Appell an die Gesellschaft: Die Kitakrise: Was bedeutet sie für Eltern und Kinder?
Das Fundament der Versorgung kleiner Kinder in unserer Gesellschaft wankt. Auch, wenn die Kitas schon immer in Bezug auf Personalschlüssel und Ausstattung verbesserungswürdig waren, herrscht nun geradezu eine Krise. Wir sorgen für einen denkbar schlechten Start unserer Kleinsten ins Leben. Der chronische Personalmangel, überfüllte Gruppen und unzureichende finanzielle Mittel gefährden nicht nur das Wohl der Kinder, sondern stellen auch Eltern und Fachkräfte vor immense Herausforderungen.
Die Realität in deutschen Kitas: Überlastung und Erschöpfung
In vielen Kindertagesstätten herrscht ein eklatanter Personalmangel. Erzieherinnen und Erzieher betreuen oft zu viele Kinder gleichzeitig, was zu einer Überforderung führt. Eine Umfrage des Paritätischen Gesamtverbands zeigt, dass 60 Prozent der Fachkräfte angeben, nicht mehr angemessen auf die Grundbedürfnisse der Kinder eingehen zu können. Dies betrifft insbesondere die unter Dreijährigen, die bei der Stressverarbeitung stark auf Erwachsene angewiesen sind.
Die Arbeitsbelastung hat in den letzten Jahren stetig zugenommen. Neben dem Personalmangel sind viele Gruppen überfüllt, was sowohl bei den Kindern als auch Fachkräften den Stresspegel steigen lässt und sichtbar zur Erschöpfung führt. Die Folge sind vermehrte Krankheitsausfälle und eine hohe Fluktuation im Personalbereich.
Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung: Wenn Bindung fehlt
Eine sichere Bindung ist die Grundlage für die gesunde Entwicklung eines Kindes. Doch in überfüllten Gruppen mit überlastetem Personal ist es kaum möglich, auf die individuellen Bedürfnisse jedes Kindes einzugehen. Kinder, deren Signale nicht feinfühlig beantwortet werden, können keine sichere Bindung aufbauen. Dies beeinträchtigt ihre Fähigkeit, den Raum zu erkunden, auf andere Kinder zuzugehen und Bildungserfahrungen zu machen.
Bereits vor der Pandemie zeigten Untersuchungen, dass 20 Prozent der beobachteten Kinder in Kitas Anzeichen von Anspannung, Teilnahmslosigkeit und Niedergeschlagenheit zeigten oder kaum in Kontakt mit den Fachkräften oder anderen Kindern aufnahmen. Seit der Pandemie hat sich die Situation dramatisch verschlechtert. Viele Fachkräfte sind aufgrund der gestiegenen Belastungen emotional wie körperlich am Ende. Auch die Kinder zeigen zum Teil extreme Formen von Unwohlsein.
Die Rolle der Eltern: Zwischen Sorge und Überforderung
Eltern stehen vor der Herausforderung, die Qualität der Betreuung ihrer Kinder zu beurteilen und gleichzeitig ihren beruflichen Verpflichtungen nachzukommen. Die Unsicherheit über die Betreuungssituation führt zu zusätzlichem Stress. Viele Eltern berichten von kurzfristigen Gruppenschließungen oder eingeschränkten Öffnungszeiten aufgrund von Personalmangel. Dies erschwert die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erheblich.
Zudem sind Eltern besorgt über die Auswirkungen der Betreuungssituation auf die Entwicklung ihrer Kinder. Die fehlende individuelle Zuwendung und die mangelnde emotionale Unterstützung in den Kitas können langfristige Folgen für das Wohlbefinden und die Entwicklung der Kinder haben.
Eltern geraten mehr denn je in die Zwickmühle zwischen (berechtigten) eigenen Interessen und der Tatsache, dass sie ihr Kind oft nicht gut genug versorgt wissen. Schuldgefühle verstärken sich. Aber es hilft leider nichts: Eltern sollten immer sehr genau hinsehen und hinstürzen, wie sich ihr Kind in der Kita fühlt. Kinder passen sich nicht selten auch an mangelhafte Bedingungen an und erscheinen vordergründig unauffällig. Elterliche Expertise ist gefragt. Geht es dem Kind in der Kita wirklich gut? Hinweise auf die allgemeine angebliche Verweichlichung unserer Kinder durch zu aufmerksame Eltern sind zynisch und verkennen die seelische Realität der Kinder.
Gesellschaftliche Konsequenzen: Eine wachsende Bildungslücke
Die Kitakrise hat nicht nur unmittelbare Auswirkungen auf Kinder und Eltern, sondern auch langfristige gesellschaftliche Konsequenzen. Die unzureichende frühkindliche Bildung und Betreuung führen zu einer wachsenden Bildungslücke, insbesondere bei sozioökonomisch benachteiligten Kindern. Dies kann langfristig zu einer Zunahme psychischer Auffälligkeiten und geringeren Bildungschancen führen.
Investitionen in die frühkindliche Bildung lohnen sich auch volkswirtschaftlich. Jeder investierte Euro in die Versorgung von Vorschulkindern bringt später das Drei- bis Vierfache in Form von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen zurück. Dennoch fehlt es an ausreichenden finanziellen Mitteln und politischen Maßnahmen, um die Situation nachhaltig zu verbessern.
Fazit: Ein Appell an die Gesellschaft
Die Kitakrise in Deutschland ist ein Alarmsignal, das nicht ignoriert werden darf. Die aktuellen Bedingungen in vielen Kitas gefährden das Wohl der Kinder, überfordern die Fachkräfte und stellen Eltern vor große Herausforderungen. Es bedarf dringend politischer Maßnahmen, um die Qualität der frühkindlichen Bildung und Betreuung zu sichern. Dies umfasst eine bessere Personalausstattung, angemessene Gruppengrößen und ausreichende finanzielle Mittel. Wir übersehen und übergehen die seelischen Bedürfnisse unserer Kinder. Das sind verwahrlosende Tendenzen, denen wir entschieden entgegentreten müssen!
Entscheidend sind hierbei Eltern, die sich zu Wort melden, sich wehren und sich zusammentun, um ohne Vorwurf an die ebenfalls betroffenen Erzieher*Innen für jede einzelne Kita konkret zu überlegen, wie die Versorgung der Kinder verbessert werden kann.
Dieser Beitrag stammt aus dem EXPERTS Circle – einem Netzwerk ausgewählter Fachleute mit fundiertem Wissen und langjähriger Erfahrung. Die Inhalte basieren auf individuellen Einschätzungen und orientieren sich am aktuellen Stand von Wissenschaft und Praxis.