Waffenstillstand in der Ukraine? Selenskyj zeigt sich auf Europa-Reise verhandlungsbereit
Wolodymyr Selenskyj reist durch Europa. Er spricht mit Staats- und Regierungschefs über den Ukraine-Krieg – und weicht erstmals von Forderungen ab.
Kiew – Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj besucht in dieser Woche neben Deutschland auch Frankreich, Großbritannien und Italien. In Gesprächen während seiner Treffen mit Politikern vor Ort geht es vor allem um den Ukraine-Krieg. Selenskyj hat dabei offenbar erstmals Bereitschaft gezeigt, von seinem Siegesplan abzurücken, wenn dies dem Frieden mit Russland dient – unter bestimmten Bedingungen.
Obwohl der für Samstag (12. Oktober) geplante Ukraine-Gipfel in Ramstein verschoben werden muss, da US-Präsident Joe Biden wegen des Hurrikans ‚Milton‘ in den USA bleiben muss, setzt Selenskyj seine damit zusammenhängend geplante Reise durch Europa fort. Erster Stopp war am Mittwoch (09. Oktober) das kroatische Dubrovnik, wo der ukrainische Staatschef mit den Regierungen Südosteuropas zusammentraf.
Ende des Ukraine-Kriegs und Aufnahme in die Nato – Selenskyj offen für Verhandlungen
Selenskyj warb dort erneut für die Nato-Mitgliedschaft seines Landes. Zudem äußerte er, dass der Ukraine-Krieg spätestens 2025 enden müsse. „Die Situation auf dem Schlachtfeld bietet die Möglichkeit, diese Entscheidung zu treffen – eine Entscheidung für ein entschlossenes Handeln, um den Krieg spätestens 2025 zu beenden, und wir zählen auf die Führungsstärke von Präsident Biden, wir verlassen uns auf die starken und klugen Schritte Großbritanniens, Frankreichs, Deutschlands und Italiens, um Sicherheit und Frieden nach Europa zu bringen“, so der ukrainische Präsident auf einer Pressekonferenz. Ihm zufolge wäre „die Einladung der Ukraine in die Nato und eine zukünftige Mitgliedschaft der Ukraine ein echter Schritt in Richtung Weltfrieden“.

Doch das drängendste Problem Selenskyjs ist der Krieg im eigenen Land, den Russland zu gewinnen droht. Der September war für die Ukraine der Monat mit den größten Gebietsverlusten seit der ersten Hälfte des Jahres 2022, wie die französische Grand Continent schreibt. Mindestens 468 Quadratkilometer wurden von Moskau erobert, zum Preis von etwa tausend russischen Opfern pro Tag, einschließlich der Toten und Verwundeten. Die ukrainischen Streitkräfte sind zum jetzigen Zeitpunkt an der gesamten Front im Donbass zahlen- und waffentechnisch unterlegen. Auch die Bilanz der Anfang August eingeleitete Kursk-Offensive ist gemischt. Zwar konnte die Moral der ukrainischen Soldaten gestärkt werden, doch viele sitzen nun in Russland fest.
Entschlossenes Vorgehen gegen Putins Russland – Selenskyj will trotzdem über Ukraine-Krieg verhandeln
Ungeachtet dessen zeigt sich Selenskyj weiter optimistisch. „Im Oktober, November und Dezember haben wir eine echte Chance, die Situation in Richtung Frieden und dauerhafte Stabilität zu bewegen“, so der ukrainische Präsident am Mittwoch auf X. Die Lage vor Ort biete „die Möglichkeit, den Krieg bis spätestens 2025 durch entschlossenes Handeln zu beenden“.
Für den abgesagten Gipfel in Ramstein hatte Selenskyj im Vorfeld angekündigt, dass er „dort unseren Siegesplan im Detail vorstellen“ werde, genauso wie er „es im Weißen Haus getan“ habe. Im Kern gehe es dabei darum, die Ukraine „sowohl geopolitisch als auch auf dem Schlachtfeld“ zu stärken, bevor irgendeine Art von Dialog mit Russland aufgenommen werde. „Die Schwäche eines unserer Verbündeten wird [den russischen Präsidenten Wladimir] Putin inspirieren“, führte er fort. “Deshalb bitten wir sie, uns zu stärken, in Bezug auf Sicherheitsgarantien, in Bezug auf Waffen, in Bezug auf unsere Zukunft nach diesem Krieg. Meiner Ansicht nach versteht er nur Gewalt“, so der ukrainische Präsident.
Selenskyj will Russland militärisch besiegen – und den Ukraine-Krieg so rasch wie möglich beenden
Auf militärischer Ebene warte die ukrainische Führung darauf, dass der Herbstregen den Russen den Vormarsch bis Dezember unmöglich macht, interpretiert die italienische Zeitung Corriere Della Sera die Aussagen Selenskyjs. Bis dahin hoffe er zudem auf zahlreiche neue Raketen aus dem Westen. Doch es sei vor allem die politische Ebene, auf der er die Europäer bei seinem jetzigen Besuch überzeugen wolle.
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Offiziell könne er nie zugeben, dass er die besetzten Gebiete aufzugeben bereit sei. Das sei schlicht zu unpopulär für jeden ukrainischen Politiker. Der Zeitung zufolge wäre er aber zu einem Waffenstillstand entlang der jetzigen Linie und ohne Anerkennung einer neuen offiziellen Grenze bereit. Zumindest, wenn der Westen im Gegenzug bestimmte Verpflichtungen eingeht. Diese bestehen dem Bericht zufolge aus zwei maßgeblichen Punkten. Erstens fordere Selenskyj eine Sicherheitsgarantie der Vereinigten Staaten nach dem Vorbild derer, die die Japan, Südkorea und den Philippinen gegeben wurde. Gleichzeitig erhoffe er sich von Rom, Berlin und Paris Zusicherungen für einen raschen Beitritt zur Europäischen Union. (tpn)