Eine Analyse von Ulrich Reitz - Merz wird Kanzler: Glückwunsch, doch die teure Rechnung kommt bestimmt - für uns alle
Friedrich Merz ist seiner Kanzlerschaft ein großes und wohl entscheidendes Stück nähergekommen. Voraussetzung dafür, dass Merz den Sozialdemokraten Olaf Scholz als Bundeskanzler ablösen kann, war eine Einigung mit den Grünen und den Sozialdemokraten über drei Grundgesetzänderungen, mit denen die Regierung Merz genug Geld bekommt.
Merz kann jetzt alle Wünsche seiner beiden direkten Partner, der CSU und der SPD, ebenso erfüllen wie die Wünsche seiner indirekten Partner – der Grünen. Ohne sie würde eine Zweidrittelmehrheit für die Verfassungsänderungen nicht zustande kommen, die Merz schon am Dienstag kommender Woche vom Parlament beschließen lassen will.
Merz steht vor der Kanzlerschaft - und braucht jetzt noch die Bayern
Erfüllt hat Merz weitere Wünsche, nämlich die der Bundesländer, die von dem Geldregen (von Geld-„Segen“ sollte man besser nicht sprechen) gleichfalls profitieren. Und deren Zweidrittelmehrheit Merz im Bundesrat benötigt, weil Grundgesetzänderungen von beiden Kammern beschlossen werden müssen.
Diese Länder-Zustimmung hängt jetzt an den Freien Wählern, einer bundesweit einflusslosen Mini-Partei, die aber in Bayern den stellvertretenden Regierungschef stellt: Hubert Aiwanger.
Dieses „Problem“ hat nun der Ko-Verhandler von Merz auf seinem Schreibtisch. Markus Söder muss in seiner Eigenschaft als Ministerpräsident ein Problem lösen, damit er in seiner zweiten Eigenschaft als CSU-Vorsitzender dem CDU-Vorsitzenden grünes Licht für dessen Kanzlerschaft geben kann.
Der Merz-Weg ist das Resultat des Wählerwillens
Das alles ist so kompliziert wie folgerichtig. Folgerichtig, weil es eine Folge ist, des Wahlergebnisses sowie einer grundlegenden Entscheidung von Merz, nämlich: nicht mit der AfD zu koalieren. Die Brandmauer war aber wiederum den Wählern bekannt.
Wenn man das Ganze also argumentativ eine Etage höher heben will, kann man sagen: Diese ganze komplexe und in ihren Folgewirkungen durchaus fragwürdige Lösung ist eine Konsequenz aus dem Wählerwillen.
So stellt es jetzt schon die CDU dar, über den Merz-Vertrauten Thorsten Frei. Dieses Argument ist präventiv, denn die CDU dürfte unter dem Strich bei der Glaubwürdigkeit den höchsten Preis bezahlen. CSU, SPD und Grüne sind hingegen eindeutig Profiteure.
Merz zahlt hohen Preis
Deutschland ist ein kompliziertes Land, dessen Bevölkerung vor allem seine Ruhe haben und sich dabei gut fühlen will. Grundlegende Reformen, anstrengend und konfliktreich, zu wollen, gehört augenscheinlich nicht zur DNA der Bevölkerungsmehrheit. (Ich bitte, dies als nüchterne Zustandsbeschreibung zu lesen, auf keinen Fall als Wähler-Beschimpfung, das liegt mir fern. Und: Eine FOCUS-online-Umfrage zeigt zwar, dass es auch durchaus viele Menschen gibt, die Reformen wollen. Aber was sagen die, wenn es wirklich an ihren Geldbeutel geht?)
Klar ist: Friedrich Merz hat keine eigene Mehrheit. Also musste er, um Bundeskanzler werden zu können, und das ohne die AfD, hohe Preise zahlen an seine direkten und indirekten Partner.
Die SPD, mit der Merz koalieren will und jetzt wohl auch wird, konnte ein gigantisches, sogenanntes Infrastrukturpaket durchsetzen. Die Sozialdemokraten ließen sich ihre Regierungsbeteiligung mit 500 Milliarden Euro bezahlen.
Saskia Esken ist eine Gewinnerin
Für eine Person ist damit eine besondere Genugtuung verbunden: Saskia Esken trat vor fünf Jahren schon mit exakt derselben Forderung an, um SPD-Chefin zu werden. Sie konnte sich mit diesem Ansatz, der sozialdemokratischer nicht hätte sein können, gegen Olaf Scholz durchsetzen und wurde SPD-Chefin.
Gemessen an dem, was nun Wirklichkeit wird, kann man wohl sagen: Eine stärkere SPD-Chefin hat es lange nicht gegeben. Esken ist verantwortlich für diese grundlegende Weichenstellung, die Deutschland tiefgreifend verändern wird.
In Zukunft sollte niemand mehr Esken unterschätzen: Sie sorgt dafür, dass sozialdemokratische Ideen (der Staat denkt, der Staat lenkt) zu sozialdemokratischer Politik werden, völlig egal, wer unter ihr Bundeskanzler wird und welcher Partei dieser angehört.
Siegerin Nummer 2: Katharina Dröge
Im Bundestag kleidete der FDP-Vorsitzende Christian Lindner diese für die Christenunion bittere Wahrheit in diesen Satz: „Die Menschen haben Merz gewählt und Esken bekommen.“
Der zweite Sieger ist gleichfalls eine Frau: Katharina Dröge. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen hat die Linie ihrer Partei geprägt und sich mit einem harten Zocker-Kurs komplett durchgesetzt. Dröge hat gepokert und gegen Merz sauber gesiegt. Der bot ihr von Angesicht zu Angesicht, von Fraktionschef zu Fraktionschefin, im Bundestag 50 Milliarden an für Klimaschutz. Und fragte sie: „Was wollen Sie denn noch?“
Traum der CSU wird wahr
Dröge antwortete: Noch einmal 50 Milliarden. Und Merz gab sie ihr. Nebst der Versicherung, das Geld werde für im Infrastruktur-Paket „zusätzlich“ für Klimaschutz ausgegeben. Das macht diese Regierung unter dem Strich für die Bürger noch einmal teurer, denn: Die Sozialdemokraten – und die Christsozialen – werden nun deshalb nicht auf teure Sozialprojekte verzichten – wie die Mütterrente. Mit der werden Erziehungsleistungen von Frauen 30 Jahre danach noch mit einem Preisschild versehen, aus Gründen angeblicher „sozialer Gerechtigkeit“. Dafür dürfte jetzt die reguläre Verschuldung weiter steigen.
Mit der vollen Mütterrente wird ein Traum der CSU wahr, auf den sie in der Vergangenheit schon Wahlsiege in Bayern zurückgeführt hat. Ein Erfolg der CSU sind auch der halbe Gastro-Mehrwertsteuersatz – geschuldet Bayern als Tourismusland – und die Steuerbefreiung von Agrardiesel, mit denen die CSU die bayerischen Bauern in ihrem Lager hält.
500 Milliarden Euro konnte die SPD durchsetzen – es ist der Preis für ihre Beteiligung an einer Regierung, die sie nicht wollte – und ein Trostpreis dafür, bei der Kanzlerwahl ihre Stimme ausgerechnet dem von ihr am meisten ungeliebten CDU-Politiker zu machen: Friedrich Merz.
In der Politik heilt Geld alle Wunden
100 Milliarden – mindestens – konnten die Grünen durchsetzen, weil Merz ihre Zustimmung zur Grundgesetzänderung braucht, ohne die ihm wiederum die SPD als Koalitionspartner abhandenkäme. Man sieht: Zeit mag im richtigen Leben alle Wunden heilen. In der Politik ist es: Geld.
Die Politik verfügt aber nicht über Geld, es ist das Geld der Bürger, genauer: der produktiven Bürger – die Steuern zahlen, weil sie mit ihrer Arbeit als Angestellte oder Unternehmer Geld verdienen.
Es ist der Anteil an der Gesellschaft, der immer kleiner wird, vor allem in den nächsten Jahren. Dann gehen die „Boomer“ in Rente, die nicht nur „Boomer“ heißen sollten wegen des Babybooms, für den sie seit den sechziger Jahren gesorgt haben. Sondern auch wegen des Wirtschaftsbooms, den diese Generation erarbeitet hat.
Es wird nicht gutgehen
Wachsen wird dagegen der – ökonomisch – unproduktive Teil der Gesellschaft – demografisch und über ungeregelte Migration, die zum großen Teil eine Einwanderung in die Sozialsysteme ist. Das dürfte den Sozialetat weiter wachsen lassen.
Ein wachsender Sozialstaat bei wachsenden Schulden und sinkender Produktivität – das kann nicht gutgehen. Es wird auch nicht gutgehen.
Weshalb genau und wo die Risiken konkret liegen, kann jeder Bürger schwarz auf weiß nachlesen. Etwa im Gutachten, das die Wirtschaftsweise Veronika Grimm über diese Schuldenorgie verfasst hat. Man findet es auf der Seite des Deutschen Bundestages unter den dort abgelegten Dokumenten.
Professor Grimm urteilt, die Risiken dieser gigantischen, nie dagewesenen Neuverschuldung aufgrund einer parteipolitischen Entscheidung, stünden in keinem zu rechtfertigenden Verhältnis zu deren Nutzen.
Neue Euro-Krise?
Das ist bitter, vor allem für einen demnächst christdemokratischen Bundeskanzler, der im Wahlkampf noch mit einem liberalen Soliditäts-Versprechen angetreten war, und dafür auch gewählt wurde, wenngleich nicht mit einem berauschenden Ergebnis. Merz hat sich, dies ist aufgrund seiner Biographie, der Sozialisierung im Europaparlament, und seinem Bekenntnis zum politischen Erbe Helmut Kohls, auch glaubwürdig, als Europäer positioniert.
Die größte Gefahr, die Frau Grimm, gestützt auf Fakten, heraufziehen sieht, ist eine neue Krise der europäischen Gemeinschaftswährung. Die ist auch wahrscheinlich, ebenso wie ein Anziehen der Inflation.
Die Bauzinsen sind schon allein nach der Schulden-Ankündigung angezogen – und liegen jetzt bei vier Prozent. Plus: Noch nie waren die Baupreise so hoch. Unterm Strich werden sich nur noch Wohlhabende Wohneigentum leisten können – in der Regel Doppelverdiener-Paare und Erben.
Umsonst ist nur der Tod
Europas Kommissionschefin Ursula von der Leyen hat grünes Licht gegeben für höhere Verteidigungs-Schulden, nicht aber: für höhere Infrastruktur-Schulden. Die Deutschen machen mit ihrer expansiven Schuldenpolitik das Geldleihen teurer für alle anderen Staaten.
Das wird jene Länder in Schieflage bringen, die heute schon viel zu hoch verschuldet sind: Frankreich, Italien und Spanien. Schon jetzt zeichnet sich eine neue Debatte ab über eigene Euro-Schulden, die Brüssel an den Nationalstaaten vorbei machen will.
Damit wird Friedrich Merz schon bald auseinandersetzen müssen. Gewählt hat die deutsche Bevölkerungsmehrheit einen liberal-konservativen CDU-Mann, der nun eine sozialdemokratisch-grüne Politik verantworten muss.
Dafür wird Merz nun Kanzler. Aber auch für ihn gilt: There is no free lunch, oder wie der Rheinländer kalauert: Umsonst ist nur der Tod.