Gebiete gegen Sicherheit? Nato könnte wohl bemerkenswerten Ukraine-Schritt erwägen
Gebiete gegen Mitgliedschaft? Nato könnte wohl bemerkenswerten Ukraine-Schritt erwägen
Die Nato wappnet sich für einen Wahlsieg Donald Trumps. Neue Optionen können erwogen werden. Auch das Abtreten ukrainischen Gebiets an Russland?
Brüssel – Noch ist es eine Idee, über die offiziell niemand spricht: ukrainische Territorien unter Kontrolle Russlands gegen die Sicherheit des Landes einzutauschen. Hinter verschlossenen Türen könnte darüber offenbar schon seit längerem gesprochen werden - falls US-Präsident Joe Biden nicht erneut gewählt wird, gilt eine solche Übereinkunft manchen sogar als wahrscheinlich.
„Die Ukraine wird Mitglied der NATO werden. Unser Ziel auf dem Gipfel ist es, eine Brücke zu dieser Mitgliedschaft zu bauen“, machte US-Außenminister Anthony Blinken am Donnerstag (4. April) in Brüssel unmissverständlich klar. Immerhin, so der Außenminister weiter, sei die Unterstützung für das Land unter den Mitgliedsstaaten des Bündnisses weiterhin „felsenfest“. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg fand ähnliche Worte: „Die Verbündeten haben klargemacht, dass die Ukraine ein Mitglied der Nato werden wird und wir müssen dafür sorgen, dass dies etwas ist, dem wir nachkommen“.
Angst vor einem Wahlsieg Trumps: Neue Strategie der Nato zur Beendigung des Ukraine-Kriegs?
Während manche - wie das US-Newsportal Politico - in diesen Worten nichts sehen, als ein Auffrischen lauwarmer Zusagen aus dem Vorjahr, vermuten andere wesentlich mehr dahinter. Der italienischen Zeitung La Repubblica zufolge ist es kein Zufall, dass Blinken und Stoltenberg solche Worte genau jetzt wählen. Das Blatt wittert darin den Hinweis auf eine neue Strategie zur Beendigung des Ukraine-Krieges, nämlich von Russland besetzte Territorien der Ukraine aufzugeben, um im Austausch Sicherheitsgarantien und den sofortigen Nato-Beitritt des Landes zu erwirken.

Ein Grund hierfür sei, dass ein solcher Handel „von vielen Experten als eine der möglichen Lösungen zur Beendigung des Krieges angesehen“ werde. Zwar sei er im Moment keine politisch diskutierte Option, de facto liege die Option aber auf dem Tisch. Ein zweiter, konkreterer Punkt, sei die Angst vor einem Wahlsieg Trumps und dessen Folgen. Trump hat wiederholt versichert, dass er im Falle seiner Rückkehr als „Oberbefehlshaber“ den Streit zwischen Moskau und Kiew im Handumdrehen beilegen wird. Laut La Repubblica wäre ein Tausch von Gebieten der geeignete Schachzug, um als derjenige erinnert zu werden, der den Frieden ermöglicht hat.
Sämtliche besetzten Gebiete dem Kreml überlassen – trotzdem bedarf es der Militärhilfe für Kiew
Der Zeitung zufolge könnte ein solches Vorhaben beinhalten, sämtliche besetzten Gebiete - also die Krim und die anderen vier Regionen, die in den letzten Jahren erobert wurden - dem Kreml zu überlassen. Den verbleibenden Teil der Ukraine nähme man schließlich in die Nato auf. In einem letzten Schritt würde dann eine Befestigung und Aufrüstung der neuen Nato-Ostgrenze stattfinden. Zwar sei ein dahingehender Wunsch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj auf dem Gipfeltreffen in Vilnius vor gut einem Jahr abgelehnt worden, um einen direkten Krieg mit Moskau zu verhindern. Nun könne sich das Szenario jedoch ändern; vor allem, falls Trump wieder ins weiße Haus einziehen sollte.
Welche Voraussetzungen muss ein Land erfüllen, um in die Nato aufgenommen zu werden?
Die Nato hat fünf Anforderungen, die Beitrittskandidaten mindestens erfüllen müssen:
1. Sie müssen die Demokratie hochhalten, einschließlich der Tolerierung von Vielfalt.
2. Sie müssen Fortschritte auf dem Weg zur Marktwirtschaft machen.
3. Ihre Streitkräfte müssen unter fester ziviler Kontrolle stehen.
4. Sie müssen gute Nachbarn sein und die Souveränität außerhalb ihrer Grenzen respektieren.
5. Sie müssen auf die Kompatibilität mit den NATO-Streitkräften hinarbeiten.
Diese Kriterien sind keine Checkliste, die automatisch zur NATO-Mitgliedschaft führt.
Des Weiteren müssen neue Mitglieder durch einen Konsens der derzeitigen Mitglieder eingeladen werden. Entscheidend für die Einladung neuer Mitglieder ist, ob „ihre Aufnahme in die NATO das Bündnis stärken und das grundlegende Ziel der NATO-Erweiterung, nämlich die Erhöhung der Sicherheit und Stabilität in ganz Europa, fördern wird“.
Gleichwohl sei unwahrscheinlich, dass es vor der Präsidentschaftswahl in den USA zu solchen Verhandlungen kommen werde. Allen Akteuren im Ukraine-Krieg sei, so La Repubblica, bewusst, dass 2025 das Jahr der Verhandlungen sei, 2024 hingegen noch auf dem Schlachtfeld zugebracht werde. Wladimir Putin werde also versuchen, so viel Territorium wie möglich zu erobern, um gestärkt in solche Verhandlungen gehen zu können. Es sei entscheidend, dass die Ukraine in diesem Jahr so wenig Gebiete verliere wie möglich. Dazu bedürfe es einer Beschleunigung und Verstärkung der westlichen Hilfen für Kiew.
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„Könnte die Situation noch verschärfen“: Wären die Menschen in der Ukraine zu dem Schritt bereit?
Grundsätzlich wäre eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine möglich, wenn alle Nato-Mitglieder zustimmen´- zumindest so lange ein solcher Schritt die „Sicherheit und Stabilität in ganz Europa“ erhöht, wie es vonseiten der Nato heißt. Doch hierüber gehen die Meinungen auseinander. Joshua Shifrinson, ein Professor für internationale Politik, der für den US-Thinktank Carnegie Endowment for International Peace tätig ist, befürchtet, dass ein solcher Schritt den „russischen Nationalismus und Imperialismus noch weiter anheizen“ könnte. Die Nato-Erweiterungen hätten diese Strömungen innerhalb des Landes mitzuverantworten; eine weitere NATO-Erweiterung um die Ukraine verspreche, „die Situation noch zu verschärfen“, so Shifrinson.
Ein ganz anderer Grund gegen einen solchen von La Repubblica aufgeworfenen Plan, ist die Ukraine selbst. Kiew fordert weiterhin die Rückgabe aller Gebiete, die Russland seit 2014 illegal annektiert und erobert hat, sowie eine finanzielle Entschädigung von Moskau - ohne jede Spur von Verhandlungsbereitschaft. Auch die Menschen im Land müssen erst bereit dazu sein, sich auf einen solchen Tauschhandel einzulassen. Einer Umfrage von Dezember zufolge, hat sich der Anteil der Ukrainer, die bereit sind, im Gegenzug für Frieden territoriale Zugeständnisse an Russland zu machen, in den letzten sieben Monaten fast verdoppelt - allerdings waren das noch immer nur 19 Prozent der Befragten. (tpn)