Wie sich eine junge Familie aus Kaltental nach einem schweren Unfall ins Leben zurückkämpft
Genau ein Jahr ist es her, dass die Familie Leydolph aus Aufkirch (Lkr. Ostallgäu) vom Schicksal heimgesucht wurde. Nach einem Verkehrsunfall kämpft sich Vater Christoph ins Leben zurück.
Kaltental – Vermutlich wissen die wenigsten noch, was sie am 27. Februar 2023 gemacht haben. Die 27-jährige Johanna Leydolph aus Aufkirch (Markt Kaltental) erinnert sich derweil genau. Für sie und ihre kleine Familie ändert sich an jenem Montag der Lebensalltag schlagartig, als ihr Mann Christoph einen schweren Verkehrsunfall hat. Dass er ein Jahr später mit seiner Frau und den beiden Kindern wieder am Esstisch sitzen kann, gleicht einem Wunder.
Minus 13 Grad hat es in der Nacht vom 26. auf den 27. Februar 2023. Nach den frühlingshaften Tagen zuvor ist an diesem Wochenende Neuschnee gefallen. Auch zur Freude von Christoph, der am Sonntag einen Schneemann im Garten gebaut hat. Das ist eine seiner letzten Erinnerungen.
Am Montagmorgen wacht Johanna um kurz nach 5 Uhr auf. Im Hof leuchten schon die Autoscheinwerfer, ihr Mann räumt das Auto frei, denn er will nach Buchloe fahren. Von dort soll es mit dem Zug nach München gehen, wo Christoph als Justizwachmeister arbeitet. Johanna bereitet in der Küche ein Fläschchen für die erst wenige Monate alte Tochter zu. Kurz kommt der Familienvater an diesem Morgen nochmal ins Haus („Geldbeutel vergessen“), dann ist er wieder weg.
Das Fläschchen ist noch nicht einmal ganz leer, als Johanna draußen die Sirene hört. „Als ich aus dem Fenster geschaut habe, war der ganze Himmel blau. Ich hatte auf einmal ein ganz ungutes Gefühl“, beschreibt die junge Mutter den Moment. Ein Gefühl, das leider nicht trog: Nicht einmal zwei Kilometer entfernt war ihrem Ehemann ein Wildschwein ins Auto gelaufen. In Kombination mit „Straßenverhältnissen aus der Hölle“, wie Johanna das Blitzeis und die Schneeverwehungen im Nachhinein bezeichnet, zu viel der Widrigkeiten. Christoph Leydolph kommt von der Straße ab, überschlägt sich im Graben und schlägt auf einem Betonrohr auf.
Nachrichten und Anrufe unbeantwortet
Seine Frau erlebt unterdessen bange Minuten. Zu lesen ist davon auch in ihrem eigens angefertigten Tagebuch, wo Johanna den Chatverlauf des Unglücksmorgens archiviert hat. Beim Gespräch mit unserer Zeitung zeigt sie auf die vielen Herzen und Fragen im Chat, Antworten sind keine zu sehen. Christoph reagiert weder auf ihre Nachrichten noch auf ihre unzähligen Anrufe. Erst, als eine Stunde später ein Polizeiauto in den Hof fährt, hat Johanna Klarheit. „Aktuell lebt er noch“, so die Auskunft der Beamten. Das kleine Wörtchen „Noch“ zieht Johanna den Boden unter den Füßen weg.
Hilfe ab dem ersten Moment
Doch vom ersten Schreckensmoment an ist die Unterstützung groß: Ihre ganze Familie habe sich im Laufe des Vormittags bei ihr eingefunden, erzählt die 27-Jährige. Und: „Die Polizisten haben ihren Job so unfassbar gut gemacht.“ Die Beamten hätten Telefonate für sie übernommen, inklusive des Gesprächs mit dem Krankenhaus Kaufbeuren, so Johanna dankbar.
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Die Schockraumdiagnose für ihren Mann ist lang: Er erleidet ein schweres Schädelhirntrauma und viele weitere lebensbedrohliche innere Verletzungen. Im Nachhinein haben die Temperaturen unter dem Nullpunkt wohl verhindert, dass Christoph zu viel Blut verloren hat. Nachdem er nach vier Stunden stabil genug ist, wird er nach Murnau verlegt. Einen Monat liegt er dort im künstlichen Koma, Johanna ist fast täglich bei ihm.

Wenn ihr heute andere sagen, wie stark sie in dieser Zeit war, ist ihre Antwort pragmatisch: „Ich hatte keine Wahl.“ Oft habe sie sich auch nicht so stark gefühlt, aber vielleicht waren es die kleinen Momente des Fortschritts, die Hoffnung und Kraft gegeben haben: Etwa die Träne, die über Christophs Gesicht gelaufen ist, als ihm Johanna eine Sprachmemo der Kinder vorgespielt hat – oder das erste „Ich liebe dich auch“, als Christoph wieder sprechen gelernt hat. „Im Krankenhaus haben sie mich Stationswunder genannt“, erzählt Christoph. „Wir haben dich alle unterschätzt“, habe später eine Pflegerin zu ihm gesagt.
Im Oktober durfte er dann endlich wieder nach Hause. Nach wie vor verbringt Christoph Stunden bei der Physio und der Logopädie. „Die Kinder sind außerdem die beste Ergotherapie“, erzählt der Familienvater. Zusammen backen, Schlittenfahren oder ins Kino zu gehen, hilft ihm. Stück für Stück erkämpft sich die junge Familie den Alltag zurück.
Doch längst nicht alles ist möglich. Weil die Familie sowohl auf den Kinderwagen als auch auf den Rollstuhl angewiesen ist, benötigt sie dringend ein größeres Auto. Und auch hier werden die Leydolphs nicht allein gelassen: Beim Faschingsumzug in Mauerstetten etwa kam ihnen der Erlös des Bratwurstverkaufs zugute. Aktuell läuft zudem über die Internetseite „GoFundMe“ ein Spendenaufruf. Der große Wunsch der vier: „Einfach mal als Familie einkaufen gehen und einen Tagesauflug machen – irgendwohin, wo es die Kinder schön finden.“
„Die packen das“
Die Leydolphs glauben nach all den harten Monaten an das Schicksal. „Wir stellen uns das so vor, dass das Schicksal eine Liste hat mit Dingen, die einfach passieren müssen, und dass es dafür Menschen aussucht, von denen es glaubt: Die packen das.“ Und das haben sie vergangenes Jahr allen gezeigt – Christoph mit seinem Kampfgeist, Johanna mit ihrer schier unglaublichen Zuversicht.