Gespräche über Waffenruhe - Kommt jetzt der Frieden? Was nach Ukraine-Angebot in Putins Kopf vorgeht
In der Mitte des Raums steht ein langer, polierter Holztisch, verziert mit Blumenbouquets. Am Tischende haben zwei saudische Vermittler Platz genommen: Außenminister Prinz Faisal bin Farhan Al Saud und der Nationale Sicherheitsberater Mosaad bin Mohammad al-Aiban. Rechts von ihnen sitzen US-Chefdiplomat Marco Rubio und dessen Sicherheitsberater Mike Waltz.
Auf den ersten Blick wirkte am Dienstag vieles genau wie vor drei Wochen, als die Amerikaner ebenfalls in Saudi-Arabien mit einer russischen Delegation über ein mögliches Kriegsende in der Ukraine berieten.
Nur fand das jüngste Gespräch nicht in der saudischen Hauptstadt Riad statt, sondern in der Küstenmetropole Dschidda am Roten Meer. Und: Rubio und Waltz saßen dieses Mal keine Russen gegenüber, sondern Ukrainer.
Die USA kümmern sich zuerst um Aggressor Russland
Es war ein Bild, das gleich zu Beginn der Zusammenkunft noch einmal deutlich vor Augen führte, wo die Prioritäten der US-Administration unter ihrem neuen Präsidenten Donald Trump liegen: Erst wird mit dem Aggressor verhandelt, dann – Wochen später – mit dem Opfer.
Trotzdem ist die ukrainische Delegation mit dem Chef des Präsidentenbüros, Andrij Jermak, Außenminister Andrij Sybiha und Verteidigungsminister Rustem Umjerow hochkarätig besetzt. Für das angegriffene Land geht es um viel, vielleicht sogar um sein Überleben.
Das Treffen habe „sehr konstruktiv“, begonnen, schrieb Jermak am Vormittag im Nachrichtendienst Telegram. Und später, während einer Pause: „Die Arbeit geht weiter.“ Über konkrete Ergebnisse aber war bis zum späten Nachmittag noch nichts bekannt. Erwartet wurde von einigen Beobachtern, dass es zum Abschluss eines Deals kommen könnte, der die USA an Gewinnen aus ukrainischen Rohstoffgeschäften beteiligt.
Trump ist an schnellem Ukraine-Kriegsende interessiert
Das war eigentlich bereits vor anderthalb Wochen geplant gewesen, als der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, der sich nun ebenfalls in Saudi-Arabien aufhielt, zu Gast in Washington war. Doch damals hatte er sich schon nach rund 50 Minuten vor laufenden Kameras völlig mit Donald Trump überworfen. Selenskyj hatte im Weißen Haus auf verlässliche Sicherheitsgarantien gepocht, die sein Land vor künftigen russischen Angriffen schützen sollen – Trump wollte davon nichts wissen.
Seitdem hat der US-Präsident die Daumenschrauben weiter angezogen. Er hat die Militärhilfen an die Ukraine gestoppt und zumindest teilweise auch die Weitergabe von US-Geheimdienstinformationen.
Trump, das ist mittlerweile offensichtlich, ist neben wirtschaftlichen Vorteilen vor allem an einem möglichst schnellen Kriegsende interessiert – und seien die Zugeständnisse an Moskau dabei noch so groß und der Preis für die Ukraine noch so hoch.
„Trump will von der Ukraine Zugeständnisse erpressen“
In diesem Zeichen standen auch die jetzigen Verhandlungen von Amerikanern und Ukrainern im saudischen Dschidda. Schon im Vorfeld hatte Marco Rubio verkündet, die Ukraine müsse nun bereit sein, „schwierige Dinge“ zu tun. Unter anderem müsse sie Gebiete an Russland abtreten.
Selenskyj und die hochkarätig besetzte ukrainische Delegation signalisieren, dass sie generell zu Kompromissen bereit sind.
„Trump und seine Administration wollen von der Ukraine Zugeständnisse erpressen, die in den USA als Erfolg und als wichtiger Schritt auf dem Weg zum ,Frieden‘ verkauft werden können“, sagt Gwendolyn Sasse, Leiterin des Zentrums für Osteuropa- und internationale Studien in Berlin, dem Tagesspiegel.
„Dazu zählen unter anderem ein Rohstoffabkommen mit der Ukraine ohne explizite Sicherheitsgarantien, die Aufgabe der von Russland besetzten Gebiete und möglicherweise ein Rücktritt Selenskyjs.“
Ukrainer wollen USA mit Treffen in Dschidda besänftigen
Die Ukrainer wiederum wollen retten, was noch zu retten ist in den angeknacksten Beziehungen zum einst wichtigsten Verbündeten. Das Treffen in Dschidda sollte aus ihrer Sicht zum einen die Wogen glätten, die der Eklat zwischen Selenskyj und Trump im Weißen Haus hinterlassen hat. Dahinter steht auch die Hoffnung, dass eine besänftigte US-Administration die ausgesetzten Militärhilfen möglicherweise wieder aufnehmen könnte.
Letztendlich braucht Trump im Falle von ukrainischen Zugeständnissen irgendeine Art von Absicherung eines Waffenstillstands.
Die Ukraine schlägt außerdem eine zunächst begrenzte Waffenruhe in der Luft und auf der See vor. Das würde sie unter anderem vor den verheerenden russischen Raketenangriffen auf Energieanlagen schützen und ihr zugleich Zeit geben, gemeinsam mit europäischen Partnern an der Zusammenstellung einer Schutztruppe und anderer Sicherheitsgarantien zu feilen.
„Selenskyj und die hochkarätig besetzte ukrainische Delegation signalisieren, dass sie die USA als wichtigen Akteur in möglichen Verhandlungen mit Russland anerkennen und generell zu Kompromissen bereit sind, ohne jedoch von notwendigen Sicherheitsgarantien abzurücken“, sagt Politologin Sasse.
Expertin: „Russland ist nicht in Eile“
Und Kremlchef Wladimir Putin? „Russland ist nicht in Eile“, analysiert Sasse. „Moskau beobachtet das Verhalten der USA und zeigt keinerlei Bereitschaft zu wirklichen Verhandlungen, wie die erhöhte Zahl der Luftangriffe auf ukrainische Städte unterstreicht.“
Vor diesem Hintergrund sei durchaus fraglich, ob Trump mit seinem Kalkül, die Ukraine in einen Diktatfrieden zu pressen, durchkomme, gibt die Wissenschaftlerin zu bedenken.
Denn zumindest auf etwas Entgegenkommen sei der US-Präsident eben doch auch aus Moskau angewiesen: „Letztendlich braucht Trump im Falle von ukrainischen Zugeständnissen irgendeine Art von Absicherung eines Waffenstillstands, um sich als Friedensbringer von seinen Anhängern feiern zu lassen“, erklärt sie. „Dafür werden er und seine Unterhändler mehr Zeit und die Unterstützung europäischer und anderer Länder benötigen.“
Putin will „solange weiterkämpfen, bis er seine Ziele erreicht hat“
Bislang lehnt Russland europäische Schutztruppen entschieden ab – ebenso wie den Vorschlag zur begrenzten Waffenruhe. Während Ukrainer und Amerikaner am Dienstag verhandelten, meldete die Agentur Bloomberg unter Berufung auf westliche Geheimdienstmitarbeiter, Putin habe gar nicht die Absicht, sich auf irgendwelche Zugeständnisse einzulassen – in dem Wissen, dass das für die Ukraine nicht akzeptabel sei.
Der Kremlchef, so schildern es die Quellen demnach, sei „bereit, solange weiterzukämpfen, bis er seine Ziele erreicht hat“.
Von Hannah Wagner
Das Original zu diesem Beitrag "„Trump will Zugeständnisse erpressen“: Ukrainer und Amerikaner verhandeln in Saudi-Arabien" stammt von Tagesspiegel.