Spitzname „Schneeleopard“: Wofür der neue ukrainische Befehlshaber Syrskyj steht

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Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bei einem Treffen mit Generaloberst Oleksandr Syrskyj in der Stadt Izium. © Ukraine Presidential Press Servi/Imago

Er befreite Cherson und er verantwortete die Verluste in Bachmut: Generaloberst Syrskyj ist zum neuen Befehlshaber der ukrainischen Armee ernannt worden.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj mag es nicht, seine Untergebenen mit einem Knall zu entlassen – es sei denn, diese seien komplett gescheitert oder waren in einen zu großen Skandal verwickelt. Sonst bemüht sich das Präsidentenbüro stets, das gegenseitige Einvernehmen zu signalisieren und am besten eine andere Position im Team um Selenskyj anzubieten. Der beliebte ukrainische Armee-Befehlshaber Walerij ist kein Gescheiterter, auch wenn seine Truppe den letzten großen Sieg im Abwehrkrieg gegen Russland im November 2022 mit der Befreiung der Stadt Cherson feierte.

So bemühten sich Selenskyj und sein Verteidigungsminister Rustem Umerow in den letzten eineinhalb Wochen stets darum, die Personalentscheidung nach außen ruhig zu gestalten. Weil Saluschnyj einen freiwilligen Rücktritt zunächst abgelehnt hatte, war dafür Zeit notwendig. Eine gewisse Schadensbegrenzung ist dem Präsidentenbüro letztlich gelungen: Ein freundliches gemeinsames Foto und ebenfalls freundliche gegenseitige Statements dürften nicht alle kritischen Stimmen in Bezug auf die in der Gesellschaft eher umstrittene Entscheidung beruhigen. Doch sie waren notwendig.

Dass Saluschnyj das ausgesprochene Angebot, im Team um Selenskyj zu bleiben, annimmt, ist unwahrscheinlich. Dass er gleich politisch aktiv wird, ist es aber auch – und das ist im ersten Schritt vor allem für das Land mitten im schweren Überlebenskrieg gut.

Selenskyj ist eigentlich aber auch niemand, dessen Entscheidungen leicht vorhersehbar sind. Das zeigte er schon mit der Ernennung von Saluschnyj im Juli 2021: Der heute 50-Jährige war der inoffiziellen Hierarchie zufolge nicht zwingend als Nächster für die Position des Befehlshabers vorgesehen. Und das war ebenso mit dem Verteidigungsminister Rustem Umerow im vergangenen September der Fall: Auch ihn hatte für die Position sehr lange niemand auf dem Zettel.
Dieses Mal aber hat sich Selenskyj nicht etwa für den Chef des Militärgeheimdienstes Kyrylo Budanow entschieden, worüber viel spekuliert wurde und was ein sehr ungewöhnlicher Schritt gewesen wäre, und auch für niemand ganz Überraschendes.

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Spitzname „Schneeleopard“

Die Ernennung des 58-jährigen Generalobersten (Drei-Sterne-General, im Nato-System Generalleutnant) Oleksandr Syrskyj, der seit 2019 Kommandeur der Landstreitkräfte war, lag dagegen auf der Hand und ist ganz logisch – nicht nur deswegen, weil er ähnlich wie Budanow gute Beziehungen zum Präsidenten pflegt. Und eigentlich ist er eben jemand, der im Juli 2021 eher als Saluschnyj an der Reihe gewesen wäre. Syrskyj, Spitzname Bars („Schneeleopard“), ist zumindest auf dem Papier der erfolgreichste General dieses Krieges.

Einerseits war er für die Verteidigung von Kiew zu Beginn der vollumfänglichen Invasion verantwortlich. Er organisierte die Stationierung von Flugabwehr und Flugzeugen, plante die Verteidigungslinien und traf zum Beispiel Mitte März 2022 die Entscheidung zur Sprengung eines Damms im Dorf Moschtschun, die das Eindringen der Russen in die Hauptstadt in einem kritischen Moment verhinderte. Damit war die Schlacht um Kiew entschieden.

Im September 2022 organisierte er schließlich die kreative und blitzartige Offensive im Bezirk Charkiw, von der er unter anderem Saluschnyj überzeugen musste, der sich Gerüchten zufolge vorerst ganz auf Cherson konzentrieren wollte. Diese Operation hat nur zu sehr wenigen Verlusten auf ukrainischer Seite geführt und gilt insgesamt als die erfolgreichste in diesen fast zwei Jahren. Auf der anderen Seite war er auch maßgeblich für die Verteidigung von Bachmut, die sehr viele Opfer gekostet hat und an deren Sinn ab einem gewissen Zeitpunkt einige sowohl in der Ukraine als auch im Ausland nicht mehr glaubten.

In Russland geboren, in Moskau studiert

Deswegen gibt es bei der Armee zwei ganz unterschiedliche Meinungen über Syrskyj. Die einen schätzen ihn sehr und halten Syrskyj für deutlich näher an der Truppe als Saluschnyj, der recht selten in die Nähe der Front kam. Die anderen halten den 58-Jährigen für den General, dem menschliche Verluste wenig bedeuten. Abgesehen davon, dass er seine Operationen sehr akribisch bis ins Detail plant, ist aufgrund der völlig unterschiedlichen Erfahrungen von Charkiw und Bachmut schwer bis unmöglich zu sagen, was näher an die Wahrheit ist.

Was allerdings sicher der Fall ist: Als gebürtiger und ethnischer Russe, der seine militärische Ausbildung in Moskau absolvierte und Ukrainisch noch immer mit russischem Akzent spricht, wird Syrskyj immer die Vorurteile etwa über die „alte sowjetische Schule“ zu hören bekommen, wie erfolgreich er auch an der Front sein mag. Vieles wird auch davon abhängen, welche Generale die wichtigsten Positionen in seinem Stab übernehmen werden, denn das Team um Saluschnyj geht komplett.

Nur der größere Kreis der Kandidaten steht bereits fest. An der Front, wo sowieso vorerst aktive Defensive ansteht, sind große Veränderungen vorerst nicht zu erwarten. Doch Selenskyj erhofft von Syrskyj, dem er vertraut, frischen Wind und einen klaren, realistischen Plan für 2024 – etwas, was er offenbar von Saluschnyj erfolglos verlangte.

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