Urteil mit Sprengkraft: Erstes Gericht durchkreuzt Dobrindts Grenz-Politik

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Der Asylstreit erreicht die Gerichte. Ein Urteil könnte Dobrindts Kurs stoppen. Die Entscheidung hat politische und juristische Folgen.

München – Der Neu-Minister klang ungewohnt verdruckst. In vorsichtigen Sätzen, stockend und mit Pausen zwischen jedem Wort, verkündete Alexander Dobrindt wenige Stunden nach Amtsantritt die Kehrtwende. Man werde die Grenzen stärker kontrollieren, las er ab, und „auch ... zu ... einer ... höheren ... Zahl ... an ... Zurückweisungen ... kommen“. Dass der Bundesinnenminister bei seinem allerersten Auftritt am 7. Mai jedes Wort so genau abwog, hatte Gründe: Er bewegte sich juristisch durch eine Grauzone und politisch durch ein Minenfeld.

Vier Wochen nach Dobrindts gedrechselten Worten hat das erste Gericht begonnen, die Grenz-Politik zu durchkreuzen. Das Verwaltungsgericht Berlin befand per Eilentscheidung, die Zurückweisung dreier Somalier am Bahnhof Frankfurt (Oder) sei rechtswidrig gewesen. Ohne Klarheit, welcher EU-Staat für einen Asylantrag zuständig sei, dürften sie nicht zurück nach Polen abgewiesen werden. Der „Stern“ zitiert aus dem Beschluss: Der Richter warnte unter anderem vor einer Kettenabschiebung zurück ins Transitland Belarus.

Asylentscheidung mit Signalwirkung: Justiz stellt sich erstmals offen gegen Dobrindts Kurs

Vorerst gilt das nur für diese drei Fälle. Dobrindt hofft auf andere Instanzen (falls dieses Verfahren noch weitergeht) und andere Gerichte. In der Union wird darauf verwiesen, dass der Vorsitzende Richter der dreiköpfigen Kammer bei den Grünen aktiv ist. An der Praxis, Schutzsuchende abzuweisen, die ein sicheres Drittland durchquert haben, werde sich „aktuell“ nichts ändern, sagte Dobrindt. „Wir glauben, dass wir im Recht sind. Wir werden daran arbeiten, dass wir eine ausreichende Begründung liefern.“

Ein namhafter Experte bezweifelt das. Der Migrationsforscher Gerald Knaus hält das Zurückweisungs-Konzept für gescheitert. „Alle Fälle, die vor Gericht kommen werden, wird die Bundesregierung verlieren – bis hinauf zum Europäischen Gerichtshof“, sagte Knaus im „Stern“. Irgendwann werde die SPD mit der Bundesjustizministerin einschreiten, wenn Dobrindt „offensichtlich rechtswidrig“ die Bundespolizei einsetze. Knaus rät zu Drittstaatenabkommen nach dem Vorbild des EU-Türkei-Deals. Auch Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann rief die SPD auf, Dobrindt zu stoppen. Sie wertete das Urteil als „schallende Ohrfeige“. Führende SPD-Leute äußern sich abwartend, sehen eine grundsätzliche, aber noch nicht endgültige Entscheidung.

Ein Urteil, das Kreise zieht: Was das Berliner Verfahren für die Migrationspolitik bedeutet

Für Dobrindt geht es dabei um viel. Die Zurückweisungen sind in der Zahl nicht groß, in den ersten zwei Wochen waren es 1676 Menschen; vermutlich schlüpften etliche später anderswo über die Grenze. Für die Regierung bis hinaus zum Kanzler geht es aber um ein Symbol der Migrationswende. Friedrich Merz bekräftigt: „Bis die Lage an den Außengrenzen mithilfe von neuen europäischen Regeln deutlich verbessert ist, werden wir die Kontrollen an den Binnengrenzen aufrechterhalten müssen.“

Zunächst weiter kontrollieren, aber möglichst schnell die EU-Grenzen sichern, das rät auch Michael Kretschmer, Sachsens CDU-Ministerpräsident, der selbst aus einer Grenzregion kommt. „Mit der Einführung der Grenzkontrollen – damals noch mit Bundesinnenministerin Faeser – hat sich die Lage grundlegend verändert“, sagt Kretschmer unserer Redaktion. „Europa beginnt, Verantwortung für den Schutz seiner Außengrenzen zu übernehmen. Wir sehen erstmals, dass entlang der Migrationsrouten – in Polen, Tschechien und Bulgarien – konkrete Maßnahmen ergriffen werden.“

Migration als Symbolfrage: Warum Zurückweisungen mehr als bloße Einzelfälle bedeuten

Das Ziel bleibe ein Europa ohne Binnengrenzen, „aber mit sicheren Außengrenzen. Grenzkontrollen dürfen nur Übergang sein“, sagte er. Dafür brauche es mehr Zusammenarbeit, mehr Personal und eine starke Frontex-Grenzschutzagentur. „Niemand will Grenzkontrollen dauerhaft – wir wollen sie so schnell wie möglich beenden. Aber nur, wenn echte Sicherheit gewährleistet ist.“ Dobrindt stehe für eine Asylpolitik, „die den Menschen hilft, die Schutz brauchen, aber auch den Mut hat, Fehlentwicklungen klar zu benennen und zu handeln“. Diesen Kurs brauche Deutschland.

Intensive Kontrollen: Ein Polizist überprüft die Dokumente eines Fahrzeugführers.
Intensive Kontrollen: Ein Polizist überprüft die Dokumente eines Fahrzeugführers. © Pia Bayer

Die Gesamtzahlen beim Asyl sind zwar stark gesunken, regional tauchen aber neue Probleme auf. Die irreguläre Migration von Libyen nach Griechenland ist laut italienischen Medien um 174 Prozent gestiegen. Griechenland will nun Diplomaten ins Bürgerkriegsland schicken, um dort Abkommen zu schließen.

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