Schluss mit Märchen: Merz, die Grünen und ein Kurswechsel in der Klimapolitik

Es war einmal ein Land, das sich anschickte, Vorreiter zu sein. Ein Land, das glaubte, man müsse nur ehrgeizige Ziele verkünden, und schon würden die Windräder sich wie von selbst drehen, die Solarpanels die grauen Dächer vergolden und Wärmepumpen in die Kellerschächte flattern wie die Schwalben im Frühling. 

Deutsche Klimapolitik: Vom Aufbruch zur Ernüchterung

Es war das Land der Ampelkoalition, eine Regierung, die versprach, den Klimawandel nicht nur zu bekämpfen, sondern ihn zu besiegen. „Wir wollen das Tempo verdreifachen“, sagte Robert Habeck im Januar 2022 über den Ausbau der erneuerbaren Energie. Und Olaf Scholz bekräftigte: „Wir werden alles dafür tun, dass Deutschland klimaneutral wird – und das schneller als bisher gedacht.“

Es waren Sätze, die die Herzen höher schlagen ließen bei denen, die nicht nur die umweltpolitische Notwendigkeit sahen, sondern die auch an eine moralische Überlegenheit glaubten, die darin bestand, den Rest der Welt mit Vorbildlichkeit zu beeindrucken. Heute, gut drei Jahre später, klingt all das wie ein Märchen. 

China hat Deutschland nicht nur bei der Autoproduktion, sondern auch in Sachen Klimaschutz überholt. Komponisten haben für das, was jetzt an sich fällig ist, ein besonderes musikalisches Format entwickelt: das Reqiem. Ist es an der Zeit, der Klimapolitik der Ampel ein Requiem zu widmen?

Das Ende der grünen Illusion

Jedenfalls ist aus dem großen Versprechen, welches insbesondere den Grünen wichtig war und ist, ein beispielloses politisches Missverständnis geworden. Die Ampel vertraute auf Annahmen, die sich zumindest als gewagt herausgestellt haben. Dass der Ausbau der Erneuerbaren fast von selbst kommt, wenn man nur genug Gesetze schreibt. Dass Menschen ihre Häuser bereitwillig sanieren, weil sie es als patriotische Pflicht empfinden. 

Dass Wohlstand und Transformation sich nicht widersprechen müssen, sondern – wie Habeck es nannte – „Hand in Hand“ gehen. Dass es möglich ist, angesichts ausbleibender Gaslieferungen aus Russland auch noch die Atomkraftwerke abzuschalten und damit noch mehr Last auf die noch unzuverlässigen erneuerbaren Energien zu verteilen. Dass sich der Energieverbrauch linear senken lässt, obwohl neue Energiefresser wie KI-Rechenzentren dazu kommen.

Inzwischen wirkt das alles wie eine nostalgische Utopie. Friedrich Merz, der heutige Bundeskanzler, hat sich in seiner Regierungserklärung im Mai 2025 klarer gefasst: „Wir beenden die Illusion, dass Klimapolitik gegen die Wirtschaft funktionieren kann.“ Er hätte auch sagen können: „Wir klappen das Märchenbuch zu.“ 

Katharina Reiche, Bundesministerin für Wirtschaft und Energie, spricht von „einer Rückkehr zu Energiepolitik mit Augenmaß“. Ihr Satz „Wir werden den Menschen nicht vorschreiben, wie sie zu leben haben“ klingt fast wie ein Gegenentwurf zu Habecks „Wir müssen die Menschen mitnehmen“. Der Unterschied: Reiche meint es ernst, Habeck meinte es gut.

Die Ampel setzte auf eine Elektrifizierung, deren Aufwand sie grob unterschätzte. Noch 2022 hatte Olaf Scholz erklärt: „Wir werden in wenigen Jahren genug grünen Strom erzeugen, um alle Bedarfe zu decken.“ Heute sind die Zahlen ernüchternd. 

Wärmepumpen, Windkraft, Widerstand – die Grenzen des Machbaren

Die Bundesnetzagentur verzeichnete Ende 2024 einen Zubau bei Windkraft, der 30 Prozent unter Plan lag. Bei der Photovoltaik wurden 70 Prozent der Ziele erreicht. Nicht, weil es an Subventionen fehlte – sondern an Flächen, Genehmigungen, Fachkräften. Und an Akzeptanz. Das Wort „Akzeptanz“ hat in diesen Jahren eine Karriere gemacht, weil es höflicher klingt als „Widerstand“.

Niemand kann der Ampel vorwerfen, dass sie keinen Eifer gezeigt hätte. Robert Habeck hatte Dutzende Gesetze angeschoben. Er war ein fleißiger Minister. Wärmepumpen sollten 500.000 Mal im Jahr eingebaut werden – geworden sind es laut Bundesverband Wärmepumpe im Rekordjahr 2024 knapp 400.000. Immerhin. Doch trotz aller Milliardenförderung stockt der Umbau. Das liegt daran, dass viele Eigentümer sich schlicht weigerten, fünfstellige Summen zu investieren in Technik, die sie weder verstehen noch ihr vertrauen.

Und so bleibt der Satz von SPD-Chef Lars Klingbeil aus dem Jahr 2023 als Chiffre dieser Jahre in Erinnerung: „Es geht nicht darum, ob wir die Transformation schaffen, sondern nur, wie schnell.“ Heute wirkt er wie der Kommentar eines Zaungastes. Denn inzwischen geht es genau darum, ob man sie schafft – und ob man es sich leisten kann.

Was die Ampel besonders unterschätzte, war die Wechselwirkung mit der geopolitischen Lage. Der Angriff Russlands auf die Ukraine und die ausbleibenden Energielieferungen aus dem Osten inklusive der Sanktionspakete verteuerten Energie. 

Merz zur Ampel: „Es wurde viel versprochen und wenig gehalten“

Lieferkettenprobleme machten Materialien unerschwinglich. Die deutsche Industrie, die auf Lieferkettenoptimierung gesetzt hatte, hatte sich verzockt, wie der Bestseller-Buchautor und Ökonom Wolfgang Münchau es beschreibt. Sie hätte auf Resilienz der Lieferketten setzen müssen. Die Inflation fraß Haushaltslöcher. 

Trotzdem hielt die Ampel an ihren Zielen fest, als sei ihr Mantra stärker als jede Wirklichkeit. Dabei hätten gerade die Krisen zur Korrektur zwingen müssen. Doch Olaf Scholz redete lieber von „Deutschland-Tempo“, ohne dass jemand erklären konnte, was das eigentlich sein soll.

Friedrich Merz hat die Bilanz nüchtern gezogen: „Es wurde viel versprochen und wenig gehalten.“ Der Satz könnte als Grabinschrift der Ampel-Klimapolitik dienen. Denn das Problem ist nicht, dass sie keine großen Ziele hatte – das Problem ist, dass sie sie ohne realistischen Plan verfolgte. Die Vorstellung, man könne Technologie und Marktmechanismen beliebig beschleunigen, hat sich einmal mehr als politische Hybris entpuppt.

Heute wird mit anderen Worten gesprochen. Katharina Reiche sagte kürzlich in einem Interview: „Wir werden weiter den CO2-Ausstoß reduzieren, aber nicht mit ideologischen Scheuklappen.“ Das Wort „ideologisch“ fällt in diesen Tagen oft – fast so oft wie das Wort „Realismus“. Klingbeil hingegen verteidigt die Ampel immer noch: „Wir haben den Mut gehabt, etwas zu verändern.“ Das stimmt. Aber Mut ist kein Ersatz für Machbarkeit. 

Reiche will Klimaziele aufweichen

Reiche klingt anders. Zuletzt hatte sich die Wirtschaftsministerin beim „Tag der Industrie" für „eine Harmonisierung" der deutschen Klimapolitik mit den „internationalen Zielen" ausgesprochen, also bei der Klimaneutralität für das Zieljahr 2050, wie es etwa im Pariser Klimaabkommen vereinbart wurde und nicht eher, wie Deutschland es bisher will und sich damit für einen teuren Sonderweg entschieden hat. Dies sei zwar, räumte Reiche ein, „im Koalitionsvertrag nicht festgelegt". Trotzdem müsse man nun schauen, „was in welchem Zeitraum machbar" sei.

Im Koalitionsvertrag ist dieses Spannungsfeld angedeutet. Einerseits heißt es darin: „Wir stehen zu den deutschen und europäischen Klimazielen", und damit explizit zum „Ziel der Klimaneutralität 2045 in Deutschland“. Andererseits müssten dabei „Klimaschutz, wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und soziale Ausgewogenheit" zusammengebracht werden. Denn: „Wir wollen Industrieland bleiben und klimaneutral werden." 

SPD-Umweltminister Carsten Schneider, zu dessen Bereich wieder die Klimapolitik gehört, besteht auf den bisherigen Festlegungen. Sie sollen Grundlage des aktualisierten Klimaschutzprogramms sein, das er im Spätherbst vorlegen will.

Was Reiche wohl jedoch ahnt: Aus dem Anspruch, Deutschland klimaneutral und zugleich wohlhabend zu machen, ist ein Kompromiss geworden, der viele enttäuscht hat: die Menschen, die auf Subventionen setzten und sie nun gekürzt sehen. Stromsteuer runter für alle – das kommt nicht. Die Industrie, die sich verlässliche Rahmenbedingungen wünschte und sie nicht bekam. Die junge Generation, die glaubte, Klimaschutz sei einfach nur eine Frage des Willens.

Realität holt Klimaambitionen ein

Es war der Reiz der Ampeljahre, dass vieles nach Aufbruch klang. Aber es war ihr Verhängnis, dass es beim Klang blieb. Robert Habeck sprach 2022 von einer „gigantischen Kraftanstrengung“, als sei Kraft allein ausreichend. Tatsächlich braucht es auch Akzeptanz, Geld, Fachkräfte und – vor allem – Zeit. Heute, unter der neuen Regierung, ist der Ton leiser, die Ansprüche kleiner, die Worte nüchterner. Friedrich Merz mag vielen als kalter Rechner gelten, doch sein Satz „Klimaschutz ist kein Selbstzweck, sondern ein Teil wirtschaftlicher Vernunft“ markiert die neue Leitlinie.

Manche sagen, dies sei ein Rückschritt. Andere nennen es eine Rückkehr zur Realität. Vielleicht ist es beides. In jedem Fall ist es das Ende einer Illusion. Ein Requiem erklingt am Ende aber doch nicht, weil nie etwas zustande gekommen war, das nun verstorben ist. Tatsächlich wurde vieles nur mit großem Pathos versucht und ist dann an der Wirklichkeit zerschellt.

„Wir werden beim Klimaschutz Vorreiter sein“, hatte Olaf Scholz versprochen. Heute ist Deutschland vor allem Vorreiter darin, wie schwer es ist, die hehren Ziele mit dem gelebten Alltag zu vereinen. Man kann das bedauern oder erleichtert sein. Doch eines ist klar: Die Märchenzeit ist vorbei.

Dieser Artikel entstand aus einer Kooperation mit Business Punk.