Eine Analyse von Ulrich Reitz - Die Grünen gehen nicht mehr weg - dank Friedrich Merz
Robert Habeck lobt das Schuldenpaket. Es sei eine „Frechheit“ gewesen, mit dem sogenannten Infrastrukturpaket, im ersten Versuch, Milliarden für Wahlgeschenke lockerzumachen. Das richtet sich vor allem gegen die SPD.
Annalena Baerbock lobt das Schuldenpaket. Es sei gut, dass nun sehr viel zusätzliches Geld für die auf dem Schlachtfeld unter Druck stehende Ukraine lockergemacht werden könne. Die Staats- und Regierungschefs der EU mögen dies doch bitte beschließen an diesem Donnerstag.
Neue Schulden für die Ukraine, dies in einem Moment, in dem US-Präsident Donald Trump zusammen mit Russlands Diktator Wladimir Putin einen Frieden verhandelt, entspricht der Haltung der Grünen. Insofern ist das ehrlich.
Hyperkoalition aus Union, SPD und Grünen
Neue Schulden für die Ukraine, die hat der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter schon vor vielen Monaten gefordert. Dafür musste er sich von seinem Parteivorsitzenden abkanzeln lassen: „Einzelmeinung“, befand Friedrich Merz.
Die Einzelmeinung hat eine gewaltige Karriere hinter sich. Sie ist jetzt “HyKo”-Meinung – die Ansicht einer Hyperkoalition aus Union, SPD und Grünen.
Sie hat allerdings einen Makel: Diese wesentliche außen- und finanzpolitische Weichenstellung stand bei der Bundestagswahl gar nicht zur Auswahl. Sie sollte auch nicht zur Auswahl stehen, jedenfalls sollte auf keinen Fall ein Unionswähler durch die Aussicht irritiert werden, dass seine Partei mehr Schulden aus seinen Steuern zugunsten der Ukraine macht.
CDU-Mann Kiesewetter und seine Ukraine-Ansage
Bei Markus Lanz im ZDF wurde Kiesewetter gefragt, weshalb seine Partei dies den Wählern verschwiegen habe. Wohlgemerkt: Kiesewetter selbst hat gar nichts verschwiegen. Er hat seinen Wählern in seinem Wahlkreis reinen Wein eingeschenkt über seine Ansichten. Und wurde dafür ausgestattet mit einem Direktmandat.
Er war, soweit wir das hier überschauen können, tatsächlich der einzige CDU-Politiker. Kiesewetter ist ein besonderer Politiker: Er versucht, ohne Lügen durchs Leben zu kommen. Seine Partei habe über Schulden für die Ukraine nicht reden wollen, um die Wähler in Ostdeutschland nicht zu irritieren, führte Kiesewetter aus.
Wie werden sich die Wähler in Ostdeutschland wohl fühlen, wenn auch „ihre“ ostdeutschen Abgeordneten an diesem Dienstag eine Grundgesetzänderung beschließen, die neue Schulden – in ausdrücklich unbegrenzter Höhe - für die Ukraine erlaubt? Was die Grünen den Sozial- und den Christdemokraten hineinverhandelt haben in deren Pläne?
Union steckt im Glaubwürdigkeitsloch
Will sagen: Unmittelbar nach einer Bundestagswahl eine große Politik-Änderung zu beschließen, die nicht zur Wahl stand, stiftet ein Legitimationsdefizit. Die Folge ist ein Glaubwürdigkeitsloch.
In diesem Fall eines, das mehr einem Krater als einem Loch gleicht. Und von dem der konservative Vordenker und Politikprofessor Andreas Rödder sagt, dieser Glaubwürdigkeitsverlust werde die Union „möglicherweise nicht mehr loslassen“. Rödders „Nicht mehr“ muss man wohl lesen als „nie mehr“.
Sagen wir es so: Womöglich ist die Schuldenbremsen-Täuschung für die Union das, was Hartz IV für die Sozialdemokraten war: der Ausgangspunkt für eine ein Vierteljahrhundert dauernde Leidensgeschichte.
Merz und die "Zweckbestimmung"
Die Wähler konnten auch nicht mit ihrer Stimme darüber befinden, ob das ambitionierte Klimaziel, Deutschland bereits 2045 klimaneutral zu machen, Verfassungsrang haben sollte. Man darf vermuten, dass es die Union viele Stimmen gekostet hätte, aus ihrem Kernland, dem Mittelstand vor allem, hätte sie dies bei der Bundestagswahl zur Abstimmung gestellt.
Die Union, an der Spitze ihr Kanzlerkandidat Friedrich Merz, versucht das jetzt zu verharmlosen. Nein, es handle sich nicht um ein „Staatsziel“, sondern nur um eine „Zweckbestimmung“ für die vielen neuen Schulden, die die Union, wie SPD und Grüne immer schon, jetzt gleichfalls „Sondervermögen“ nennt.
Obwohl es sich nicht um ein Sonder-„Vermögen“ handelt, sondern glasklar um Sonder-„Schulden“. Die abbezahlt werden müssen und Deutschlands Schuldenquote auf nahe 100 Prozent schieben und den Euro weichkochen werden. Deutschlands europäischer Soliditätsbonus ist dann dahin.
„Planwirtschaft mit Verfassungsrang“
Nun: Wäre, was an dieser Woche wohl als zeitliches Klimaziel ins Grundgesetz geschrieben wird, tatsächlich harmlos, so harmlos, wie Merz sagt, hätten die Grünen nicht dafür dermaßen kämpfen müssen. Sie mussten es aber. Der frühere liberale Justizminister Marco Buschmann, von Berufs wegen ein paar Jahre Verfassungswächter, nennt die neue Konstruktion knapp „Planwirtschaft mit Verfassungsrang“.
Jenseits dessen: Die vielen grüngewirkten NGO`s in Deutschland, etwa die Deutsche Umwelthilfe, werden sich kaum die neue Gelegenheit nehmen lassen, in Karlsruhe überprüfen zu lassen, wieviel diese neue Grundgesetzklausel politisch wert ist.
Das Volk, sein Wille und das Grundgesetz
Ob man damit zugleich von Seiten der "Hyko" auch einmal konkurrierende Rechtsgüter geschaffen hat, darüber streiten Juristen sich schon jetzt.
Es geht um Folgendes: Wenn der Wirtschaftsminister eine neue Autobahn bauen würde wegen der Infrastruktur, könnte ihn dann der Kollege Justizminister mit dem Grundgesetz unter dem Arm klimabesorgt davon abhalten?
„Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“, steht im Grundgesetz, Artikel 20. Nun muss man feststellen: Das, was der Staat anfängt mit seiner Gewalt, ging sicher nicht vom Volk aus. Es stand schließlich dem Volke gar nicht zur Wahl.
Einen Artikel später steht im Grundgesetz dies: „Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.“ Nach der Bundestagswahl und mit Blick auf die anstehende Grundgesetzänderung über die Schuldenorgie kann man dies festhalten: Nachdem die Parteien bei der politischen Willensbildung im Wahlkampf entweder nicht oder durch die Vorspiegelung falscher Tatsachen mitgewirkt haben, üben sie nun hinterher umso mehr, anstelle des Volkes, die Staatsgewalt aus.
Söder: Die Grünen sind weg
Die Grünen seien jetzt weg, hat Markus Söder gejubelt. Das entspricht nicht den Tatsachen. Allein die Grundgesetzänderung zeigt die neue Realität an: Die Grünen gehen nie wieder weg, denn: Wer sollte das Grundgesetz denn überhaupt noch einmal anti-grün zurückdrehen?
Überhaupt haben nicht nur die Grünen der Union ihren Stempel aufgedrückt, sondern auch die Sozialdemokraten, und zwar: zusätzlich noch. Weshalb der schlaue, konservative Professor Rödder vorrechnet, damit stünde es 75:25 für Rot-grün. Obwohl Rot-grün abgewählt wurde.
Wäre es nicht Politik – Unterabteilung Verhandlungskunst – müsste man sagen: Es handelt sich um Magie. SPD-Chefin Saskia Esken und die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge, das sind die beiden Houdinis des Berliner Polit-Betriebs.
Merz verspricht Reformen
Und Merz? Wurde in der Zirkuskiste zersägt und neu wieder zusammengesetzt. Hat er es überhaupt gemerkt?
Merz und sein Trommler Carsten Linnemann versprechen jetzt Strukturreformen. Dagegen spricht gleich zweierlei: SPD und Grüne haben schon einmal erfolgreich vorgeführt, wie man die Union kapern kann. Weshalb sollte es ihnen kein zweites Mal gelingen – zumal die Union kein Druckmittel hat, nichts, was sie auf dem Basar androhen könnte. Sie kann nicht einmal weggehen, denn sie will diesen Teppich, und auch nur diesen, ja partout haben.
Und zweitens: Merz ist jetzt vollständig in der Hand von Esken und Klingbeil. Die beiden Sozialdemokraten haben nämlich ein Basar-Argument: Sie haben, erfolgreiche Grundgesetzänderung vorausgesetzt, dank der Hilfe der Union diese Mehr-Als-Billion im Sack.
Und wenn ihnen Merz nun mit der Migration kommt zum Beispiel (bei der Rente hat er es vorab schon aufgegeben), dann können sie sagen: Diesen Teppich kaufen wir nicht. Merz ist dann womöglich seinen los.
Ins Politische gedreht: Merz kann nichts erzwingen, Esken und Klingbeil können indes alles verhindern. Die SPD ist schon Kanzler, Merz muss es erst noch werden.
Merz muss sich gegen schlechte Entwicklung stemmen
Zum Ende drei Nachrichten:
- Laut OECD steht Deutschland beim Wirtschaftswachstum jetzt auf dem vorletzten Platz, knapp vor Mexiko.
- Zwei von fünf Unternehmen planen, weniger zu investieren in Deutschland, berichtet die DIHK. Die Energie zu teuer, die Steuern zu hoch, die Bürokratie ein Albtraum – 46 Prozent der Unternehmen finden die USA spannender als Deutschland. Donald Trumps Agenda ist anti-staatlich-libertär, die Agenda von Merz ist jetzt staatswirtschaftlich geprägt.
- Nach einer Studie der Bertelsmann-Stiftung fließen vom Bürgergeld 6,5 Milliarden in die Staatsbürokratie, 3,8 Milliarden zu den Bedürftigen. Nicht einmal mit Sozialgeld kann der deutsche Staat effizient umgehen.
Die "Welt" schreibt, „viele Konservative fühlen sich verraten und verkauft“. Viele von ihnen haben allerdings einen Irrtum begangen:
Sie haben die Union für eine konservative Partei gehalten.