Kaum Geld zum Leben - Jan (78) und Monika (82) kämpfen mit Mini-Rente: „Bis ich überhaupt nicht mehr kann“
Jan sitzt an einer der Dutzenden langen Tafeln in der Fischauktionshalle, die mit Snacks, warmen und kalten Getränken reich gedeckt sind und wartet auf das Drei-Gänge-Menü, das gleich kommen wird: Bestehend aus einem Sellerie-Apfelsüppchen, einer Kräuter-Poulardenbrust und einem Franzbrötchen-Törtchen.
In der Mitte des Tisches steht ein großer Kerzenständer, die Tischdecke ist festlich dekoriert. Für den 78-jährigen Rentner ist der heutige Tag eine absolute Ausnahme: Statt wie sonst Zeitungen auf der Straße zu verkaufen und um Spenden zu bitten, wird er von vorn bis hinten verwöhnt.
Es ist die 13. Ausgabe des Hamburger „Mehr als eine warme Mahlzeit“, die Weihnachtsfeier, bei der Bedürftige von prominenten und nicht-prominenten Ehrenamtlichen bedient werden.

„Nicht alle Obdachlose sind verrückt oder Alkoholiker“
„Ich möchte keine Unterstützung für meine Miete, deshalb arbeite ich für ‚Hinz & Kunzt‘“, sagt Jan im Gespräch mit der Hamburger Morgenpost (Hinz&Kunzt ist eine Zeitschrift, die von obdach- oder wohnungslosen Menschen verkauft wird).
Mit etwas über 300 Euro plus Nebenkosten nehmen die Auslagen für seine Wohnung gut die Hälfte seiner Rente ein. Für neue Kleidung oder medizinische Bedarfe fehlt schlicht das Geld. „Ich habe keine 400 Euro zum Leben“, sagt Jan weiter.
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„Heute habe ich nur drei Zeitungen und einen Kalender verkauft“, berichtet er. „Die Nachfrage lässt nach – die Leute wollen einfach keine Zeitung mehr lesen.“
Jan mutig: „Man kann immer Arbeit finden“
Jan war früher Theaterschauspieler, verlor durch Schicksalsschläge seine Wohnung und landete auf der Straße, so berichtet er. Und ergänzt: „Es ist mir wichtig, dass Sie wissen, dass längst nicht alle Obdachlose verrückt oder Alkoholiker sind.“
Am Anfang habe er sich für seine Bedürftigkeit geschämt, deshalb habe er nach Jobs gesucht – „man kann immer Arbeit finden“ – habe Schnee geräumt und andere Hilfsarbeiten erledigt und nach zehn Jahren auf der Straße eine kleine Wohnung in den Grindelhochhäusern ergattert.
Veranstalter trotz „sensationellem“ Zulauf: „Macht mich auch traurig“
Laut dem Initiator von „Mehr als eine warme Mahlzeit“, Sven Flohr vom Friends Cup Förderverein, nimmt die Altersarmut spürbar zu. „Immer mehr Menschen leiden Not“, sagt er. „Noch nie war die Nachfrage so groß wie in diesem Jahr. Statt wie geplant 420, haben wir bisher 480 Leute reingelassen. Etwa 100 stehen noch draußen.“
Von verschiedensten Hilfsorganisationen wurden im Vorfeld Einladungen an Bedürftige ausgeteilt. Die Veranstaltung laufe „sensationell“, sagt Sven Flohr.
„Aber das macht mich auch traurig. Wir haben zu kämpfen, weil immer mehr Sponsoren wegfallen. Für nächstes Jahr müssen wir uns neu aufstellen – immerhin kostet das Event eine fünfstellige Summe.“
Monika (82): „Ich mache das, bis ich überhaupt nicht mehr kann"
Auch Monika (82) hat nur wenig Geld zum Leben übrig, wenn sie ihre Miete bezahlt hat. „700 bis 800 Euro bleiben dann noch“, sagt sie.
Aber deshalb sei sie heute nicht hier – sie wurde eingeladen, weil sie mindestens einmal in der Woche ehrenamtlich Essen macht und austeilt und dafür etwas zurückbekommen soll.
„Restaurantbesuche sind für mich nicht drin“, sagt die Rentnerin, während sie sich von Schauspieler Kostja Ullmann eine Suppe servieren lässt. „Deshalb ist das heute etwas ganz besonderes.“
Warum sie sich in ihrem fortgeschrittenen Alter noch so engagiere? „Ich möchte der Gesellschaft einen Dienst tun“, erklärt die frühere kaufmännische Angestellte.
„Ich mache das, bis ich überhaupt nicht mehr kann. Ehrenamtliche Hilfe wird überall benötigt. Ich brauche das einfach!“
Unter den Gästen ist auch die nach eigenen Angaben älteste „Hinz & Kunzt“-Verkäuferin überhaupt.
Elsa ist 86 und führt ein „unruhiges Leben“, wie sie der Hamburger Morgenpost anvertraut. Glücklich scheint sie trotzdem zu sein – zumindest an diesem Abend, an dem sie mit ihren Freunden und guten Bekannten an einem langen Tisch sitzt und reichhaltiges Essen zu sich nimmt.
„Ich habe ein Bett in einer Einrichtung von Fördern und Wohnen“, sagt Elsa. „Da schlafe ich jetzt seit zwölf Jahren.“ Seitdem hatte sie keine eigene Wohnung mehr.
Für Schwermut ist an diesem Abend trotzdem kaum Platz – und Zeit auch nicht. Neben dem Essen werden die Gäste mit Live-Musik versorgt und haben die Möglichkeit, sich frisieren, fotografieren oder sich eine neue Brille verpassen zu lassen.
Damit das Hochgefühl nicht direkt nach dem Event verschwindet, bekommt jeder noch eine prall gefüllte Tüte mit Lebensmitteln mit auf den Weg. Und kann sich so auf ein paar etwas unbeschwertere Tage freuen.
Von Pauline Reibe
Das Original zu diesem Beitrag "Jan (78): „Ich habe keine 400 Euro zum Leben“" stammt von Hamburger Morgenpost.