Der Rentenstreit zwischen SPD und Union ist festgefahren: Die einen wollen das Rentenniveau dauerhaft festsetzen, die anderen verhindern, dass die junge Generation noch stärker belastet wird. Ökonom Marcel Fratzscher versucht jetzt das Blockademuster aufzubrechen. Mit einem Vorschlag, der gleichermaßen einfach wie politisch brisant wirkt: eine Rentenpauschale von 50 Euro pro Monat für alle Rentner bis 2031.
Fratzscher argumentiert, damit ließen sich soziale Sicherheit und Generationengerechtigkeit besser miteinander verbinden. Seine Idee: Alle erhalten denselben Zuschlag, unabhängig von der Rentenhöhe. Vor allem niedrige Renten würden prozentual deutlich stärker profitieren.
Was Fratzscher verspricht
Der Ökonom sieht darin ein Modell, das die politisch verfahrene Lage lösen könnte. Er fordert, die deutsche Rentenpolitik müsse „Brücken bauen – zwischen Arm und Reich, zwischen Alt und Jung, zwischen sozialer Gerechtigkeit und ökonomischer Vernunft“. Die Pauschale soll genau das leisten.
Kleinere Renten würden dadurch stärker steigen als hohe und die junge Generation würde geschont, weil keine langfristig steigenden Zusatzansprüche entstünden. Einsparungen an anderer Stelle sollen außerdem verhindern, dass Beitragssätze weiter steigen.
Doch hält die Pauschale, was sie verspricht? Die wichtigsten Argumente im Überblick.
Das spricht für die Rentenpauschale
1. Kleine Renten profitieren am stärksten
Eine feste Euro-Erhöhung wirkt progressiv: Wer eine Mini-Rente hat, bekommt ein deutlich größeres Plus – bezogen auf die Rentenhöhe – als Besserverdiener. Für viele armutsgefährdete Rentner wären 50 Euro im Monat ein realer Unterschied. „Für armutsgefährdete Rentnerinnen und Rentner entspricht dies etwa einer Erhöhung von fünf Prozent pro Jahr, das ist deutlich mehr als unter der Rentengarantie (die beispielsweise einen Anstieg der Renten von 3,7 Prozent für 2026 vorsieht)“, führt Fratzscher aus.
2. Politisch anschlussfähig: Niemand soll verlierten
Anders als bei radikalen Reformideen wie dem „Boomer-Soli“ soll es mit der Rentenpauschale keine klaren Verlierergruppen geben. Hohe Renten würden zwar weniger stark steigen, aber auch nicht sinken. Das könnte das Modell für beide großen Lager attraktiv machen:
- Für die SPD, die niedrige Renten, die zum Leben nicht mehr reichen, verhindern will.
- Für die Union und die Junge Gruppe der Union, die keine neuen dauerhaften Verpflichtungen will, die Beitragszahler treffen.
3. Finanziell weniger riskant als die Rentengarantie
Die große Stärke des Modells ist seine Begrenzung: Nur bis 2031 soll die Pauschale gelten und es eine automatische Kopplung an die Lohnentwicklung wäre ausgeschlossen. Das soll langfristige Kosten senken – ein Punkt, der die Union beruhigen dürfte.
Marcel Fratzscher ist Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und Professor für Makroökonomie an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Contra: Das spricht gegen den 50-Euro-Vorschlag
1. Finanzierung bleibt unscharf
Fratzscher verweist darauf, dass „eingesparte Mittel“ aus geringeren prozentualen Steigerungen höherer Renten die Pauschale gegenfinanzieren sollen. Doch wie hoch diese Einsparungen ausfallen – und ob sie die Pauschale wirklich decken – sagt er nicht.
Die Frage bleibt: Reicht das aus oder landet die Rechnung am Ende doch beim Staat und damit bei den Jüngeren?
2. Bruch mit der Logik des Rentensystems
Das deutsche Rentensystem basiert auf dem Äquivalenzprinzip: Wer lange und viel einzahlt, bekommt später auch mehr heraus. Eine Pauschale durchbricht dieses Prinzip teilweise.
3. Rentenexperten kritisieren den Vorschlag scharf
Hier setzt auch deutliche Kritik von Sebastian Dullien, Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung, an: „Unser Rentenversicherungssystem basiert aus guten Gründen auf dem Äquivalenzprinzip: Die Renten orientieren sich an der vorherigen Einzahlung. Der Vorschlag, alle Renten nur noch um einen Fixbetrag zu erhöhen, würde dieses Prinzip kippen“, so Dullien gegenüber FOCUS online.
Er warnt, das könne gerade „die obere Mittelschicht“ aus dem System treiben – etwa über Scheinselbständigkeit. „Warum sagt man dann nicht auch: Jeder Bürger bekommt nächstes Jahr nur noch 200 Euro Zinsen und Dividenden – egal, welches Guthaben auf der Bank liegt?“
Sein zentraler Punkt: Altersarmut sei ein „gesamtgesellschaftliches Problem“, das Fratzschers Modell aber „alleine auf Kosten der Versicherten“ der gesetzlichen Rente lösen wolle. Beamte und Selbstständige würden nicht beitragen und das wäre „alles andere als gerecht“.
Auch Rentenexperte Axel Börsch-Supan stellt den Nutzen der Pauschale fundamental infrage: „Warum sollte man Rentnerinnen und Rentnern, denen es finanziell gut geht, eine Pauschale schenken? Das ist Steuergeldverschwendung. Besser nur denen, die es wirklich nötig haben“, fordert er gegenüber FOCUS online. Er kritisiert vor allem den Mangel an Zielgenauigkeit und die Gefahr, begrenzte Mittel fehlzulenken.
Zumal die Idee bisher eher nach einem Schnellschuss mit kurzer Haltbarkeitsdauer klingt. Entsprechend scharf reagiert auch Rentenexperte Bernd Raffelhüschen auf den Vorstoß: „Typisch Kollege Fratzscher, einfach mal eine Zahl ins Spiel gebracht – ohne Systematik und nur um die Aufmerksamkeit zu erhaschen…“, erklärt er gegenüber FOCUS online. Raffelhüschen kritisiert damit vor allem die fehlende systematische Einbettung und die oberflächliche Effektberechnung.
4. Zeitlich begrenzt, strukturell aber wirkungslos
Die Pauschale lindert kurzfristige Probleme, löst aber kein einziges der strukturellen:
- Demografie
- steigende Lebenserwartung
- Fachkräftemangel
- steigender Bundeszuschuss
- Druck auf Beitragssätze ab 2030
Die Kernprobleme werden lediglich vertagt.
5. Gefahr politischer Salamitaktik
Was heute bis 2031 gilt, könnte morgen schon verlängert werden. Denn politischer Druck sorgt erfahrungsgemäß dafür, dass befristete Rentenregeln selten wirklich enden. Der Vorschlag wirkt also nur dann nachhaltig, wenn sich die Politik tatsächlich an die Befristung hält.
Fratzschers Rentenpauschale mag pragmatisch, günstig verkäuflich und kurzfristig wirksam sein, ist aber kein echter Ersatz für eine strukturelle Reform. Daraus macht der Ökonom allerdings auch keinen Hehl: „Es ersetzt weder die langfristig nötige Reform des Arbeitsmarkts noch Maßnahmen zur Stärkung der Erwerbsbeteiligung oder die Debatte über das Renteneintrittsalter“, gibt Fratzscher zu.