Treffen zwischen zwei Machthabern: „Im Moment treibt Erdogan Putin ein bisschen vor sich her“

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Machthaber unter sich: Recep Tayyip Erdogan und Wladimir Putin auf einer Pressekonferenz im russischen Sotschi im September 2023. © Sergei Karpukhin/Imago

Russlands Präsident Wladimir Putin will in die Türkei reisen. Dabei geht es sowohl um Symbolpolitik als auch um regionale Machtspiele.

Ankara – Es ist das erste Mal seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs, dass der russische Präsident Wladimir Putin wieder einen Fuß auf Nato-Boden setzen wird. Möglicherweise schon am Montag (12. Februar) wird Recep Tayyip Erdogan seinen Amtskollegen in der Türkei empfangen. Dabei hätten sie „viele Fragen zu erörtern“, wie der türkische Außenminister Hakan Fidan kürzlich dem Sender TRT Haber sagte.

„Für Erdogan ist dieser Besuch aber vor allen Dingen symbolpolitisch“, sagte Dawid Bartelt, Leiter des Türkei-Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Istanbul, im Gespräch mit fr.de von IPPEN.MEDIA. „Es signalisiert eine Verständigung von zwei Staatschefs, die in dieser ganzen Region – Südosteuropa, Naher Osten, Zentralasien, südliches Mittelmeer – ja durchaus auch Konkurrenten sind“, so der Experte.

Tatsächlich bemühen sich die beiden Staatschefs um den Machtausbau ihres Landes und stoßen dabei auf die Interessen des jeweils anderen – wie etwa in Syrien oder Libyen. Von einer strategischen Partnerschaft zu sprechen, sei daher schwierig, meint Bartelt: „Das ist eine rein transaktionale Beziehung: Ich gebe dir, du gibst mir. Und da beide autoritäre Staatsführer sind, gibt es auch kein Vertrauen.“

Treffen zwischen Putin und Erdogan: Energielieferungen werden im Mittelpunkt stehen

Für Putin sei die Energielieferung in die Türkei sehr wichtig, das stehe außer Frage. „Schließlich sind die Russen auch daran interessiert, ihr Gas zu verkaufen, wo sie das in vielen Ländern nicht mehr verkaufen können.“ Der russische Präsident soll die Türkei zu einem Umschlagplatz für russisches Gas machen wollen – auch, um westliche Sanktionen zu umgehen. Darüber sprach der Moskauer Politikwissenschaftler Dr. Kerim Has mit fr.de bereits Ende Januar: „Im Oktober 2022 machte Putin den Vorschlag, die Türkei zu einem Transitzentrum für russisches Gas zu machen. Die Verhandlungen, die seit etwa 1,5 Jahren laufen, steuern auf eine endgültige Vereinbarung zu.“

„Wenn es um das Handfeste geht, ist das aber natürlich auch auf türkischer Seite enorm wichtig“, sagte Bartelt mit Blick auf Energielieferungen. Doch Wladimir Putin muss auch zusehen, dass die Türkei die westlichen Sanktionen gegen Russland nicht mitträgt. Der Autokrat muss sich hier in eine für ihn eher ungewohnte Stellung begeben, in die unterwürfigere; ähnlich wie das Verhältnis zu Chinas Machthaber Xi Jinping, wenn auch deutlich schwächer ausgeprägt und nur kurzfristig – zumindest wenn es nach Putin geht.

„Dual use Güter“ und ausbleibende Sanktionen: Putin ist auf Erdogans Politik angewiesen

Ankara hält trotz des Kriegs engen Kontakt nach Moskau, bleibt obgleich fehlender Sanktionen aber auch ein wichtiger Ansprechpartner für Kiew. So dankte Wolodymyr Selenskyj Erdogan zu Beginn des Jahres für die Unterstützung bei der Ausfuhr von ukrainischem Getreide über das Schwarze Meer. Generell wisse man die Kooperation zu schätzen: „Die Vermittlung der Türkei ist sehr wichtig, damit die Krimtataren und alle anderen, Erwachsene und Kinder, Soldaten und Zivilisten, die sich in russischer Gefangenschaft befinden, freigelassen werden können“, so der ukrainische Präsident.

Was bleibt, ist ein türkischer Staatschef, der sich im Ukraine-Krieg immer wieder als Vermittler inszenieren kann und gleichzeitig für Russland ein unabdingbarer Partner bleibt. Die Beziehung zwischen Erdogan und Putin ist Dawid Bartelt zufolge daher „in einer sehr interessanten Weise ungleich“. Denn Russland sei an sich die stärkere Macht, „doch im Moment treibt die Türkei und Erdogan Putin durchaus so ein bisschen vor sich her“.

Immerhin sei Putin nicht nur darauf angewiesen, dass Erdogan sich nicht an den westlichen Sanktionen beteiligt, sondern auch, dass die Türkei dabei hilft, „dual use Güter“ nach Russland zu beschaffen. Dabei handelt es sich um Güter, die sowohl zivil als auch militärisch nutzbar sind.

Türkische Bayraktar-Drohnen für die Ukraine: „Das ist sicherlich nichts, was Putin freut“

„Der Krieg geht jetzt möglicherweise in eine interessante, vielleicht auch vorentscheidende Phase. Da Russland im Moment, wie es aussieht, ein Übergewicht hat, materialisiert sich das langsam auch im Kriegsverlauf. Jetzt ist die Fortsetzung von Lieferungen, etwa von Elektronik, sehr, sehr wichtig“, sagte Bartelt. „Deswegen schluckt Russland jetzt auch beispielsweise die Bayraktar-Drohnen, die die Türkei weiterhin und zunehmend an die Ukraine verkauft.“

Die Ukraine setzt die türkischen Bayraktar-Drohnen massiv gegen das russische Militär ein. „Das ist sicherlich nichts, was Putin freut“, so der Experte.

Apropos, Krieg. Der internationale Haftbefehl, der gegen Wladimir Putin vorliegt, dürfte dem Kreml-Chef vor seinem Besuch in der Türkei keine Kopfschmerzen bereiten. Ankara hat das Rom-Statut bis heute nicht ratifiziert und ist damit nicht Teil des Internationalen Strafgerichtshofs im niederländischen Den Haag. Wie die internationalen Reaktionen auf das Treffen ausfallen werden, bleibt abzuwarten, doch Bartelt ist sich sicher: „Es wird Kritik geben daran, aber wichtig wird meiner Meinung nach sein, dass die derzeitig laufenden Prozesse nicht gestört werden.“

Machtspiele auf Augenhöhe: Erdogan arbeitet am „Jahrhundert der Türkiye“

Mit dem 100. Tag der Türkischen Republik rief Erdogan im Herbst 2022 die Bevölkerung dazu auf, gemeinsam das „Jahrhundert der Türkiye“ einzuläuten. Es ist zweifelsohne das Vermächtnis, was der Präsident hinterlassen will: eine starke, international respektierte Türkei. „Für Erdogan ist es natürlich von Vorteil, wenn der Präsident Russlands in die Türkei kommt, sechs Wochen vor den Wahlen. Da hat Erdogan eben nochmal gute Gelegenheit zu demonstrieren, dass die Türkei sich im Moment auf Augenhöhe, wie es immer so schön heißt, mit Russland befindet“, schildert Dawid Bartelt die Lage.

Was Wladimir Putin angeht, so dürfte ihm der Besuch wenig symbolische Macht bescheren. Denn abgesehen von den wenigen verbündeten Ländern, wie etwa China, „weiß jeder, dass die Weltbühne für ihn da natürlich auch wieder endet“. (nak)

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