Schiffslotse packt über Putins gefährliche Schrott-Tanker in Ostsee aus
„Der technische Zustand, die hygienischen Bedingungen an Bord, vor allem aber die Crew an Bord ist nicht so qualifiziert, wie sie sein könnte“, erklärt der dänische Lotse Bjarne Caesar Skinnerup. Die Schiffe, zu denen er an Bord steigt, werden ihm von der Behörde zugeteilt. Er sagt, es sei der Mannschaft „alles egal“. Und: „Ich frage mich, wie um Gottes willen sie ihr Ziel sicher erreichen wollen“. „Alle diese Schiffe sind sehr alt. Früher waren Schiffe in der Ostsee nicht älter als 20 Jahre.“
In der Schifffahrt werden solche Pötte „rust buckets“ genannt, zu Deutsch: Rosteimer. Mit schätzungsweise mehreren Hundert solcher veralteten Öltanker, die zur sogenannten russischen Schattenflotte zählen, füllt Russland seine Kriegskasse. Die Schiffe verstoßen mutmaßlich gegen EU-Sanktionen, transportieren aber dennoch täglich Hunderttausende Liter Rohöl vor der deutschen Küste durch die Ostsee. Und nicht nur die Russen profitieren.
Russlands Schattenflotte in der Ostsee: „Brauchen eine härtere Gangart“
„Es ist nur ein Beobachten, aber kein Eindämmen“, klagt CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter. Wegen dieser zurückhaltenden Art blieben die Risiken einer Umweltkatastrophe und der Spionage bestehen. Denn die unlängst gesichteten Aufklärungsdrohnen seien offenbar für Russland im Einsatz.
„Wir brauchen eine härtere Gangart, um das Ausnutzen Russlands einzudämmen. Denn Russland reagiert nur auf Härte“, ergänzt Roderich in der „ARD Story“der NDR-Autoren Lennart Banholzer und Simon Hoyme (ARD-Mediathek).
Tatsächlich melden Schiffe zuletzt vor der Küste Polens auch elektronische Attacken der Russen. Das GPS sei über mehrere Stunden ausgefallen. Ohne sichere Positionsbestimmung aber drohen vor allem der zivilen Schifffahrt auf hoher See Zusammenstöße. Auch können die Crews von Schattenschiffen aus Drohnen mit Sprengstoff steuern und die Infrastruktur am Meeresboden - Pipelines, Kabel für Strom und Internet - sabotieren.
30 bis 40 Millionen Euro mit einem „rust bucket“ pro Jahr
Ein Insider verrät, dass sich mit einem „rust bucket“ im Jahr 30 bis 40 Millionen Euro verdienen lässt. Der Kauf eines 20 Jahre alten Schiffes schlägt dabei mit zwölf Millionen Dollar zu Buche.
Die Schiffe sind ein paar Monate unterwegs, machen ein paar profitable Fahrten und verschwinden wieder. Sanktionen können auf diese Weise schwer greifen. Zumal jeder Betreiber nur ein Schiff besitzt.
2024 wurden aus Russland Öl und Gas für 230 Milliarden Dollar exportiert. Die Tanker, die durch die Ostsee schippern, steuern Raffinerien in der Türkei und Indien an, hier in Jamnagar und Vadinar. Jamnagar betreibt die weltgrößte Raffinerie für Diesel und Benzin. Die Inder transportieren den Treibstoff aus Jamnagar nach Europa - Barcelona, Rotterdam und Hamburg.
Auch der ARD-Informant, erklärt er, habe Besitzer eines solchen Schiffes werden können - lehnte aber ab. Er berichtet: „Die Chancen, einzusteigen, hat jeder. Es hängt davon ab, wer sie ergreift. Ich habe mich dagegen entschieden und dafür, in Frieden zu arbeiten und gut zu schlafen.“
„Die EU redet nur“
Im vergangenen Mai hatten die USA 180 und die EU 153 „Rosteimer“ der Schattenflotte auf der Sanktionsliste. Das bedeutet, dass die Schiffe Europa nicht anlaufen dürfen und vom Geldverkehr ausgeschlossen sind. Studien belegen, dass diese Sanktionen greifen.
Kritiker wie der Wirtschaftswissenschaftler Robin Brooks vom Washington Thinktank Brookings Institution fordern deshalb gerade von der EU ein härteres Vorgehen. „Die USA haben im Januar 193 russische Schiffe sanktioniert und damit Russlands Ölexporte auf See drastisch einbrechen lassen“, sagt er. „Es ist an der Zeit, dass auch die EU in der Ostsee die Schattenschiffe stoppt. Aber es passiert nichts, die EU redet nur.“
Auch der CDU-Außenpolitiker Kiesewetter mahnt in der ARD-Doku zu mehr Entschlossenheit. Die Sanktionen würden erfolgreicher, so Kiesewetter, wenn sie auf möglichst viele erkannte Schiffe ausgedehnt und diese etwa wegen zweifelhafter Versicherungsnachweise festgesetzt und beschlagnahmt würden. Da wundert es nicht, dass der Marineverband inzwischen auch Alttanker sichtet, die von russischen Kriegsschiffen eskortiert werden.
Kiesewetter äußert unheimlichen Verdacht
Roderich Kiesewetter äußert in der Doku einen unheimlichen Verdacht. Seiner Meinung nach würden auch deutsche Wirtschaftsinteressen härtere EU-Sanktionen verhindern. „Mein persönlicher Eindruck ist, dass man versucht, Russland zu signalisieren, dass man nicht bei allen Sanktionen mitgeht, um möglicherweise nach einem Ende des Krieges rasch wieder Anknüpfungspunkte zu haben.“
Laut US-Experte Robin Brooks vernachlässigt so gerade Deutschland ein wirkungsvolles Mittel gegen Moskaus Kriegstreiberei. „Deutschland kann der russischen Kriegswirtschaft enorm schaden, noch dazu ohne eigene Kosten“, so Brooks. „Es müsste nur die russischen Schattentanker aus der Ostsee ausschließen. Das würde den Preis für Rohöl aus dem Ural senken und Russland in die Wirtschaftskrise schicken. Das Einzige, was es dafür braucht, ist Mut.“
Putin wolle den Westen zwar weiterhin glauben machen, dass Sanktionen nicht wirkten. „In Wahrheit“, so Brooks, „sind sie überaus effizient.“