Ein „rechtswidriger Akt“? Jurist sieht Spahn-Asylplan kritisch

  1. Startseite
  2. Politik

KommentareDrucken

Die britische Regierung hat eine Abschiebung von Geflüchteten nach Ruanda durchgesetzt. Das treibt die Debatte in Deutschland voran – ist das rechtlich möglich?

Frankfurt a. M. – Jens Spahn und weitere CDU-Politiker wollen Geflüchtete nach Ruanda abschieben. Für den ehemaligen CDU-Gesundheitsminister sei das „die einzig humanitäre Lösung“, wie man mit der weiter hohen Zahl an Asylbewerberinnen und Asylbewerbern umgehen könne, sagte er im Interview mit dem Stern. „Wir brauchen mehr Abkommen mit anderen Ländern, um diesen Migrationsdruck zu lindern. Wenn wir das versäumen, sprengt das unsere europäischen Gesellschaften“, so Spahn. Doch können Staaten wie Ruanda die europäische Migrationspolitik wirklich entlasten?

Dr. Matthias Hartwig, ehemaliger Mitarbeiter vom Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg, äußert im Interview mit fr.de von IPPEN.MEDIA Zweifel an einem solchen Verfahren. Er meint, man solle sich von einem solchen Abkommen nicht zu viel versprechen. Im Falle Großbritanniens, das erst kürzlich ein solches Abkommen mit Ruanda ausgehandelt hat, rechne man damit, „dass in den nächsten fünf Jahren etwa 1000 Menschen in das Land abgeschoben werden“, so Hartwig. „Das ist natürlich nur ein sehr geringer Teil der in Großbritannien angekommenen Flüchtlinge.“

Abschiebungen nach Ruanda – CDU-Plan ist teuer und rechtlich umstritten

Großbritannien habe bereits etwa 240 Millionen Pfund für das Flüchtlingsabkommen mit dem ostafrikanischen Land gezahlt. Da zu erwarten sei, dass lediglich 1000 Menschen in das Land abgeschoben werden, „kommt man natürlich in Größenordnungen, wo man sagt: ‚Ist das eigentlich auf Dauer finanzierbar?‘“, so Hartwig.

Jens Spahn in Ruanda
Jens Spahn (CDU) besucht die Grenze von Ruanda und der Demokratischen Republik Kongo in Goma. (Archivbild) © photothek/IMAGO

Für Ruanda seien diese Zahlungen „natürlich erfreulich“. Vor allem, weil so der wirtschaftliche Aufschwung des Landes finanziert werde. „Und es könnte sein, dass sie sich auch auf entsprechende Geldströme aus Deutschland freuen würden“, sagte Hartwig. Spahn gab im Stern-Interview bekannt, dass sich Ruandas Präsident Paul Kagame bereiterklärt habe, ein entsprechendes Abkommen mit Deutschland zu schließen.

Doch nicht nur aus finanzieller Sicht könnten sich Abschiebungen in Drittstaaten wie Ruanda als schwierig gestalten. Laut Amnesty International verwies das Flüchtlingshilfswerk UNHCR auf die „Gefahr von Inhaftierung und Abschiebung sowie auf die Diskriminierung von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Asylsuchenden“ in dem Land. Hartwig äußert sich dazu deutlich. Wenn eine menschenrechtskonforme Behandlung in Ruanda nicht gewährleistet ist, „dann ist die Überstellung der Asylbewerber einfach ein rechtswidriger Akt“, sagt er im Interview.

Abschiebungen nach britischem Vorbild? Menschenrechte müssen gewahrt bleiben

Zwar verbiete das EU-Recht pauschal keine Abschiebungen in Drittstaaten, „allerdings muss dann sichergestellt werden, dass dort diese Asylbewerber eine rechtskonforme Behandlung erfahren“, erklärt Hartwig.

Beim Thema Asylbewerber gelte für EU-Staaten das „Non-Refoulement-Prinzip“, so Hartwig. Dieses verbiete die Ausweisung, Auslieferung oder Rückschiebung von Menschen, wenn im Zielland Menschenrechtsverstöße, unmenschliche Behandlung oder Folter zu erwarten sei. Das erklärt die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) auf ihrer Webseite. Außerdem müsse ein ausreichend rechtlicher Schutz für abgeschobene Personen gegeben sein.

Gegen den Plan Großbritanniens, Menschen nach Ruanda abzuschieben, habe der UN-Flüchtlingskommissar Filippo Grandi „Vorbehalte gegen das britische Verfahren geäußert“, erklärte Hartwig im Interview. Er bezweifele, dass Asylbewerber und Asylbewerberinnen in Ruanda gemäß der UN-Flüchtlingskonvention behandelt werden. Auch der Jura-Professor Dr. Holger Hestermeyer sagte im Interview mit der Frankfurter Rundschau, dies sei „eine Politik, die gegen Menschenrechte verstößt“.

Unter diesen Umständen hält Hartwig fest: „Bei Nichteinhaltung grundrechtlicher Vorgaben, wäre eine Abschiebung von Asylbewerbern in Drittstaaten verfassungswidrig.“

„Europäisches Recht kann man ändern“ – Spahn zu Ruanda-Plänen

Jens Spahn scheint sich der rechtlichen Schwierigkeit eines Asylverfahrens mit Ruanda durchaus bewusst zu sein. „Aber es gibt kein Recht eines Flüchtlings, sich das Zielland seiner Flucht auszusuchen“, sagt er dem Stern. Auf den Einwand, dass das EU-Recht vorsieht, dass Migranten nur in Länder gebracht werden dürfen, zu denen sie auch eine Verbindung hätten, entgegnet er: „Europäisches Recht kann man ändern. Das ist die Aufgabe von Politik.“

Sozial- und Flüchtlingsverbände kritisieren die Unionspläne scharf. Pro Asyl befürchtet, dass so „das europäische Menschenrechtssystem des Europarats – auch eine Reaktion auf die Menschenrechtsverbrechen während des Zweiten Weltkriegs – infrage gestellt“ werde. Auch die Kirchen halten nichts von dem Plan der Christdemokraten. „Wer sich am christlichen Menschenbild orientiert, darf den individuellen Zugang zum Flüchtlingsschutz in Europa nicht abschaffen“, zitierte die Zeit den katholischen Hamburger Erzbischof Stefan Heße.

Deutschland müsste Schutz in Ruanda garantieren

Eine Abschiebung in Drittstaaten befreie Länder nicht davon „zu garantieren, dass die Standards, an welche die europäischen Staaten gebunden sind, eingehalten werden“, erklärt Hartwig im Interview. Länder in Afrika hätten zudem selbst mit massiven Flüchtlingsströmen zu kämpfen. „Von daher halte ich solche Abschiebungen, wie auch der UN-Kommissar für Flüchtlinge erklärt hat, für ein unangemessenes, ein rechtswidriges Outsourcen von Aufgaben, die von Europäischen Staaten zu erledigen sind“. (nhi)

Auch interessant

Kommentare

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

wir erweitern den Kommentarbereich um viele neue Funktionen. Während des Umbaus ist der Kommentarbereich leider vorübergehend geschlossen. Aber keine Sorge: In Kürze geht es wieder los – mit mehr Komfort und spannenden Diskussionen. Sie können sich aber jetzt schon auf unserer Seite mit unserem Login-Service USER.ID kostenlos registrieren, um demnächst die neue Kommentarfunktion zu nutzen.

Bis dahin bitten wir um etwas Geduld.
Danke für Ihr Verständnis!