Europas Hoffnungsträger insolvent: Scheitert jetzt das nächste Ampel-Projekt für Deutschland?
Der schwedische Batteriehersteller Northvolt baut in Deutschland eine neue Giga-Fabrik. Nun ist das Unternehmen aber pleite. Was passiert mit dem Bau?
Stockholm/Heide – Die Krise in der Automobilindustrie hat Folgen für die ganze Lieferkette. Für Elektroautos bedeutet das unweigerlich die Batterien, bei denen Europa ohnehin schwächer dasteht als die Konkurrenz aus China. Das schwedische Unternehmen Northvolt sollte das ändern und zu Europas wichtigstem Batterieproduzenten wachsen. Dieses Vorhaben erhält nun einen Rückschlag: Die Firma ist insolvent.
Northvolt meldet Insolvenz an: Batteriehersteller hat Milliarden-Schulden
Der angeschlagene schwedische Batteriehersteller Northvolt hat Gläubigerschutz nach US-Recht beantragt und sucht nun nach einem weiteren Investor. Das teilte das Unternehmen am Donnerstag (21. November) mit. Das Sanierungsverfahren nach Kapitel 11 (Chapter 11) des US-Insolvenzrechts schützt Northvolt für eine gewisse Zeit vor dem Zugriff seiner Gläubiger und erleichtert damit den finanziellen Neustart. „Das über allem stehende Ziel ist es, mit einem oder mehreren langfristigen strategischen oder Finanzinvestoren zusammenzuarbeiten“, hieß es in den Gerichtsunterlagen. Zugleich erhält das Unternehmen Zugriff auf 245 Millionen Dollar und kann damit sein Überleben in den kommenden Wochen gewährleisten.
Der Schritt, in den USA Gläubigerschutz zu suchen, kommt nicht überraschend: Die Nachrichtenagentur Reuters hatte vergangenen Freitag unter Berufung auf Insider gemeldet, dass Northvolt den Schritt in Betracht ziehe. Northvolt verfügt den Gerichtsunterlagen zufolge derzeit nur noch über flüssige Mittel von 30 Millionen Dollar – das reicht den Angaben nach gerade noch für eine Woche. Zugleich liegt der Schuldenberg inzwischen bei 5,8 Milliarden Dollar. Das Unternehmen hatte in den vergangenen Monaten mit seinen Geldgebern über ein Finanzierungspaket verhandelt, allerdings ohne Erfolg.
Insolvenz von schwedischem Batteriehersteller: Volkswagen ist größter Anteilseigner
Nun stellt der schwedische Lkw-Hersteller Scania Northvolt ein Darlehen in Höhe von 100 Millionen Dollar zur Verfügung. Damit solle die Herstellung von Batteriezellen für E-Fahrzeuge im nordschwedischen Skelleftea unterstützt werden. Scania bezieht schon jetzt Batterien von Northvolt. Die weiteren 145 Millionen Dollar sind Mittel von Northvolt, die bislang als Sicherheiten zurückgelegt wurden. Der größte Anteilseigner ist Volkswagen, auch die US-Investmentbank Goldman Sachs und BMW gehören zu den Eigentümern. BMW und Goldman Sachs lehnten eine Stellungnahme ab. Volkswagen erklärte am Abend, man stehe mit Northvolt in engem Kontakt.
Die vom Northvolt-Mitbegründer Harald Mix geleitete Investmentgruppe Vargas beschrieb den Schritt als notwendig, um die Kapitalstruktur zu stärken. Gleichzeitig könne das Unternehmen den Betrieb aufrechterhalten, sich auf die Steigerung der Fertigungszahlen konzentrieren und die Kosten senken. Man sei überzeugt, dass Northvolt diese Zeit durchstehen werde. Northvolt selbst erklärte, das Unternehmen erwarte, die Restrukturierung bis zum ersten Quartal 2025 abzuschließen. Solange werde der Betrieb wie gehabt weitergehen.
BMW zog Mega-Deal mit Northvolt zurück – Northvolt-Insolvenz ist Rückschlag für die Branche
Der Batteriehersteller benötigt derzeit dringend Geld und arbeitet seit mehreren Wochen mit seinen Investoren an einem Rettungspaket. Die schwedische Regierung hatte jüngst erklärt, keine Anteile von Northvolt übernehmen zu wollen. Northvolt hat noch nie einen Gewinn erwirtschaftet und kämpft mit Qualitätsproblemen und Verzögerungen. Im Juni zog deswegen BMW einen Auftrag mit einem Volumen von zwei Milliarden Euro zurück. Wegen wegbrechender Aufträge und Problemen beim Hochfahren der Produktion hatte der Konzern zuletzt seine Ausbaupläne massiv eingedampft, tausende Mitarbeiter entlassen und Tochtergesellschaften verkauft. Noch am Mittwoch ernannte Northvolt den Sanierungsexperten Paul O‘Donnell zum Chef seiner Hauptanlage in Nordschweden.
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Der Antrag auf Gläubigerschutz ist ein Rückschlag für die europäischen Bemühungen, sich mit einer eigenen Batterie-Industrie unabhängiger von chinesischen Herstellern wie CATL und BYD zu machen. Nach Daten der Internationalen Energieagentur ist 85 Prozent der Batteriezellen-Herstellung in der Volksrepublik beheimatet. Northvolt hat zwar eine Reihe von europäischen Startups bei der Investition von Milliardensummen in die Batteriefertigung angeführt. Allerdings ist die Nachfrage nicht so schnell angestiegen wie von Teilen der Branche vorhergesagt.
Northvolt baut Fabrik in Deutschland: Bau wird sich wohl verzögern
Noch ist nicht abzusehen, was das konkret für den Bau einer Northvolt-Gigafabrik im schleswig-holsteinischen Heide bedeutet. Das Unternehmen erklärte dazu am Abend: Die deutsche Tochter werde unabhängig von der Muttergesellschaft finanziert. „Sie ist nicht Teil des Chapter 11-Verfahrens.“ Deutschlandchef Christofer Haux sagte, „in Dithmarschen schreiten die Bauarbeiten derweil weiter voran. Der Standort genießt höchste Priorität.“ Klar ist aber bereits, die Fabrik soll später ihre Arbeit aufnehmen als zunächst geplant. Die Zellmontage soll erst in der zweiten Jahreshälfte 2027 starten, statt bereits Ende 2026.

Anfang des Jahres hatte die EU-Kommission Fördermittel und Garantien für das Milliarden-Projekt in Heide über 902 Millionen Euro genehmigt. Der Bund und das Land Schleswig-Holstein unterstützen den Bau der Batteriefabrik mit rund 700 Millionen Euro. Hinzu kommen mögliche Garantien über weitere 202 Millionen Euro. Eine Verwaltungsvereinbarung sieht vor, dass zunächst die Landesmittel in Höhe von 137 Millionen Euro fließen sollen. Das ist bislang aber nicht der Fall gewesen. Auf den Bund entfallen etwa 564 Millionen.
Schleswig-Holstein in Sorge um Northvolt: Bauarbeiten in Heide sollen aber weiterlaufen
Der Batteriehersteller verwies darauf, dass der Bau in Norddeutschland im gemeinsam mit Bundes- und Landesregierung festgelegten Zeitplan liege. „Es wurden bisher keine Fördermittel in Anspruch genommen, und Northvolt Germany wird, solange die Restrukturierung der Muttergesellschaft andauert, auch weiterhin keine Mittel abrufen.“
Schleswig-Holsteins Staatskanzleichef Dirk Schrödter (CDU) sieht Chancen für einen Restrukturierungsplan gemeinsam mit den Gläubigern. Es sei bedauerlich, dass noch keine gesicherte Finanzierung für den Mutterkonzern in Schweden gelungen sei, sagte Schrödter. „Es ist gut, dass nach den Diskussionen der letzten Wochen jetzt Klarheit über das weitere Verfahren und die nächsten Schritte herrscht.“
„Es ist gut, dass die Bauarbeiten in Heide weiterlaufen und nun konkrete Aussagen zum Zeitplan getroffen wurden“, sagte Schrödter. Das Land werde alle förderrechtlichen Fragen gemeinsam mit dem Bund prüfen. „Fragen betreffend etwaige Risiken für den Bund und das Land werden derzeit eingehend mit dem Bund besprochen und bewertet, über die Risikoposition des Bundes und des Landes hinsichtlich der Wandelanleihe kann somit derzeit noch keine Aussage getroffen werden, da das Verfahren unter Chapter 11 erst beginnt“, erklärte Schrödter. (mit Reuters und dpa)