- Taleb al Abdulmohsen: Angeklagter
- Dirk Sternberg: Vorsitzender Richter
- Thomas Breiter und Thomas Rutkowski: Verteidiger
- Matthias Böttcher: Oberstaatsanwalt
Oberstaatsanwalt berichtet in allen Einzelheiten über die Amokfahrt
11.13 Uhr: Prellungen, Verstauchungen, Knochenbrüche, künstliche Beatmung, Unterkieferfraktur, Bewusstseinsverlust: In aller Detailtiefe zählt Böttcher den Horror vom 20. Dezember 2024 auf. Er erläutert, wer wie zu Schaden kam und wie lange behandelt werden musste. Die Amokfahrt dauerte nur zwei Minuten. Der Oberstaatsanwalt benötigt deutlich länger, um das das Leid und den Schmerz auszuführen, das al Abdulmohsen damit verursacht hat. Vom Trauma für die Betroffenen und den Schock für die ganze Stadt ist da noch gar keine Rede.
"Heimtückisch": Jetzt wird die Anklage verlesen
10.46 Uhr: Oberstaatsanwalt Böttcher verliest jetzt die Anklage. Die Anklage wirft al Abdulmohsen vier Straftaten vor - "aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch und mit gemeingefährlichen Mitteln".
Nüchtern referiert der Oberstaatsanwalt die Anklage. Infolge seines Hangs zu Straftaten sei al Abdulmohsen "für die Allgemeinheit gefährlich". Mit dem BMW X3 sei er über 348 Meter und einer Geschwindigkeit von bis zu 48 Kilometern pro Stunde über einen belebten Fußweg gefahren und habe sich "zielgerichtet gegen eine Vielzahl von Passanten" gerichtet. Er habe eine möglichst große Anzahl von Menschen töten wollen und infolge der Panik weitere Tote und Verletzte riskiert.
Als Motiv nennt Böttcher die "vermeintliche persönliche Kränkung und Frustration" nach einer gerichtlichen Niederlage gegen die säkulare Flüchtlingshilfe. Er habe "Rache durch Tötung willkürlich ausgewählter Opfer" nehmen wollen.
Detailliert schildert der Staatsanwaltschaft, wie die Tat ablief, wen al Abdulmohsen bei seiner Amokfahrt verletzte. "Mindestens jene Person wurde unter dem Fahrzeug mitgeschleift", heißt es dann, oder: "Zwei Personen sind vollständig überfahren worden."
Al Abdulmohsen wirkt anteilnahmslos. Fortwährend senkt er den Kopf und blickt auf den Laptop vor sich - ohne Regung, ohne Bewegung.
Verteidiger verlangt eine Pause - Richter ist wieder nicht einverstanden
10.27 Uhr: Verteidiger Rutkowski will eine zehnminütige Pause, bevor die Staatsanwaltschaft die Anklage verlesen darf. Er will sich mit seinen Kollegen beraten und womöglich einen Kammerbeschluss herbeiführen. Sternberg gibt vorher noch zu bedenken, dass die Kammer sich bereits vorberaten habe.
Die Nebenklage beabsichtigt keine weiteren Anträge. Die Kammer hält am bisherigen Vorgehen fest, damit bleibt der Angeklagte im Glaskäfig und das Mikrofon angeschaltet.
Unter Gelächter des Publikums lehnt Richter Antrag des Verteidigers ab
10.20 Uhr: Anwalt Rutkowski will seinen Mandanten raus aus dem Glaskasten holen! In einem zweiten Antrag pocht er darauf, die polizeiliche Sitzungsanordnung aufheben lassen. Der Käfig sei "in der aktuellen Fassung unverhältnismäßig", beklagt er. Zudem werde sein Mandant in seinen Rechten beschränkt. Rutkowski betont, dass es sich nicht um einen Terror- oder Staatsschutzakt handele. Der Lüfter sei zu laut und erschwere die Kommunikation. Das Raumklima sei unzumutbar, erschwere die Konzentration und erhöhe das Infektionsrisiko.
Auf Nachfrage des Vorsitzenden Richters räumt der Anwalt ein, dass der Lüfter aktuell gar nicht läuft. Gleichwohl merke er die trockene Luft, wenn er viel rede. "Dann nehmen sie mal einen Schluck Wasser", empfiehlt Sternberg unter dem Gelächter des Publikums. Der Antrag wird abgelehnt, die Sicherheitsvorkehrungen seien notwendig, um den Angeklagten zu schützen.
Richter entscheidet: Mikrofon bleibt dauerhaft eingeschaltet
10.10 Uhr: Oberstaatsanwalt Böttcher zeigt wenig Verständnis für den Antrag. "Die Situation ist nicht anders als in jedem anderen Gerichtssaal", sagt er. Es sei wichtig, die Reaktion des Angeklagten unmittelbar wahrnehmen zu können. Auch Richter Sternberg sieht keine Einschränkung für dessen Rechte, wenn das Mikrofon dauerhaft angeschaltet bleibt.
Verteidiger beklagt sich erstmal, weil Gespräch mit Angeklagtem ausblieb
10.04 Uhr: Rechtsanwalt Thomas Rutkowski ergreift das Wort und schickt gleich Kritik an das Gericht. Den Verteidigern sei zugesichert worden, mit al Abdulmohsen, ein Gespräch vor dem Gerichtstermin führen zu können. "Dazu ist es nicht gekommen", beklagt Rutkowski. Sie bräuchten Gelegenheit, den Prozesstag zu besprechen. Richter Sternberg will dafür in einer Pause die Gelegenheit geben. Zudem beantragt der Anwalt, das Stabmikrofon zu wechseln - der Angeklagte will nicht, dass seine Gespräche mit den Verteidigern durchgehend in den Zuschauerraum übertragen werden.
09.59 Uhr: Richter Sternberg geht die Namen der Nebenklage durch und hat seine Liste eigentlich abgearbeitet. Doch mehrere Namen sind ihm offenbar nicht übermittelt worden - mehrere Anwesende ihm Saal melden sich noch per Handzeichen und geben ihre Namen zu Protokoll. al Abdulmohsen verfolgt das Geschehen ruhig sitzend in seinem Glaskasten. Immer wieder legt er eine Hand an seinen langen Vollbart.
Auf dem Display des Angeklagten steht "#MagdeburgGate"
09.50 Uhr: Richter Sternberg geht die Formalien durch. Die Kamera aus dem Gerichtssaal schwenkt kurz zu al Abdulmohsen und fängt seinen Bildschirm ein. "#MagdeburgGate" steht dort und "Sept. 26" - der Angeklagte hält weiterhin an seiner Verschwörung fest. Er sitzt mittig zwischen seinen beiden Pflichtverteidigern, in beiden hinteren Ecken haben maskierte Polizisten Platz genommen.
Angeklagter streckt seinen Laptop in Richtung des Publikums
09.32 Uhr: Plötzlich nimmt al Abdulmohsen seinen Laptop in die Hand und reckt ihn in Richtung der Presse und des Publikums! Aus dem Zuschauerbereich ist allerdings nicht zu erkennen, welche Botschaft er verbreiten möchte.
Angespannte Stille im Gerichtssaal, als der Amokfahrer hereinkommt
09.29 Uhr: Angespannte Stille im Gerichtssaal. Taleb al Abdulmohsen betritt den Glaskasten. Die Pressevertreter nehmen Foto- und Bildmaterial auf. Der Angeklagte sitzt ruhig auf seinem Stuhl und blickt auf den Bildschirm vor ihm.
Wie reagieren die Nebenkläger und Besucher auf den Angeklagten?
09.20 Uhr: Allmählich betreten Nebenkläger und Anwälte den Gerichtssaal und nehmen ihre Plätze an den 17 Tischreihen ein. Auffällig ist die bunte Farbmischung an Kleidung: lila, gelb, türkis, dunkelgrün. Manche haben haben sich für einen monotonen Stil entschieden, andere für Streifen oder Karomuster. Bislang wirkt die Stimmung ruhig. An den Eingängen bleibt alles geordnet und gut organisiert, der große Andrang ist bisher ausgeblieben. Im Besucherbereich sind noch einige Stühle unbesetzt. Gleich wird sich zeigen, wie die Nebenkläger und Besucher reagieren, wenn Abdulmohsen den Saal betritt und zu seinem Glaskasten geführt wird. Gerade betreten die beiden Anwälte den abgeschirmten Raum - begleitet von zwei maskierten Polizisten.
Angeklagter Taleb al Abdulmohsen sitzt mit Verteidigern in einem Glaskasten
08.47 Uhr: Für Magdeburg dürfte dieser Prozess ungeahnte Dimensionen erreichen. Allein 17 Tischreihen stehen allein für die mehr als 140 Nebenkläger und deren rund 40 Anwälte bereit. Von der Decke hängen 4 Reihen mit jeweils fünf Monitoren, dazwischen rotieren Ventilatoren. Auf der gegenüberliegenden Seite steht der glaub-graue Glaskasten bereit, in dem Taleb al Abdulmohsen (51) bald Platz nehmen wird. Von der Seite und durch eine Glaswand getrennt sind weitere 200 Sitzplätze für Presse und Besucher reserviert.
Taleb al Abdulmohsen droht die Höchststrafe
Montag, 10. November, 06.30 Uhr: Diese Gerichtsverhandlung wird in die deutsche Justizgeschichte eingehen. Beim Weihnachtsmarkt-Prozess in Magdeburg muss sich Taleb al Abdulmohsen von heute an für den Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am 20. Dezember 2024 verantworten. Ihm wird sechsfacher Mord, versuchter Mord an 338 Menschen und gefährliche Körperverletzung von 309 Menschen zur Last gelegt.
Die Anklage sieht die Merkmale "heimtückisch" und "mit gemeingefährlichen Mitteln" als erfüllt an. Damit droht bei einer Verurteilung die Maximalstrafe: lebenslänglich mit Feststellung der besonderen Schwere der Schuld und anschließend die Unterbringung in Sicherungsverwahrung.
Für den Prozess, der insgesamt fünf Millionen Euro kosten könnte, wurde in Magdeburg ein temporäres Gerichtsgebäude eröffnet: 4700 Quadratmeter Fläche bieten Platz für bis zu 700 Personen. Es soll höchste Sicherheitsanforderungen erfüllen. Die Zuständigkeit bleibt in Magdeburg, nachdem die Bundesanwaltschaft die Übernahme wegen fehlenden Staatsbezugs abgelehnt hatte.
Angesetzt sind zunächst 47 Sitzungstage bei bis zu drei Tagen pro Woche. Der Prozess beginnt um 9.30 Uhr. Planmäßig wird zunächst die Anklage verlesen. Anschließend erhält der Angeklagte, der von zwei Anwälten vertreten wird, die Möglichkeit, sich zur Sache einzulassen. Dafür ist auch der Dienstag reserviert. Für Donnerstag ist ein Sachverständiger für Straßenverkehrsunfälle angekündigt, der ein Gutachten vorstellen soll. Außerdem sind vier Zeugen geladen: Mitarbeiter der Mietwagenfirma, bei der sich al Abdulmohsen das Auto für den Anschlag auf den Weihnachtsmarkt besorgt haben soll.
FOCUS online berichtet am Montag live aus dem Gerichtssaal.
Ursprüngliche Meldung: Magdeburg-Amokfahrer will wohl vor Gericht aussagen
Der Attentäter vom Magdeburger Weihnachtsmarkt will vor Gericht vermutlich aussagen. Darauf deuten Unterlagen hin, die der "Stern" einsehen konnte. Der Prozess gegen Taleb al Abdulmohsen beginnt am Montag vor dem Magdeburger Landgericht.
Nach "Stern"-Informationen kam es vor gut zwei Wochen unter dem Vorsitz des zuständigen Magdeburger Richters zu einer Anhörung von Taleb al Abdulmohsen. Die Anhörung sollte ihm Gelegenheit geben, vor dem Prozess zu den Straftaten Stellung zu nehmen, die die Anklage ihm zur Last legt. Taleb al Abdulmohsen wurde aus der Untersuchungshaftanstalt Berlin-Plötzensee vorgeführt und erklärte seine Verteidigungsstrategie. Ob er diese vor Gericht umsetzt, muss der Prozess zeigen. Dass er von seinem Schweigerecht Gebrauch macht, erscheint jedoch unwahrscheinlich angesichts seiner Angaben in der Anhörung.
Taleb al Abdulmohsen will sich wegen Verschwörungstheorie auf "Notstand" berufen
Taleb al Abdulmohsen erklärte dem Richter, er wolle sich vor allem auf einen "Notstand" nach den Paragrafen 34 und 35 des Strafgesetzbuches berufen. Danach ist eine Strafbefreiung für Fälle vorgesehen, in denen sich der Beschuldigte in einer "gegenwärtigen Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit" befindet, die er nicht anders abwenden kann als durch die ihm zur Last gelegte Tat.
Aus dem Protokoll der mehr als drei Stunden langen Anhörung geht hervor, dass sich der aus Saudi-Arabien stammende und heute 51 Jahre alte Angeklagte schon lange vor der Tat in diverse Verschwörungserzählungen hineingesteigert haben muss. Er selbst sieht sich als Islamkritiker.
Gegenüber dem Richter erklärt er, staatliche Behörden und Flüchtlingsinitiativen in Deutschland würden mit dem Regime in Saudi-Arabien kooperieren, um jede islamkritische Opposition auszuschalten. Die Magdeburger Polizei habe sogar versucht, saudische Asylsuchende umzubringen. Ziel einer umfassenden Verschwörung, von der auch er sich bedroht fühle, sei die Islamisierung Europas.
Taleb A. stellt die Polizei als eigentlichen Täter dar
Im Verlauf der Anhörung erhebt Taleb A. immer wirrere Vorwürfe, die darin gipfeln, dass bei der Amokfahrt über den Weihnachtsmarkt von Magdeburg nicht er, sondern die Polizei der eigentliche Täter gewesen sei. Mit der offiziellen Darstellung des Geschehens würden die Opfer des Anschlages nachträglich betrogen.
Taleb A., der vor seiner Tat als Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie arbeitete, äußert mehrfach, er habe bei all seinen Konflikten mit Polizei, Gerichten und Behörden das Gefühl gehabt, nicht wie ein Mensch behandelt worden zu sein. Trotz seiner massiven Drohungen seit 2023 habe er immer versucht, zu einer friedlichen Lösung zu kommen.
Drei Stunden vor der Tat ging Taleb A. in den Supermarkt
Am Tag des Anschlages sei er gegen 16.00 Uhr, also etwa drei Stunden vor der Tat, in einem Supermarkt gewesen und habe sich dort bereits innerlich von der Welt verabschiedet, weil er damit gerechnet habe, dass ihn bald ein Polizist erschießen werde. Damit, so Taleb A., wären auch seine Schmerzen vorbei gewesen, die er nicht habe aushalten können.
Bei dem Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt am 20. Dezember 2024 hatte der Täter einen schweren BMW-SUV am Abend in die Besuchermenge gesteuert. Sechs Menschen wurden getötet, zahlreiche andere verletzt, zum Teil lebensgefährlich.