„Es war ein Vagabundenleben“: Tragische und schöne Seiten des Bobsports
Drei Jahrzehnte regnete es Medaillen für die Ohlstädter Bobfahrer. Die Chronik zählt mindstens 73 Podestplätze bei Weltmeister-, Europameisterschaften und internationalen Wettbewerben. Dazu 37 deutsche Meistertitel. Höhepunkt: Zwei Olympiasiege, eine olympische Silbermedaille, zwei Bronzemedaillen bei Olympischen Winterspielen.
Ohlstadt – Verwegen sausten die jungen Ohlstädter schon immer auf Skiern und Schlitten die Hänge am Heimgarten hinab. Dann kam das Jahr 1936 mit den Olympischen Winterspielen in Garmisch-Partenkirchen. Die Burschen aus Ohlstadt jubelten den rasenden Kerlen in der Eisrinne zu. Eine tollkühne Idee war geboren: Das können wir auch!
Mit selber gezimmerten Bobschlitten flitzten Wagemutige fortan vereiste Holzziehwege oberhalb des Dorfes runter. Es gab sogar kleine Wettrennen. Doch es kam – wie so häufig – etwas dazwischen. Die Zeit reichte nicht, den Bobsport in Ohlstadt aufblühen zu lassen, denn der Krieg fegte alle Pläne fort.
Der Bobvirus packte Ohlstadt
Franz Kemser aus Garmisch-Partenkirchen schenkte den Ohlstädtern ihren ersten Wettkampf-Zweierbob. Mit dieser Eisen-Holz-Konstruktion gewann Franz Schelle 1951 – gemeinsam mit Otto Göbl – seine erste Bayerische Meisterschaft und kurz darauf die Deutsche Meisterschaft.
1953 überzeugte Hans Laber den Wahlohlstädter Rudolf August Oetker vom Kauf eines Viererbobs. Wieder war es Heinz Schelle, der mit Jakob Nirschl, Hans Henn und Eduard Koller den ersten nationalen Viererbobtitel nach Hause brachten. Jetzt gab es kein Halten mehr. Eine eigene Bobbahn musste her! Stefan Gaisreiter erlebte als Bub den Hype mit: „Es war, als habe ein positiver Virus die Leute im Dorf erfasst. Jeder half mit, die Bahn zu bauen.“ Die Eisrinne war so gut, dass zwischen 1958 und 1970 alle deutschen Titelkämpfe auf ihr ausgerichtet wurden. Busse und Sonderzüge brachten das begeisterte Publikum nach Ohlstadt.
Die Euphorie kannte keine Grenzen, als Franz Schelle mit seinem Tean (Josef Storff, Ludwig Siebert, Otto Göbl) 1962 den Weltmeistertitel gewann.
Privatleben musste zurückstehen
Wie aus heiterem Himmel krachte die tragische Seite des Bobsports ins Dorf. Toni Pensberger verunglückte 1966 bei der Viererbob-Weltmeisterschaft in Cortina d‘ Ampezzo. In der Kurve ‚Bandion‘ konnte der 26-Jährige den Schlitten nicht halten. Toni Pensberger starb, Ludwig Siebert wurde schwerst verletzt. Helmut Wurzer und Roland Eberhart kamen relativ glimpflich davon. Stefan Gaisreiter: „Viele im Dorf wollten geschockt den Bobsport aufgeben.“
Doch Wolfgang Zimmerer sah das anders: „Der Toni hätte es niemals gewollt, dass wir aufhören.“ Der gelernte Bäcker entwickelte sich mit Peter Utzschneider zur idealen Bobcrew. Wolfgang Zimmerer erzählte einmal: „Es war ein Vagabundenleben mit vielen schönen Seiten, aber dem großen Nachteil, dass vieles im Privatleben zurückstehen musste.“
1972, bei den Olympischen Winterspielen im japanischen Sapporo gingen Zimmerer und Utzschneider als ‚Deutschland II‘ an den Start. Favoriten waren Horst Floth und Peppi Bader vom SC-Riessersee. Nach vier spannenden Durchgängen hatten die Ohlstädter die Nase vorne: Olympiasieger. Ein paarTage später holten Zimmerer und Utzschneider zusammen mit Walter Steinbauer und Stefan Gaisreiter im Viererbob die Bronzemedaille. Wolfgang Zimmerer: „Schade, dass alles so weit weg von der Heimat passierte.“
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Mit den Olympischen Winterspielen 1976 ging die große Zeit der Ohlstädter Bobfahrer zu Ende. Wolfgang Zimmerer und seine Mannschaft (Peter Utzschneider, Manfred Schuhmann, Bodo Bittner) gewannen in Innsbruck noch einmal zum Abschluss Silber und Bronze.
Den letzten großen Titel für den Bobsport in Ohlstadt holte Stefan Gaisreiter 1979 bei der Viererbob-Weltmeisterschaft. Er wäre eigentlich 1980 als Favorit zu den Olympischen Winterspielen nach Lake Placid gefahren. Bei der Europameisterschaft in St. Moritz verunglückte Stefan Gaisreiter und gab den aktiven Bobsport auf: „Nach dem schweren Unfall war mir die Familie wichtiger.“
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