Thema in Koalitionsverhandlungen - Merz will Ukrainern Bürgergeld streichen – die neuen Probleme sind vorprogrammiert
Wenn Union und SPD in den Koalitionsverhandlungen über eine mögliche Wende in der Migrationspolitik sprechen, kommt auch das Thema Bürgergeld für Ukrainer auf den Tisch. Immer wieder haben Politiker von CDU und CSU in der Vergangenheit gefordert, diesen Flüchtlingen ihr Privileg zu streichen.
Nun könnte tatsächlich Bewegung in die Sache kommen. Unter anderem die „Bild“-Zeitung berichtet, dass die SPD bei dem Thema kompromissbereit sein könnte. Würden Ukrainer künftig kein Bürgergeld mehr halten, so die Hoffnung vieler Politiker, könnte im Sozial-Etat gespart werden, mehr Flüchtlinge würden sich um einen Arbeitsplatz bemühen und manche vielleicht sogar in ihre Heimat zurückkehren. Außerdem würde eine bestehende Zweiklassengesellschaft zwischen Ukraine-Geflüchteten und anderen Schutzsuchenden abgeschafft werden.
Zwei Wege, um Bürgergeld-Privileg der Ukrainer zu beenden
Dass Ukrainer im Gegensatz zu anderen Flüchtlingen sofort Bürgergeld erhalten, liegt an einer gemeinsamen Entscheidung von Bund und Ländern im Sommer 2022. Sie argumentierten, dass wenn die Ukrainer aufgrund einer EU-Richtlinie kein Asylverfahren durchlaufen müssen, sie auch sofort Anspruch auf Leistungen nach dem zweiten Sozialgesetzbuch hätten, also auf Bürgergeld.
Es gäbe nun zwei Möglichkeiten: Entweder setzt sich die künftige Regierung unter einem wahrscheinlichen Kanzler Friedrich Merz in der EU dafür ein, die Richtlinie 2026 auslaufen zu lassen. Dann müssten ab diesem Zeitpunkt neu ankommende Ukrainer ein Asylverfahren durchlaufen, hätten also auch nicht direkt Anspruch auf Bürgergeld. Eine schnelle Lösung wäre das allerdings nicht.
Alternativ könnte die neue Regierung die Gesetze so anpassen, dass zwar die EU-Richtlinie beachtet wird, aber den Ukrainern trotzdem das Bürgergeld gestrichen werden kann. Ersatzlos ist das allerdings nicht möglich – die Flüchtlinge würden dann im sogenannten Asylbewerberleistungsgesetz landen. Das bringt einige Tücken mit sich, die Verhandler von Union und SPD beachten müssen.
Bürgergeld-Aus würde Kommunen finanziell belasten
Erstens ist da die Kostenfrage. Zwar würde ein Wechsel der Ukrainer vom Bürgergeld zu Asylbewerberleistungen insgesamt eine Erleichterung für die Steuerzahler bringen. Rechnet man vereinfacht, könnten so mehrere hunderte Millionen Euro pro Jahr eingespart werden. Allerdings teilen sich beim Asylbewerberleistungsgesetz anders als beim Bürgergeld die Kommunen, die Länder und der Bund die Kosten.
Das heißt: Ein Kurswechsel könnte vor allem die Kommunen finanziell zusätzlich belasten. Das würde möglicherweise zusätzliche Hilfen aus dem Bund nötig machen – der dann weniger einsparen würde mit dem Streichen des Bürgergelds. Zudem würden die Kostenzuständigkeiten noch verworrener werden.
Ökonom Südekum:Bürgergeld durch Schulden finanzieren
Mit Schulden ließen sich die finanziellen Probleme freilich einfacher lösen. Eigentlich sollen die am Dienstag im Bundestag beschlossenen Grundgesetzänderungen ausschließen, dass das Schuldenpaket konsumtive Ausgaben finanziert. Ausgerechnet ein von den Grünen nachträglich hineinverhandelter Punkt könnte das nach Ansicht mancher aber doch möglich machen.
Der Ökonom Jens Südekum, Mitglied der SPD, sagte im „Handelsblatt“, es wäre denkbar, den sogenannten erweiterten Sicherheitsbegriff noch stärker zu nutzen. Für alles, was darunter fällt, wurde eine Schuldenbremsen-Ausnahme geschaffen. Eigentlich soll so sichergestellt werden, dass auch Zivilschutz und Nachrichtendienste ausreichend finanziert werden können.
Südekum interpretiert das aber noch weiter und argumentiert, dass es ohne Krieg auch keine Geflüchteten aus der Ukraine gäbe. Von daher sei es „nachvollziehbar, dies mit einzubeziehen“. Mit den Milliarden-Schulden könnte nach dieser Argumentation auch das Bürgergeld für Ukrainer bezahlt werden.
Vom einem Zweiklassensystem ins nächste?
In den Kommunen sieht man eine Reihe weiterer Probleme. Würde man den Rechtsstatus der Ukrainer ändern, müssten womöglich auch all diejenigen einen Asylantrag stellen, die schon seit Beginn des Krieges in Deutschland sind.
André Berghegger, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, fordert daher im Gespräch mit FOCUS online: „Um die Ausländerbehörden nicht noch weiter zu überlasten, sollten künftig nur Ukrainerinnen und Ukrainer, die neu ins Land kommen, Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten, anstatt wie bisher Leistungen nach dem SGB II. Menschen, die aus der Ukraine geflohen sind, würden dann genauso behandelt wie Geflüchtete aus anderen Ländern.“
Letzteres stimmt dann zwar in Bezug auf neu in Deutschland ankommende Ukraine-Flüchtlinge. Indem das eine Zweiklassensystem abgeschafft würde, entstünde aber ein neues: innerhalb der Gruppe der Ukrainer. Diejenigen, die schon länger im Land sind, würden nämlich anders als die neu ankommenden Ukrainer weiter Bürgergeld beziehen.
Bei schon länger n Deutschland lebenden Ukrainern würde es auch beim Wohnraum Schwierigkeiten geben. Der Grünen-Politiker Matthias Schimpf, im hessischen Kreis Bergstraße als Kämmerer für das Thema Flüchtlingswesen zuständig, erklärt im Gespräch mit FOCUS online: „Asylbewerber wohnen nach den gesetzlichen Bestimmungen grundsätzlich in Gemeinschaftsunterkünften, ukrainische Flüchtlinge leben zum Großteil in eigenen Wohnungen.“ Die Wohnungen von vielen Ukraine-Geflüchteten müssten als theoretisch aufgelöst werde.
Ohne Bürgergeld keine Job-Vermittlungen
Außerdem weist Schimpf darauf hin, dass ein Wechsel ins Asylbewerberleistungsgesetz womöglich sogar kontraproduktiv sein könnte beim Ziel, mehr Flüchtlinge in Arbeit zu bringen. Denn im System der Jobcenter hätten die Ukrainer weiter Zugang zu den Vermittlungsleistungen. Bei einem Wechsel würden diese wegfallen.
Anders bewertet das Christian Herrgott, CDU-Landrat im thüringischen Saale-Orla-Kreis. „Im Rahmen des Asylbewerberleistungsgesetzes gibt es deutlich mehr Sanktionsmöglichkeiten als beim Bürgergeld, wenn sich Menschen beispielsweise der Zuweisung zu gemeinnütziger Arbeit verweigern“, erklärt er auf Anfrage von FOCUS online. Der Landrat spricht sich „klar dafür aus, dass Flüchtlinge aus der Ukraine künftig wieder dem Bereich des Asylbewerberleistungsgesetzes zugeordnet werden“.
Grüner mit Idee für neue Bürgergeld-Variante
Anders positioniert sich Grünen-Kommunalpolitiker Schimpf: „Die beste Variante wäre ein Verbleib im Bürgergeld-System mit Einführung einer neuen Bedarfsstufe, die die Leistungen für ukrainische Flüchtlinge auf Asylbewerberleistungsgesetz-Niveau absenkt, sowohl für den Bestand als auch für neu kommende Personen.“ Dann würden sich sowohl für Bund als auch Kommunen Kosten einsparen lassen und mögliche Tücken könnten umgangen werden.
„Durch die reduzierten Leistungen wäre auch für ukrainische Flüchtlinge der Anreiz höher, sich aktiver um einen Job zu bemühen“, glaubt Schimpf. Zumindest in diesem Ziel sind sich alle einig. „Für alle Flüchtlinge mit einer gesicherten Bleibeperspektive muss geregelt werden, dass eine schnelle Arbeitsaufnahme möglich ist“, betont André Berghegger vom Deutschen Städte- und Gemeindebund.
Und auch CDU-Politiker Herrgott, der in seinem Landkreis bereits eine Arbeitspflicht für Flüchtlinge eingeführt hat, plädiert für einen einfachen Grundsatz: „Jeder, der arbeiten kann, muss auch einen Beitrag leisten.“ In diesem Punkt sind Deutschlands Nachbarländer bereits wesentlich weiter.
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