Nach einem Jahr Vakanz ist Mathias Litzenburger der neue Pfarrer der evangelischen Gemeinde in Oberstdorf. Litzenburger spricht mit unserer Zeitung über Herausforderungen, den Reiz des Anfangs und warum er nicht im Talar den Kirchenboden fegt.
Oberstdorf – Mathias Litzenburger ist im Ruhrgebiet und im Münsterland aufgewachsen. Der Pfarrer seiner Heimatgemeinde im Münsterland inspirierte ihn. Mit 17 Jahren stand für Litzenburger fest: „Ich will Pfarrer werden.“ Das Theologiestudium führte ihn von Münster über Jerusalem nach München. Er heiratete seine Frau, ihre zwei Kinder kamen zur Welt und Litzenburger schrieb seine Doktorarbeit. Es folgte der Vorbereitungsdienst für das Pfarramt, das Vikariat, in der Paul Gerhardt-Kirche in München Laim. Seit Ende August lebt Litzenburger nun mit seiner Familie in Oberstdorf.
Er spricht von einem Herzenswunsch. Litzenburger reizt die berufliche Herausforderung, eine evangelische Gemeinde im Oberallgäu mit einem hohen Gästeaufkommen zu betreuen, das sei etwas Besonderes. Die evangelische Gemeinde umfasst neben Oberstdorf mit knapp unter 1.000 Mitgliedern auch das Kleinwalsertal mit etwa 500 Mitgliedern und Fischen, das als selbstständiger Teil eine Sonderstellung einnimmt.
Mathias Litzenburger ist neuer evangelischer Pfarrer in Oberstdorf
Die Zusammenarbeit vor allem mit dem Kleinwalsertal ist eng: „Wir treffen uns jede Woche, tauschen uns aus, halten wechselseitig Gottesdienste“, sagt Litzenburger. Verwaltungstechnisch kommt einiges auf den neuen Pfarrer zu. Das Kleinwalsertal wird komplett über Oberstdorf mitverwaltet, österreichische Rechtsfragen inklusive. „Das ist eine ganz seltene Ausnahmesituation“, bekräftigt Litzenburger. Wie bereitet man sich darauf vor?
„Letzten Endes hilft es, wenn man die Eigenverwaltung gut im Blick hat, um dann noch das Add-on obendrauf zu lernen.“ Er sieht es als eine wichtige Aufgabe der evangelischen Kirche an, Pfarrerinnen und Pfarrer von Verwaltungsaufgaben zu entlasten. Dies würde es ihnen ermöglichen, sich wieder auf ihre ursprünglichen Aufgaben zu konzentrieren, anstatt sich mit Finanzmanagement beschäftigen zu müssen.
Für Menschen da sein
Litzenburger sieht die ursprünglichen Aufgaben eines Pfarrers im Gottesdienst, der Seelsorge, der Begleitung von Menschen in allen Lebenslagen und im Bereich der Bildung. Im Vordergrund solle mehr die Arbeit mit Menschen, als die Arbeit mit Zahlen stehen. Die Arbeit mit Menschen ist besonders im Allgäu für einen Pfarrer vielschichtig. Auf die Berggottesdienste blickt Litzenburger mit Vorfreude. In Berchtesgaden und Bad Reichenhall hat Litzenburger einen geistlichen Kollegen besucht, der Berggottesdienste abhielt. Das seien bewegende Momente.
„Berggottesdienste werden sehr gut angenommen, weil Menschen in der freien Natur sind, weil sie im Urlaub wirklich den Kopf haben für Themen, für die sie im Alltag vielleicht nicht so viel Zeit haben.“ Die Menschen, meist Touristen, würden in der Natur noch eine ganz andere Art von spiritueller Erfahrung haben. Auf Nachfrage bestätigt Litzenburger, dass das keine Gemeindearbeit im typischen Sinne sei. Er sieht es als Arbeit an und für die Kirche. „Das ist unser großer Wunsch, dass wir Menschen erreichen mit unserer Botschaft.“
Wenn Gäste und Gemeinde zusammenkommen
Auch ein klassischer Gottesdienst in Oberstdorf unterscheidet sich von denen anderer Gemeinden. Gerade in der Hauptsaison, sowohl im Sommer als auch im Winter, sind Gäste und Gemeindemitglieder anwesend.
Litzenburger stellt sich daher die Frage, wie man alle Anwesenden ansprechen und einbeziehen kann. Es gelte, diejenigen, die regelmäßig kommen und ein Recht darauf haben, gezielt angesprochen zu werden, weil sie zur Gemeinde gehören, nicht aus dem Blick zu verlieren, ohne dabei die Gäste zu vernachlässigen – oder umgekehrt. „Das ist immer eine Gratwanderung“, ist sich Litzenburger sicher. Dennoch hat Litzenburger den Eindruck, dass dies in Oberstdorf bereits gut funktioniert und die Gastfreundschaft vom Markt Oberstdorf gelebt wird.
Seelsorger, aber kein Therapeut
Als Pfarrer ist Litzenburger auch Seelsorger. Er betont, dass er keine therapeutischen Leistungen erbringen kann. Wenn er den Eindruck gewinnt, jemand benötige professionelle psychologische Hilfe, verweist er an entsprechende Fachkräfte. Doch wie bewältigt er selbst belastende Situationen? „Es gibt sehr traurige Situationen, auch am Grab. Der Talar, den man trägt, der schützt ungemein“, sagt der Pfarrer. So könne er sich selbst sagen: Ich bin in einer Rolle, ich bin nicht Betroffener. Dieser Schutz helfe ihm, die Belastung nicht mit nach Hause zu nehmen. „Wenn ich den Talar wieder ausziehe, ist die Bestattung für mich vorbei.“
Die Angehörigen trauern natürlich weiter und ich begleite sie weiter, sagt der Pfarrer, aber ich selbst bin nicht betroffen. Es gebe auch Situationen, bei denen ihm die Tränen kommen würden. „Ich brauche nicht in Trauer zu zerfließen, aber mit Situationen authentisch umzugehen, halte ich für viel wichtiger, als ja keine Regung zu zeigen.“ Das Anziehen des Talars markiert für ihn den Beginn einer besonderen Zeit. „Ich kann morgens um 9.30 Uhr noch einmal in der Kirche durchfegen. Das würde ich nicht im Talar tun. Den ziehe ich erst an, wenn ich sage, jetzt gleich geht es los.“ Auch seine Beziehung zu Gott hilft Litzenburger, den Kopf freizubekommen. „Ich habe das Privileg, neben der Kirche zu wohnen und abends hineingehen zu können, wenn niemand mehr da ist, und für mich durchzuatmen.
Manche Anliegen verarbeitet der Pfarrer in Gebeten und tritt sie dadurch ab. Ich vermute, dass dies unter Pfarrern keine unübliche Praxis ist. Das hilft gewaltig.“ Litzenburgers Vorgänger, Markus Wiesinger, hat die Gemeinde fast zwanzig Jahre begleitet und geprägt. Zu einem Austausch kam es noch nicht. „Ich möchte die Gemeinde erst einmal selbst kennenlernen und dann gerne noch mit ihm darüber sprechen“, sagt Litzenburger. Für Litzenburger ist das der Reiz des Anfangs und, einen unvoreingenommenen Blick auf die Personen und die Örtlichkeiten zu haben. Übrigens stand Litzenburger als Achtjähriger neben seinem Großvater auf dem verschneiten Nebelhorn. Er hat noch Fotos davon. Seitdem er in Oberstdorf ist, war er noch nicht oben, aber er hat es vor.
Ordination am Samstag
Am Samstag, 13. September, wird seine Ordination und Einführung durch Regionalbischof Thomas Prieto Peral und Dekanin Dorothee Löser um 15 Uhr in der Christuskirche stattfinden. Mathias Litzenburger freut sich auf ein gemeinsames Fest und ein Kennenlernen in aller Ruhe.
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