Ukraine erwartet „finale Schlacht“ um Pokrowsk – „Wird sehr blutig werden“
Wladimir Putin will Pokrowsk offenbar mit allen Mitteln einnehmen. Nun soll der Kreml-Chef für einen Großangriff zahlreiche Brigaden zusammenziehen.
Pokrowsk – Seit rund einem Jahr versucht Russland, die Stadt Pokrowsk in der Oblast Donezk einzunehmen. Doch wie in so vielen umkämpften Regionen im Ukraine-Krieg bringen die Truppen von Kreml-Chef Wladimir Putin Tod und Zerstörung, ohne wirklich voranzukommen. Nun scheint Moskau die Taktik hinsichtlich der wegen ihrer Lage und Verkehrsanbindung so wichtigen und einst 60.000 Menschen beherbergenden Stadt zu ändern.
Bereits Ende August sprach der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj davon, Russland würde „bis zu 100.000 Soldaten“ für eine Offensive vor Ort zusammenziehen. „Die Achse um Pokrowsk ist derzeit das schwerwiegendste Problem“, wird das Staatsoberhaupt von der Nachrichtenagentur Interfax-Ukraine zitiert. Auf X schrieb der User „Kriegsforscher“, der nach eigenen Angaben selbst in der Armee dient, sogar, „die finale Schlacht um den Rest der Oblast Donezk“ stehe bevor.
Ukraine-Krieg: Putin plant wohl Großangriff auf Pokrowsk in der Oblast Donezk
„Die Russen haben die größte Umgruppierung ihrer Streitkräfte seit Kiew 2022 durchgeführt“, warnte der Blogger. Er erwarte den Einsatz von Panzerabwehrkolonnen und viel Leid: „Es wird für beide Seiten blutig werden.“
Auf Facebook meldete sich das 7. Schnelle Reaktionskorps der Luftlandetruppen der ukrainischen Streitkräfte zu Wort. Demnach hat das russische Kommando kürzlich erfahrene Marineinfanterieeinheiten in das Gebiet verlegt. Diese hätten einzeln oder in kleinen Gruppen versucht, ohne Feindkontakt tief in die Stadt einzudringen. Zudem seien gepanzerte Fahrzeuge und Motorräder dazu genutzt worden, die Logistikwege des Korps abzuschneiden und den Ballungsraum Pokrowsk zu umzingeln.
Nun deute sich an, dass Russland einen „entscheidenden Durchbruch unter Einsatz einer großen Anzahl von Soldaten und Technik“ anstrebe. Das Hauptziel laute, den Ballungsraum Pokrowsk-Kramatorsk-Slawjansk zu erobern. Das ukrainische Korps passe seine Verteidigungstaktik entsprechend an und werde Maßnahmen ergreifen, um den Vormarsch aufzuhalten.
Ukraine erwartet Angriff auf Pokrowsk: „Russland würde Zehntausende weitere Soldaten opfern“
Im öffentlich-rechtlichen Sender Suspilne erklärte Taras Myshak, leitender Offizier der Kommunikationsabteilung der 59. Separaten Sturmbrigade für unbemannte Systeme, die russischen Angriffe in dem Gebiet hätten zwar abgenommen, doch die Invasoren würden nun vermehrt mit FPV-Drohnen und Artillerie operieren. Besonders gefährlich seien Glasfaserdrohnen, da diese nur schwer aufzustöbern seien.
Die Russen würden versuchen, die ukrainischen Logistikrouten zu unterbrechen und zugleich nach Lücken in der Verteidigungslinie suchen. Dabei nutze der Aggressor schlecht ausgebildete Soldaten quasi als Kanonenfutter. Diese würden losgeschickt, um die ukrainischen Feuerstellungen aufzuspüren. „Die Russen schonen sie nicht, sie haben kein Mitleid mit ihnen“, betont Myshak: „Nachdem sie in mehreren Wellen gefallen sind, können besser ausgebildete Soldaten nachrücken.“
Der finnische Analyst Joni Askola schrieb auf X, nach der weitgehend verpufften und teuer bezahlten Sommeroffensive werde Russland einen weiteren großangelegten Angriff fahren, um den Donbass komplett zu erobern. „Russland ist bereit, Zehntausende weitere Soldaten zu opfern. Es zeigt kein Interesse an Frieden. Keine Verhandlungen. Keine Pause. Nur noch mehr Krieg, mehr Blut, mehr Zerstörung“, twitterte er. Moskau bereite sich darauf vor, den Krieg noch Jahre fortzuführen.

Putin und der Ukraine-Krieg: Moskau hat offenbar doch noch Panzer in der Hinterhand
Dazu wurde offenbar auch Material zurückgehalten. Zu einem Tweet von „Unit Observer“ mit Fotos von zum Transport verladenen Panzern schreibt der Analyst Jompy: „Langsam aber sicher sollte es bewiesen sein, dass Russland tatsächlich Panzer in der Hinterhand behielt und mechanisierte Angriffe auf das absolute Minimum reduzierte.“
In den vergangenen Monaten hatte es im Westen geheißen, den Invasoren würden aufgrund der immensen Verluste die Panzer ausgehen. Das Open-Source-Portal Oryx listet mit Stand vom 7. September 2025 auf russischer Seite 4114 verlorene Panzer auf, von denen 3029 als zerstört gelten. Hinzu kommen unter anderem 2232 gepanzerte Kampffahrzeuge und 6104 Schützenpanzer.
Russische Verluste im Ukraine-Krieg (Auswahl; bis 7. September)
4114 Panzer
2232 gepanzerte Kampffahrzeuge
6104 Schützenpanzer
681 gepanzerte Mannschaftstransportwagen
969 selbstfahrende Artillerie-Systeme
520 Raketen-Artillerie-Systeme
343 Boden-Luft-Raketensysteme
163 Flugzeuge
161 Hubschrauber
19 unbemannte Kampfflugzeuge
28 Marineschiffe und U-Boote
Quelle: Oryx
Russland vor Großangriff auf Pokrowsk: Schlacht dauert wohl mindestens bis Jahresende
Derweil verweist „Kriegsforscher“ in weiteren Tweets darauf, dass Russland fünf von sechs Marinebrigaden in Richtung Dobropillja – die Stadt liegt knapp 30 Kilometer nördlich von Pokrowsk – verlegt habe. Hinzu kämen ein Panzerregiment, ein Infanterieregiment und zwei motorisierte Brigaden. Zugleich schätzt der Blogger, dass dieser „letzte Vorstoß“ mehr als ein Jahr brauchen könnte.
Zudem informiert der ukrainische Thinktank Centre for Defence Strategies, der Hauptnachrichtendienst des ukrainischen Verteidigungsministeriums gehe davon aus, dass Russland die Oblast Donezk nicht bis Jahresende erobern könne. Setze sich die aktuelle Dynamik auf dem Schlachtfeld fort, seien Putins Truppen frühestens Ende 2025 in der Lage, Pokrowsk, Kostjantyniwka, Druschkiwka und Kupjansk einzunehmen, die unmittelbaren Zugänge zu Saporischschja und dem Ballungsraum Slowjansk-Kramatorsk könnten bis zum Winteranfang erreicht werden.
Es droht also offenbar eine weitere wochen- und monatelange Abnutzungsschlacht. Ausgang offen. Sicher dürfte nur sein, dass sie viele Leben kosten wird. (mg)