Putins verirrte Drohne fliegt nach Belarus: Wie es zu „Friendly Fire“ im Ukraine-Krieg kommt

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Eine russische Kamikaze-Drohne ist in den Luftraum von Belarus eingedrungen. Die Ukraine könnte lernen, Putins Waffen für ihre eigenen Zwecke zu nutzen.

Kiew – Fünf russische Kamikaze-Drohnen vom Typ Shahed-136 und wurden in der Nacht zum Samstag (13. Juli) für einen Angriff in die Ukraine geschickt. Vier der unbemannten Flugzeuge konnte die ukrainische Luftabwehr in den Regionen Donezk und Charkiw ausschalten – die fünfte Drohne flog wohl über mehrere Stunden weiter und drang tief in den belarussischen Luftraum ein. Der Vorfall wirft Fragen auf: Handelte es sich um eine Fehlfunktion oder zeigt Kiews elektronische Kriegsführung im Ukraine-Krieg Wirkung?

Russische Kamikaze-Drohne fliegt über Belarus – gefährlicher Irrflug über 350 Kilometer

Gegen 3 Uhr Nachts soll die Kamikaze-Drohne aus iranischer Produktion die Grenze zwischen der Ukraine und Belarus überquert haben. Das berichtete das in der Regel gut informierte Belarussian Hajun Project über Telegram. Bereits kurze zuvor hatten ein anderer Militärblogger gemeldet, dass sich eine Shahed-Drohne im Luftraum nahe der Grenze befinde.

Die Drohe flog anschließend über 350 Kilometer durch belarussische Luftraum, näherte sich sogar der Hauptstadt Minsk und setzte schlussendlich ihren Flug nach Nordosten in die Region Vitsiebsk fort. Gegen 5 Uhr morgens verliert sich die Spur der Drohne. Was mit ihr passierte, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch unklar.

Eine russische Kamikaze-Drohne ist in der Nacht zum Samstag 350 Kilometer über belarussisches Gebiet geflogen. © Montage: imago-images/X/@Hajun_BY

„Friendly Fire“? Russischer Drohne kommt vom Kurs ab – zweiter Vorfall in wenigen Tagen

Die belarussische Luftwaffe reagierte auf den Vorfall und ließ einen Mi-24-Helikopter und ein Su-30-Mehrzweckkampfflugzeug aufsteigen, um die Drohne abzufangen. Es war bereits der zweite Vorfall dieser Art in dieser Woche. Bereits in der Nacht von Donnerstag auf Freitag war eine Shahed-Drohne knapp eine Stunde lang über Belarus geflogen, ehe sie den Luftraum wieder verlassen hatte.

Das Belarussian Hajun Project wies bereits am Freitag darauf hin, dass die belarussische Luftwaffe sich in Bereitschaft befunden haben könnte und deswegen zu einer schnellen Reaktion fähig war. „Es ist möglich, dass das belarussische Militär von den bevorstehenden Manövern wusste und den Luftraum über dem Territorium von Belarus im Falle ungeplanter Szenarien mit einer der Shahed-Drohnen kontrollierte“, heißt es in dem Beitrag. Belarus gilt als einer der engsten Verbündeten von Russland und Präsident Wladimir Putin.

Elektronische Kriegsführung im Ukraine-Krieg – Kiew rüstet im Drohnenkrieg auf

Auch wenn bislang noch unklar ist, wie es zu diesem Vorfall kam, könnte er ein gutes Beispiel für den Status der elektronischen Kriegsführung im Ukraine-Krieg sein. Walerij Saluschnyj, bis Februar 2024 Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte, hob die Rolle der elektronischen Kriegsführung bereits in einem Essay für den britischen Economist im Jahr 2023 hervor. „Der weitverbreitete Einsatz von Informationstechnologie in militärischen Angelegenheiten“, sei entscheidend für den Erfolg der ukrainischen Militäroperationen, schrieb Saluschnyj.

„Es sollen also so viele Informationen über den Gegner beschafft werden wie möglich. Gleichzeitig soll dieser daran gehindert werden, selbst Informationen zu sammeln und diese auf dem Schlachtfeld zu nutzen“, fasste die Süddeutsche Zeitung die Quintessenz der elektronischen Kriegsführung im Dezember 2023 zusammen. Mit Blick auf Drohnen stehen dabei vor allem zwei Vorgehensweisen an der Tagesordnung: „Jamming“ und „Spoofing“.

„Jamming“ und „Spoofing“: Wie die Ukraine gegen Russlands Kamikaze-Drohnen kämpft

Unter dem Begriff „Jamming“ versteht man das Stören der Signale, welche die Drohnen erhält. Dadurch kann unter anderem gegen Aufklärungsdrohnen vorgegangen werden, in dem man die Verbindung zum Drohnenpiloten hinter der feindlichen Linie kappt. Shahed-Drohnen fliegen jedoch nach dem Start autonom zu einem vorher festgelegten Ziel. Dort angekommen, wird die in der Drohne eingebaute Sprengladung gezündet.

Beim „Spoofing“ werden die Systeme der Drohnen deswegen mit Störsignalen getäuscht. Dadurch können die Navigationssysteme der Drohnen gestört und der Kurs der Flugkörper kann verändert werden. Die ukrainischen Streitkräfte haben diese Vorgehensweise bereits im vergangenen Jahr verwendet, um Shahed-Drohnen aus kurzer Distanz zum Absturz zu bringen.

„Pokrova“ im Kampf gegen Drohnen – Ukraine geht bei elektronischer Kriegsführung neue Wege

Mittlerweile verfügt die Ukraine jedoch über ein System mit dem Namen „Pokrova“, das Drohnen auch über eine deutlich größere Distanz „spoofen“ kann. Die Bedeutung des Systems hob Saluschnyj bereits in seinem Essay für den Economist hervor.

Das US-amerikanische Forbes-Magazin berichtet Februar dieses Jahres, dass die Erfolge von Pokrova unübersehbar seien. Es häuften sich beispielsweise die Meldungen von Shahed-Drohnen, die auf dem Weg zu ihrem Ziel verloren gehen – zusätzlich zu den Abschüssen der ukrainischen Luftwaffe. Darüber hinaus war es denn ukrainischen Streitkräften durch den Einsatz von elektronischer Kriegsführung im Februar gelungen, eine sich im Angriff befindende Kamikaze-Drohne kontrolliert und weitestgehend unbeschädigt auf einem Feld zu landen und zu analysieren.

Der Forbes-Bericht weist darauf hin, dass man die Effektivität von Pokrova nur schwer beurteilen kann, da die Ukraine sich weitestgehend bedeckt darüber hält, wie viele Shahed-Drohnen ihr Ziel treffen. Dennoch könnten die jüngsten Drohnen-Vorfälle in Belarus wohl auch auf „Spoofing“ zurückzuführen sein. „Die fünfte Drohne verließ den Luftraum der Ukraine in Richtung des Gebietes Gomel in Belarus“, schrieb Luftwaffenkommandeur Mykola Oleschtschuk am Samstag knapp zu dem Vorfall in auf seinem Telegramkanal.

Erneuter Vorfall im Ukraine-Krieg – Russischer Kamikaze-Drohen auf Irrflug nach Belarus

Ob der Irrflug der Shahed-Drohne wirklich durch Spoofing aus der Ukraine verursacht wurde oder ob die Drohne einen technischen Defekt aufwies, der sie über 300 Kilometer tief nach Belarus hat fliegen lassen, kann nicht final geklärt werden. Bemerkenswert ist es jedoch, dass es bereits der zweite Vorfall dieser Art in wenigen Tagen war. Sollten sich die Vorgänge in den kommenden Wochen weiter häufen, wäre das ein weiterer Hinweis auf mögliche Spoofing-Erfolge der Ukraine.

Die russische Armeeführung dürfte auf jeden Fall unter Hochdruck an Gegenmaßnahmen arbeiten. Denn die elektronische Kriegsführung zeichnet sich vor allem durch einen ständigen Kampf um die Oberhand aus. Auf Maßnahmen folgen Gegenmaßnahmen und der Wettlauf beginnt von vorne. (fd)

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