„Die Leistung der Arbeiter war sagenhaft“: Vor 100 Jahren ging das Walchenseekraftwerk in Betrieb
Es waren Arbeitsbedingungen, die man sich heute kaum noch vorstellen kann: Bis zu 2000 Bauarbeiter waren phasenweise auf den Großbaustellen für die Errichtung des Walchenseekraftwerks zwischen 1918 und 1924 im Einsatz. Unsere Zeitung hat exklusive Einblicke in historische Fotos aus dem Archiv des Kraftwerks bekommen.
Kochel am See/Walchensee – Vor 100 Jahren waren die Bauarbeiten für das Walchenseekraftwerk beendet. Anfang Januar 1924 fand der erste Probelauf für die Turbinen statt – und war erfolgreich. Am 26. Januar 1924 lieferte das neue Kraftwerk dann erstmals Strom in das Netz des Bayernwerks. Die offizielle Einweihung wurde erst am 4. August 1925 vom damaligen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg vollzogen.
100 Jahre Walchenseekraftwerk: Bau wurde in drei Abschnitte unterteilt
Die Errichtung des Kraftwerks mit seinen Zu- und Abflüssen war in drei Bauabschnitte unterteilt worden: Von Krün bis zum Walchensee (Teil eins), am Walchensee und am Kochelsee (Teil zwei, der schwierigste Abschnitt) und vom Kochelsee bis zum Loisach-Isar-Kanal (Teil 3). Die Ausmaße der Baustelle sind bis in die heutige Zeit gigantisch.
Mit den Bauarbeiten war im November 1918 begonnen worden, zuerst für das Einlaufbauwerk in Urfeld. In der Hochphase der Bauzeit von 1921 bis 1923 waren rund 2000 Arbeiter auf den verschiedenen Baustellen beschäftigt, die sich zwischen Krün und Wolfratshausen erstreckten. „Man nannte die Männer Baraber, als Abkürzung für ,schwer arbeitende Bauarbeiter’“, berichtet Hans-Peter Schanderl. Der Kochler war von 1989 bis 2002 zuerst stellvertretender Werksleiter, dann Außenstellenleiter des Werks, das damals von den Bayernwerken betrieben wurde.
Bau des Walchenseekraftwerks unter schwersten Bedingungen
Schanderl und die Leitenden Mitarbeiter mussten damals noch in den Häusern unmittelbar am Werk wohnen, um im Notfall sofort vor Ort sein zu können. Durch Schanderls Vermittlung gewährte der Konzern Uniper, der das Kraftwerk betreibt, Einblicke in das Fotoarchiv. Aus der Bauzeit sind noch zahlreiche, oft spektakuläre Bilder vorhanden. Einige der Bilder stammen aus dem Fotoalbum der Familie Flemmerer. Die Hinterbliebenen von am Bau beteiligten Ingenieuren hatten es vor Jahren der Werksleitung übergeben. Das Besondere ist, dass sich in dem Album eine Legende befindet, anhand derer man alle Fotos zuordnen kann.
Die Männer – von Frauen ist nur wenig überliefert – arbeiteten unter schwierigsten Bedingungen. Vor allem im damals abgelegenen Urfeld war die Verpflegung „anfangs fast unerträglich“, schreibt Peter Schwarz. Der Grainauer hat für das heimatkundliche Jahrbuch „Lech-Isar-Land“ 2017 und 2018 zwei ausführliche Beiträge über die Baugeschichte des Walchenseekraftwerks verfasst. Vor allem die Arbeiten am Einlaufbauwerk in Urfeld waren eine große Herausforderung, schreibt Schwarz. „Die Arbeiten in dem 16 Meter tiefen Schacht waren wegen der Enge sehr mühselig.“ Immer wieder drückte das Wasser rein und stand den Männern bis zu den Knien – trotzdem musste es weitergehen.
Auch die Arbeiten in den Stollen waren lebensgefährlich
Auch die Arbeiten in den Stollen waren lebensgefährlich. Gearbeitet wurde im Drei-Schicht-Betrieb, um jeden Tag drei Meter voranzukommen. Der Kesselbergstollen ist rund 1,2 Kilometer lang und wurde bis heute noch nie entleert. Hans-Peter Schanderl berichtet von drei Untersuchungen in den vergangenen Jahrzehnten, unter anderem durch einen Taucher. „Es war alles einwandfrei“, sagt er anerkennend. „Was die Arbeiter damals geleistet haben, war sagenhaft.“ Ein kleines Geheimnis verrät Schanderl auch: „Bei den Untersuchungen wurde noch ein Hammer auf dem Boden entdeckt.“
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Während der gesamten Bauzeit verloren 17 Arbeiter ihr Leben. Als das Walchenseekraftwerk 1924 ans Netz ging, war es mit einer Leistung von 124 Megawatt eines der größten Wasserkraftwerke der Welt, schreibt der Konzern Uniper in einer Informationsbroschüre. „Auch heute noch gilt es mit seinen rund 300 Gigawattstunden pro Jahr als eines der größten Hochdruck-Speicherkraftwerke in Deutschland.“
Als das Walchenseekraftwerk gebaut wird, strömen Ausflügler in Scharen nach Kochel
Seit 1983 ist das Walchenseekraftwerk ein Industriedenkmal. Schon als das Werk gebaut wurde, strömten Ausflügler in Scharen nach Kochel, um die riesigen Maschinen zu bestaunen. Seit 2001 gibt es ein Informationszentrum, das über Geschichte und Technik Auskunft gibt. Das weithin sichtbare „Markenzeichen“ des Kraftwerks sind bis heute die sechs Druckrohrleitungen, in denen das Wasser vom Wasserschloss hinunter ins sogenannte Krafthaus strömt. Die Rohre sind für einen Druck von 28 Bar ausgelegt. „Das entspricht ungefähr dem zehnfachen Reifendruck eines Autos“, heißt es in einer Informationsbroschüre des Kraftwerkbetreibers Uniper.
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Hans-Peter Schanderl gehört zu den wenigen Menschen, die eines der Rohre von oben nach unten befahren haben. Der pensionierte Betriebsleiter begleitete Anfang der 1990er-Jahre den Maschinenmeister Hubert Eberl aus Bichl bei der Revision der Rohre. Gemeinsam kontrollierten sie Anstrich und Zustand. In das (von unten gesehen) rechte Rohr war aus diesem Grund ein Aufzug eingebaut worden. „Es ist finster, und Platzangst darf man natürlich nicht haben“, erinnert sich Schanderl.
Betreiber Uniper schwärmt: „Erfüllt bis heute hohe technische Anforderungen“
Das Rohr hat oben am Wasserschloss einen Durchmesser von 2,25 Metern, unten sind es dann aber nur noch 1,60 Meter, berichtet Schanderl. Die Wandstärke verändert sich von oben zehn Millimeter auf 27 Millimeter unten. „Alles war noch einwandfrei in Ordnung“, erinnert sich Schanderl an die Befahrung. Hinein und hinaus aus den Rohren gelangt man durch sogenannte „Mannlöcher“. „Die sind ziemlich eng“, erinnert sich der Kochler schmunzelnd. „Ich musste mich ganz schön durchzwängen.“
Auch der Konzern Uniper, der das Werk heute betreibt, schwärmt von der Qualität des Stahls, der für die Rohre verwendet wurde. „Bis heute erfüllen die Rohre die hohen technischen Anforderungen und zeugen so von der ingenieurstechnischen Kompetenz der Erbauer“, heißt es in einer Infobroschüre. (müh)
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