „Bis minus 20 Grad halten sie aus“, weiß Bechtel. Wären die riesigen Schneemassen ausgeblieben, hätte ein Trupp den Winter vermutlich sogar in Bayern verbracht.
Storch vom Blitz getroffen
Seit Jahren kümmert sich Bechtel in der Region um die Störche, beobachtet, zählt und fotografiert sie und gibt die Daten an den LBV weiter. Das tut er mit Freude. Doch dabei erlebt er auch unschöne Momente. Wenn er verletze Tiere zur Auffangstation oder verendete Tiere zur Tierkörperverwertung bringen muss. Fünf Störche starben 2023 bei Autounfällen, von drei weiteren hat er gehört. An einem Hausgiebel wurde ein Storch von einem Blitz getroffen und zwei Jung-Störche überlebten einen Sturm nicht, bei dem sie samt Horst zu Boden fielen.
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Dass die größer werdende Zahl an gefiederten Gästen in Raisting dem Insekten-Bestand gefährlich werden könnte, glaubt Bechtel nicht. Mäuse, Würmer, Frösche, Heuschrecken und andere Insekten stehen auf dem Speiseplan der Störche. Davon sei genug vorhanden im „Futterbecken Ammersee“, einem intensiv genutzten Grünland. Das bestätigt LBV Bayern-Pressereferentin Stefanie Bernhardt. Es sei nicht bekannt, dass Insekten wegen der Störche weniger würden. Störche ernährten sich mehr von kleinen Säugetieren wie Mäusen und Amphibien wie Fröschen.
Neben den Brutpaaren genießen in Raisting wohl auch dieses Jahr zig „Halbwüchsige“ den Sommer. So nennt Bechtel die Tiere, die in den ersten beiden Jahren noch nicht brüten. Was passiert, wenn der üppige Nachwuchs der vergangenen beiden Jahre in Raisting einen Brutplatz sucht? „Der Wohnraum wird sehr knapp“, vermutet der Experte. Er nimmt an, dass die Störche dann auf Nachbarorte ausweichen.
In Raisting gibt es dieses Jahr bereits sieben Horste weniger als im Vorjahr. Bautätigkeiten, neue Heizanlagen und Baumfällungen seien Gründe gewesen, weshalb vier Horste mit Genehmigung der Regierung von Oberbayern entfernt wurden. Andere fegten Sturm und Schneelast von den Dächern oder wurden illegal entfernt.
In Polling hat Bechtel im vergangenen Jahr einen Zuwachs von einem auf neun Storchenpaare registriert. „Das könnte ich mir auch in anderen Orten vorstellen“, sagt er. Normalerweise verhindern Storchenpaare das Ansiedeln weiterer Störche in einem Ort. Doch das gelingt nicht immer. Raisting liefert den Beweis dafür.
Bechtel hat Verständnis dafür, wenn Bürger auf ihrem Dach keinen Storch haben wollen. „Der Storch schmutzt“, das allein sei jedoch kein Grund, einen Horst ohne Genehmigung abzunehmen. Weißstörche sind geschützt, aber nicht mehr gefährdet. Deshalb ergreift der LBV keine Maßnahmen mehr, um den Tieren das Brüten zu erleichtern. Sie weichen auf Strommasten, Kamine, Giebel und gekappte Baumwipfel aus.
Wer wissen möchte, ob Storchenpaare schon brüten oder Jungtiere geschlüpft sind, dem rät Bechtel, das Verhalten der Störche zu lesen. Fliegen sie länger als zehn Minuten aus, „ist noch kein Ei da“. Senken sie den Kopf nach Eintreffen im Horst, kann davon ausgegangen werden, dass Junge im Nest sitzen und gefüttert werden.