„Weltuntergangsdrohne“ konstruiert von Russland: Einsatz nach nuklearem Angriff vorgesehen
Diese unbemannte Flugmaschine soll Truppen alarmieren; Fortschritt oder Propaganda-Schwindel: Putin strebt an, Russlands Defizit in der Drohnen-Technik zu beheben.
Moskau – „Wir stehen auf diesem Gebiet erst am Anfang“, sagt Dmitry Kuzjakin. Gegenüber der russischen Nachrichtenagentur Tass verkündete der Wirtschaftswissenschaftler und ehemalige Abgeordnete der russischen Duma Entwicklung und Bau einer „Weltuntergangsdrohne“. Offenbar plant Wladimir Putin ein Gefechts-Szenario für die Zeit nach einem Atomschlag. Die entsprechenden Drohungen hatte Russlands Diktator und seine Vasallen schon häufiger ausgesprochen – anscheinend werden seine Schritte jetzt konkret.
Die Drohne soll demnach als First-Person-View-System (FPV) entwickelt werden, wie der Geschäftsführer des russischen Entwicklers unbemannter Luftfahrzeuge, Center for Integrated Unmanned Solutions (CUS), gegenüber der Tass erläuterte. Neu daran wird sein, dass sie entwickelt worden ist, allein um die Strahlung zu messen und die Sicherheit des Personals in kontaminierten Umgebungen weitestgehend sicherzustellen. Anstatt eine Kampflast zu tragen, werde die neue russische Drohne ausgestattet sein mit Sensoren zur Erkennung von Schadstoffen oder einem Dosimeter zur Messung der radioaktiven Kontamination entlang ihrer Flugroute, erläutert das norwegische Online-Magazin Dagens aufgrund der Aussagen von Kuzjakin.
Putins „Weltuntergangsdrohne“: Letztlich ein fliegendes Dosimeter
Letztendlich scheint die Drohne lediglich ein Messinstrument zu sein und eine viel martialischere Bezeichnung zu tragen, als an Wirkung in ihr steckt. Die Drohne soll klein und kompakt, also leicht von Truppen mitzuführen sein. Ihre Reichweite betrage, laut Tass, zwischen 500 und 2.000 Metern – je nach vorhandener Signalstärke und dem Grad der atomaren Kontamination.
„Angesichts der Tatsache, dass die Ukraine mit Unterstützung ihrer westlichen Verbündeten erhebliche Fortschritte bei der Nutzung von Drohnen macht, wird Russland seine Überlegenheit in diesem Aspekt der Militärmacht nicht wiederherstellen können“
Laut Newsweek wies Kuzjakin darauf hin, dass zwar bereits verschiedene Aufklärungsflugplattformen existierten, darunter auch solche zur Strahlungserkennung, diese jedoch häufig teuer und komplex seien. Die Kosten aber scheinen nur einen Nebenaspekt zu bilden, wenn auch einen beachtenswerten: Russland scheint das Geld auszugehen für den Ukraine-Krieg beziehungsweise eine anschließende Konfrontation mit der Nato. Offenbar werden im Kreml aber inzwischen längst konkrete Szenarien durchgespielt, wie Kuzjakin vom Magazin Newsweek zitiert wird.
„Bis heute hat das CUS mehr als 20 Szenarien entwickelt und umgesetzt. Dazu gehören beispielsweise Angriffsoperationen in städtischen Umgebungen und Gebäuden zur Terrorismusbekämpfung oder Operationen aus gepanzerten Fahrzeugen“, sagte er. „Wir müssen die FPV-Branche noch weiter erkunden“, führte er weiter aus und betonte, eine FPV-Drohne verbinde die geforderten Eigenschaften wie Geschwindigkeit und Manövrierfähigkeit – das ermögliche ihr, auch in schwierigen Umgebungen optimal zu operieren, beispielsweise im Inneren von Gebäuden.
Meine news
Drohnen im Ukraine-Krieg: Russische Führung immer noch skeptisch
Obwohl der Ukraine-Krieg die Laborsituation für den Einsatz von Drohnen jeglicher Art auf einem künftigen Gefechtsfeld darstellt, scheint Russland ob deren Wert weiterhin skeptisch zu sein und seinen Fokus auf elektronischer Kriegführung zu belassen. „Russische Blogger und Freiwillige weisen darauf hin, dass einige russische Kommandeure den Wert dieser Drohnen noch immer nicht verstehen. Sie begreifen nicht, wie eine solche Technologie und kleine Drohneneinheiten in die größere Truppenstruktur passen, und sträuben sich manchmal gegen einen breiteren Einsatz einer solchen Technologie auf taktischer Ebene“, sagt Samuel Bendett im Magazin Forbes.
Im Gegensatz zu ihren Kompetenzen in der Elektronischen Kriegführung sind die Russen dem Westen und der Ukraine in der Entwicklung von Drohnen offenbar deutlich unterlegen; das jedenfalls behauptet Isabelle Facon; obwohl Russland ihrer Meinung nach angesichts seiner nachgewiesenen Fähigkeit, komplexe Luft- und Raumfahrtsysteme zu entwickeln, theoretisch in der Lage sein müsste, die für die Entwicklung und Herstellung von UAV (Unmanned Aerial Vehicle, „Drohnen“) erforderlichen Kompetenzen zu beherrschen. „Allerdings müssen Defizite bei Schlüsseltechnologien im Zusammenhang mit der Drohnenentwicklung (Optik, elektronische Systeme für Leichtflugzeuge, Verbundwerkstoffe und so weiter) überwunden werden“, schreibt die Analystin für den Thinktank Center for a New American Security.
Russlands Aufholjagd gegenüber der Ukraine: Bis zu 35.500 neue Drohnen pro Jahr geplant
Die russischen Erfolge um Gleichstand in der Drohnenentwicklung mit der Ukraine beziehungsweise dem Westen sind schwer zu beurteilen. Verschiedene Faktoren stehen Russland dabei im Weg: vor allem westliche Sanktionen an Halbleiter-Technologie, daneben der Mangel an qualifizierten Technikern sowie Wissenschaftlern und letztendlich die Konzentration auf die Rekrutierung einfacher Soldaten sowie die gigantischen Verluste an konventionellen Waffen. Drohnen rücken aber stärker ins Bewusstsein Russlands: „Da die Russen solchen Waffen jedoch eine hohe Priorität einräumen, werden sie zweifellos nach Umgehungsstrategien suchen, um ihre Produktion zu steigern“, behauptet der US-amerikanische Friedensforscher Michael T. Klare.
Ihm zufolge habe die russische Führung ein Schnellprogramm eingeleitet, um die Produktion solcher Geräte enorm zu steigern, wie er für den Thinktank Foreign Policy in Focus schreibt. Im Juni vergangenen Jahres verabschiedete die russische Regierung demnach eine „Entwicklungsstrategie für unbemannte Luftfahrt bis 2030“, wie er ausführt: „Darin wird ein exponentielles Wachstum der Drohnenproduktion gefordert. Berichten zufolge soll die Produktion von Drohnen von etwa 13.000 pro Jahr zwischen 2023 und 2026 auf 26.000 pro Jahr zwischen 2027 und 2030 und 35.500 pro Jahr zwischen 2031 und 2035 steigen.“
Sanktionen zeigen Wirkung: Ohne den Partner China keine russische Drohnen-Armee
Allerdings scheint Russland von den selbst gesteckten Zielen noch weit entfernt, wie Samuel Bendett behauptet. Laut Aussagen des Drohnen-Analysten für den Thinktank Center for Naval Analysis (CNA) werde der größte Bedarf an taktischen Drohnen weiterhin von Freiwilligenorganisationen gedeckt – die Waffen würden meist in China beschafft; komplett oder in Teilen, die dann in Russland zusammengesetzt würden.
Bendett stützt sich dabei auch auf Berichte des russischen Online-Magazins lenta.ru. „Diese Menschen kaufen nicht nur auf eigene Kosten ein und transportieren regelmäßig Lebensmittel, Medikamente, Ausrüstung und so weiter an die Front, sondern haben auch eine handwerkliche Produktion vieler Dinge etabliert – von Socken und Tarnnetzen bis hin zu Drohnen und Wärmebildkameras“, schreibt das Magazin. Absolventen einer Militärschule in Moskau sollen mit IT-Spezialisten ein Designbüro zur Entwicklung von Drohnen gegründet haben – oder wie das Magazin triumphiert: „Unsere Designer sind junge, autodidaktische Leute.“
Laut der Wissenschaftlerin Isabelle Facon will Russland inzwischen aufholen, was das Land zu Beginn der 2000er-Jahre hat schleifen lassen. Allerdings hält Pavel Luzin die von Bürgern getragene Innovationskraft Russlands in Drohnentechnologie für überbewertet: „Anders als die Ukraine kann sich Russland nicht auf eine breite Bürgerbewegung verlassen, die die Streitkräfte systematisch mit kommerziellen Drohnen und anderer Ausrüstung versorgt“, schreibt der Spezialist für Internationale Beziehungen für den Thinktank Foreign Policy Research Institute.
Russlands Drohnen-Entwickler: „Verbrechen, sich nicht auf den Atomkrieg vorzubereiten“
Luzin rechnet mit einer Stagnation der Produktion angesichts der langfristigen Abhängigkeit Russlands von importierten Komponenten und Fertigungskapazitäten „in den Bereichen Aufklärung und Zielerfassung sowie hochpräzise Waffen“, wie er schreibt. Er deutet die Verluste an Menschen und Material als einen frühen Indikator für das Siechtum der industriellen Produktion – auch und vor allem von Rüstungsgütern. „Angesichts der Tatsache, dass die Ukraine mit Unterstützung ihrer westlichen Verbündeten erhebliche Fortschritte bei der Nutzung von Drohnen macht, wird Russland seine Überlegenheit in diesem Aspekt der Militärmacht nicht wiederherstellen können“, behauptet Luzin.
Insofern könnte die „Weltuntergangs-Drohne“ reine Propaganda sein und ihren Zweck bereits darin erschöpfen, den Westen einzuschüchtern. „Noch immer kann er darauf spekulieren, dass sich damit in gewissen Nato-Ländern die Bevölkerung gegen die Unterstützung des Verteidigungskampfes der Ukrainer mobilisieren lässt“, hat die Neue Zürcher Zeitung jüngst den Sinn der wiederkehrenden Drohungen durch Putin eingeordnet.
Drohnen-Unternehmer Dmitry Kuzjakin will möglicherweise auch den Krieg nur vorbereiten, um ihn letztendlich für beide Seiten unattraktiv zu machen, wie ihn die Tass zitiert:„Ich bin zuversichtlich, dass der gesunde Menschenverstand siegen wird und die Welt auf den Einsatz von Atomwaffen verzichten wird und unsere Weltuntergangsdrohne niemals benötigt wird. Und dennoch glauben wir, dass es ein Verbrechen wäre, sich nicht auch auf die schlimmsten Szenarien vorzubereiten.“