Beitragshammer in der Pflege: Die Pflegeversicherung kann nur durch „Systemrevolution“ gerettet werden

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Die Beiträge für die Pflege sind 2025 erneut gestiegen. 2026 droht jedoch bereits, die Finanzierungslücke noch größer zu werden. Was ist die Lösung?

Berlin – „Das Haus der Pflegeversicherung steht in Flammen“, hatte Anne-Kathrin Klemm, Vorständin des BKK Dachverbands, im Mai 2024 gewarnt. Die Ausgestaltung der Pflege und deren Finanznöte haben sich seitdem nicht gebessert. 2024 hat die Pflegeversicherung etwa 1,55 Milliarden Euro Minus gemacht, 2025 soll das Defizit – dank der Beitragserhöhung um 0,2 Prozentpunkte zum 1. Januar – bei 300 Millionen Euro liegen.

Doch bereits im kommenden Jahr 2026 soll die Finanzlücke laut GKV-Spitzenverbandschefin Doris Pfeiffer weiter steigen. Trotz der Belastung der gesetzlich versicherten Erwerbstätigen sind die Leistungen der Pflege nicht kostendeckend. Im ersten Jahr ihres Aufenthaltes in einem Pflegeheim zahlen Bedürftige laut dem Paritätischen Gesamtverband etwa 2970 Euro im Monat selbst. Auf die pflegerische Versorgung entfallen 1490 Euro, der Rest sind die Kosten der Unterkunft. Mehr als ein Drittel aller Pflegebedürftigen in Heimen sei auf Sozialhilfe angewiesen, so der Verband.

Lösung für das Finanz-Problem der Pflege: Alle sollen in eine Bürgerversicherung einzahlen

Doch es gibt einen Vorschlag, der beide Probleme der Pflegeversicherung lösen soll. Heinz Rothgang, Professor für Gesundheitsökonomie an der Universität Bremen, hat im Auftrag des Bündnisses für eine solidarische Pflegeversicherung einen Vorschlag untersucht. Im Bündnis haben sich Sozialverbände und Gewerkschaften zusammengeschlossen.

„Eine Vollversicherung ist im Rahmen der Sozialversicherung finanzierbar, ohne den Beitragssatz wesentlich erhöhen zu müssen, und zwar auch langfristig“, sagte Rothgang dem Spiegel, der zuerst über die Studie berichtet hatte. „Die Pflegeversicherung muss dazu zu einer Bürgerversicherung weiterentwickelt werden, in die alle einzahlen und in der alle Einkommensarten beitragspflichtig sind.“

Beitragsbemessungsgrenze für die Pflege soll steigen – und auf Kapital-Einkünfte soll es einen Beitrag geben

Der Pflege-Vorschlag sieht vor, das zweiteilige System aus sozialer und privater Pflegeversicherung zu einer einheitlichen Bürgerversicherung aufzulösen und in eine einheitliche Bürgerversicherung zu bündeln. Zudem soll die Beitragsbemessungsgrenze der Pflegeversicherung erhöht werden. Das ist das Einkommen, bis zu dem Beiträge für die Pflege gezahlt werden müssen. Der Teil des Gehalts, der darüber liegt, bleibt beitragsfrei.

Der dritte Teil der Reform ähnelt dem Vorschlag von Robert Habeck. Der Grünen-Politiker hatte vorgeschlagen, zur Finanzierung der Pflege- und Krankenversicherung auch Einkünfte aus Kapitalerträgen heranzuziehen – nicht nur Löhne und Gehälter. Auch Gesundheitsökonom Rothgang will diesen Ansatz wählen. Neben Arbeitsentgelten sollen auch Einkünfte aus Kapitalvermögen, aus Vermietung und Verpachtung sowie Renten und Pensionen berücksichtigt. Dadurch würde die Einnahmebasis der Pflege stark verbreitert.

Pflege-Vorschlag würde „eine vollständige Übernahme“ der Kostenermöglichen und Beitrag stabilisieren

Wenn die drei Maßnahmen umgesetzt werden, wäre eine „vollständige Übernahme der pflegebedingten Kosten in der Heimpflege und eine Leistungserhöhung im ambulanten Bereich“ möglich, sagte Rothgang dem Spiegel. Das gelte nicht für die Kosten der Unterbringung und Investitionen.

Der Beitrag für die Pflegeversicherung würde dadurch jedoch stabilisiert und müsste zum Zeitpunkt der Umstellung weniger als fünf Euro pro Monat über dem jetzigen liegen. Mit dieser breiten Basis sei die Finanzierung nachhaltig. Die Eigenanteile für die Pflege blieben deshalb auch stabil, heißt es im Bericht.

Annahmen für die Pflege zu optimistisch: Sozialexperte kritisiert Berechnung – und fehlendes Detail

Die Annahmen seien jedoch zu optimistisch, sagte Stefan Sell, Direktor des Instituts für Sozialpolitik und Arbeitsmarktforschung der Hochschule Koblenz, dem Spiegel. „Im Gutachten ist von 2,5 Prozent Anstieg pro Jahr ab 2028 die Rede. Das halte ich für unwahrscheinlich angesichts des Mangels an Pflegekräften.“ Es sei zudem damit zu rechnen, dass bei einer durchfinanzierten Vollversicherung die Preise erst recht anziehen könnten, weil der Sparzwang nachlasse.

Sell kritisiert zudem, dass das Gutachten sich auf die Einnahmen konzentriere, „die Strukturen in der Pflege werden nicht thematisiert“. Wie sich flächendeckende Pflegeberatungsstellen oder eine bessere soziale Absicherung für Angehörige auswirken würden, lasse sich nicht abschätzen.

Solidarische Bürgerversicherung bei der Pflege als „Systemrevolution“

Eine Umsetzung einer solchen solidarischen Bürgerversicherung bei der Pflege gilt jedoch politisch als unrealistisch. Auch darauf wies Sell gegenüber dem Spiegel hin: „Die versprochene Ausgabensteigerung ist nur zu stemmen, wenn alle drei Reformforderungen umgesetzt würden. Das käme einer Systemrevolution gleich, für die es aber derzeit keine Mehrheit gibt.“

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