Vom Tennisstar zum Verschwörungstheoretiker? Wenn Promis zu viel Meinung wagen

Warum äußern sich prominente Persönlichkeiten wie Boris Becker zu Themen außerhalb ihres Fachgebiets?

Prominente Persönlichkeiten genießen oft ein hohes Maß an öffentlicher Aufmerksamkeit und Anerkennung in ihrem spezifischen Fachgebiet. Dieses Ansehen kann zu einem Phänomen führen, das in der Psychologie als "Overconfidence Bias" bekannt ist – eine Überschätzung der eigenen Fähigkeiten oder Kenntnisse in Bereichen, die außerhalb der eigenen Expertise liegen. Boris Becker, einst gefeierter Tennisstar, teilte kürzlich auf der Plattform X (ehemals Twitter) einen Beitrag, der eine Verschwörungstheorie über Adolf Hitler beinhaltete. Sein Kommentar dazu ließ darauf schließen, dass er die Behauptung zumindest in Erwägung zog.

Diese Neigung, sich zu Themen zu äußern, die außerhalb des eigenen Fachgebiets liegen, kann durch den sogenannten "Halo-Effekt" verstärkt werden. Dabei wird die positive Wahrnehmung einer Person in einem Bereich unbewusst auf andere Bereiche übertragen. Ein Sportler wie Becker, der in seinem Feld außergewöhnliche Leistungen erbracht hat, könnte daher fälschlicherweise annehmen, dass seine Meinung auch in historischen oder politischen Fragen von gleicher Relevanz ist.

Über Christoph Maria Michalski

Christoph Maria Michalski ist „Der Konfliktnavigator“ – renommierter Streitexperte, Autor des neuen Buches „Streiten mit System – Wie du lernst, Konflikte zu lieben“ und gefragter Redner. Seine praxiserprobten Methoden helfen Führungskräften und Teams, auch knifflige Situationen souverän zu meistern. Mit einem ungewöhnlichen Dreiklang aus Musikpädagoge, Erwachsenenbildner und IT-Profi bringt er Verstand, Gefühl und System in Einklang. Sein Versprechen: weniger Stress, mehr Erfolg, mehr Leichtigkeit. Privat ist er Zauberer, Marathonläufer und Motorradfan – ein lebendiger Beweis dafür, dass Energie und Kreativität keine Gegensätze sind.

Warum überschätzen sich viele bekannte Menschen außerhalb ihres Fachgebiets?

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier – auch, wenn es ums Rechtbehalten geht. Wer jahrelang von Medien gefeiert wurde, von Fans bewundert und von Mitarbeitenden hofiert, verliert leicht den kritischen Blick auf die eigene Wirkung.

Hier schlagen gleich mehrere Effekte zu.

Ganz vorn dabei: der Dunning-Kruger-Effekt. Er beschreibt das paradoxe Phänomen, dass Menschen mit wenig Wissen ihre Kompetenz besonders stark überschätzen – weil ihnen schlicht das Wissen fehlt, um die eigene Inkompetenz zu erkennen. Prominente, die sich nie mit Geschichtswissenschaft befasst haben, erkennen deshalb nicht, wie naiv oder falsch ihre Einschätzung zu einem historischen Thema sein könnte. Je mehr Selbstbewusstsein, desto weniger Zweifel – ein tückischer Mechanismus.

Hinzu kommt der Overconfidence Bias, also eine generelle Selbstüberschätzung, die durch ständigen Erfolg noch verstärkt wird. Wer in einem Bereich (wie Sport oder Film) Großes geleistet hat, glaubt oft, auch in anderen Bereichen überdurchschnittlich kompetent zu sein. Schließlich hat man sich doch überall „hochgekämpft“. Dass Wissen aber nicht automatisch mit Ruhm wächst, wird dabei gerne vergessen.

Auch das soziale Umfeld spielt eine Rolle. Mangel an Widerspruch ist in Promi-Kreisen eher Regel als Ausnahme. Wenn Assistentinnen, Freundinnen und Agenturen alles abnicken oder mit Applaus quittieren, wird aus jeder Twitter-These schnell eine vermeintlich kluge Weltanalyse.

Ein aktuelles Beispiel aus der Wirtschaft: Elon Musk, zweifellos ein Visionär in Sachen Technologie, leistet sich regelmäßig öffentliche Aussagen zu gesellschaftlichen oder geopolitischen Themen, die für Stirnrunzeln sorgen – sei es zu Corona, zur Ukraine oder zur Bevölkerungsentwicklung. Auch bei ihm wirkt es oft so, als ob Erfolg in einem Bereich zum Allwissen in anderen verleitet.

Kurz: Erfolg ist keine Generalvollmacht für Kompetenz. Wer das vergisst, läuft Gefahr, seine Wirkung zu verspielen.

Welche Verantwortung tragen Prominente aufgrund ihrer Vorbildfunktion?

Prominente stehen im Rampenlicht der Öffentlichkeit und dienen vielen Menschen als Vorbilder. Ihre Aussagen und Handlungen werden oft intensiv beobachtet und können erheblichen Einfluss auf die Meinungsbildung ihrer Anhänger haben. Dies bringt eine besondere Verantwortung mit sich, da unbedachte oder fehlerhafte Äußerungen weitreichende Konsequenzen haben können.

Im Fall von Boris Becker führte sein Kommentar zu einer Verschwörungstheorie über Hitler zu öffentlicher Kritik und erforderte eine Klarstellung durch seinen Anwalt. Dieser betonte, dass Becker den geteilten Tweet keinesfalls unterstützen wollte und sein Kommentar missverstanden wurde.

Die öffentliche Stellung von Prominenten verleiht ihren Aussagen ein besonderes Gewicht. Daher ist es essenziell, dass sie sich der Tragweite ihrer Worte bewusst sind und sorgfältig abwägen, bevor sie sich zu sensiblen Themen äußern.

Welche aktuellen Beispiele zeigen, wie gefährlich unbedachte Äußerungen von Persönlichkeiten außerhalb ihres Fachgebiets sein können?

Ein besonders brisantes Beispiel aus jüngster Zeit liefert Elon Musk – Tech-Milliardär, Visionär, Twitter-Besitzer und offenbar zunehmend politischer Kommentator. Im Januar 2025 sorgte Musk für internationale Schlagzeilen, als er auf seiner Plattform X (ehemals Twitter) den deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier als „anti-demokratischen Tyrannen“ bezeichnete. Der Auslöser? Steinmeier hatte zuvor vor den Gefahren von Wahlmanipulationen auf Musks Plattform gewarnt – insbesondere im Hinblick auf den wachsenden Einfluss der AfD. Musk wiederum hatte diese rechtspopulistische Partei öffentlich als „letzte Hoffnung für Deutschland“ bezeichnet.

Was folgte, war ein politisches Beben: deutsche Spitzenpolitiker von Olaf Scholz bis Robert Habeck reagierten scharf auf die Einmischung aus Übersee. Die Debatte drehte sich plötzlich nicht mehr nur um die AfD, sondern um die grundsätzliche Frage: Wie viel Einfluss dürfen privatwirtschaftliche Plattformen – und deren Besitzer – auf demokratische Diskurse nehmen?

Der Fall Musk zeigt exemplarisch, wie gefährlich es werden kann, wenn eine herausragende Fachkompetenz in einem Bereich – etwa Technologie oder Unternehmertum – zur Generalerlaubnis für weltanschauliche Kommentare in sensiblen politischen Kontexten mutiert. Musks Expertise in Raumfahrt, Elektroautos oder künstlicher Intelligenz ist unbestritten. Doch politische Urteilsfähigkeit – zumal über das demokratische System eines anderen Landes – erfordert ein anderes Wissen, eine andere Sensibilität und vor allem: Demut.

Und genau diese scheint in solchen Fällen zu fehlen. Psychologisch lässt sich das mit dem „Halo-Effekt“ erklären: Wer in einem Bereich herausragend ist, wird auch in völlig anderen Feldern für kompetent gehalten – von anderen und oft auch von sich selbst. Kombiniert mit dem Dunning-Kruger-Effekt, der die Unfähigkeit beschreibt, die eigene Inkompetenz zu erkennen, entsteht eine explosive Mischung: viel Macht, viel Reichweite – aber wenig Einsicht in die eigenen Grenzen.

Musk ist damit nicht allein. Viele Prominente überschreiten regelmäßig die unsichtbare Linie zwischen Meinung und Expertise – und riskieren damit, nicht nur ihren eigenen Ruf, sondern auch das Vertrauen in öffentliche Debatten zu beschädigen. Vielleicht ist es an der Zeit, sich wieder öfter an den alten Spruch zu erinnern: „Schuster, bleib bei deinen Leisten“ – oder zumindest: Tritt vorsichtig auf, wenn du fremdes Terrain betrittst.

Wie können Prominente sicherstellen, dass sie ihre öffentliche Plattform verantwortungsvoll nutzen?

Der Wunsch, sich zu allem und jedem zu äußern, ist verständlich. Schließlich leben Prominente oft in einer Welt, in der ihre Meinung gefragt ist – in Talkshows, Interviews, sozialen Medien. Schnell entsteht der Eindruck: „Wenn ich in meinem Bereich so erfolgreich bin, kann ich mich auch zu anderen Themen äußern.“

Doch genau hier beginnt das Problem: Wer außerhalb seines Fachgebiets spricht, läuft Gefahr, mehr Verwirrung als Orientierung zu stiften – gerade bei sensiblen Themen wie Geschichte, Politik oder Wissenschaft.

Prominente können dennoch sinnstiftend mit ihrer Reichweite umgehen. Sie müssen sich nur einige goldene Regeln in Erinnerung rufen – ein kleiner innerer Knigge für die Öffentlichkeit, gewissermaßen:

  1. Selbstreflexion ist der Anfang. Vor jedem Statement lohnt ein kurzer Realitätscheck: Habe ich wirklich genug Wissen, um mich kompetent zu äußern – oder äußere ich gerade eher ein Bauchgefühl?
  2. Experten sind keine Dekoration. Wer nicht selbst Fachwissen hat, sollte auf verlässliche Quellen und Fachleute zurückgreifen – und diese auch zitieren oder einbinden. So gewinnt man an Glaubwürdigkeit.
  3. Vorbildwirkung ernst nehmen. Auch ein ironisch gemeinter Tweet kann von Millionen Menschen anders verstanden werden. Wer im Scheinwerferlicht steht, spricht nie nur für sich.
  4. Sensibilität für Wirkung. Themen mit gesellschaftlicher oder historischer Schwere (wie Hitlers Biografie) verdienen besonderes Fingerspitzengefühl. Hier sollte man dreimal überlegen, ob eine Äußerung nötig ist – und wie sie wirken könnte.
  5. Weniger ist manchmal mehr. Schweigen kann klug sein. Oder wie es ein philosophisches Sprichwort sagt: „Hättest du geschwiegen, wärst du ein Philosoph geblieben.“

Das alles heißt nicht, dass Prominente sich aus Debatten heraushalten müssen. Im Gegenteil: Wer klug kommuniziert, kann wichtige Impulse geben. Aber eben bitte dort, wo sie auch auf festem Boden stehen.

Was können wir alle aus solchen Vorfällen lernen – und wie gehen wir mit Informationen verantwortungsvoller um?

Der Fall Boris Becker bietet nicht nur Anlass für mediale Empörung – sondern auch eine wertvolle Gelegenheit zur Selbstreflexion. Denn letztlich betrifft das Phänomen nicht nur Prominente. Auch wir „Normalos“ sind in sozialen Netzwerken ständig in Versuchung, zu allem eine Meinung zu posten – und dabei manchmal mehr Halbwissen als Erkenntnis zu verbreiten.

Was also können wir lernen?

Zunächst: Verantwortung beginnt mit Achtsamkeit. Informationen sind wie Nahrung – manche tun uns gut, andere verderben uns das Urteil. Wer etwas teilt, übernimmt Verantwortung für dessen Wirkung. Ein kurzer Faktencheck, ein Blick auf die Quelle, ein Abgleich mit anderen Perspektiven – all das schützt vor digitalem Fauxpas.

Zweitens: Medienkompetenz ist keine Kür mehr, sondern Pflicht. Gerade in Zeiten von Fake News, KI-generierten Bildern und Polarisierung ist es entscheidend, sich im Dickicht der Informationen zurechtzufinden. Wer einordnen kann, woher Inhalte stammen, was sie bezwecken und ob sie vertrauenswürdig sind, bleibt auf Kurs.

Drittens: Fehler zuzugeben ist stark. Auch Prominente dürfen sich irren. Entscheidend ist, wie sie mit Kritik umgehen. Ein „Sorry, das war nicht gut durchdacht“ wirkt authentischer als jede juristische Erklärung. Dass Boris Beckers Anwalt klärend eingreifen musste, ist verständlich – ein persönliches Statement des Sportlers hätte aber wohl mehr Wirkung entfaltet.

Und viertens – nicht zu unterschätzen: Wir müssen auch lernen, wieder zuzuhören. Statt reflexartig zu urteilen, können wir erst mal fragen: „Was genau war gemeint? Gibt es einen Kontext? Warum denken Menschen so?“

Das gilt für Prominente, aber genauso für unsere Gespräche im Alltag.

Lesetipp (Anzeige)

"Streiten mit System: Wie du lernst, Konflikte zu lieben" von Christoph Maria Michalski

Dieser Beitrag stammt aus dem EXPERTS Circle – einem Netzwerk ausgewählter Fachleute mit fundiertem Wissen und langjähriger Erfahrung. Die Inhalte basieren auf individuellen Einschätzungen und orientieren sich am aktuellen Stand von Wissenschaft und Praxis.