Deutschland produziert zu viel Strom aus Erneuerbaren – wofür der Steuerzahler Milliarden blecht

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Der Ausbau der erneuerbaren Energien geht rasend schnell voran. Doch die Randbedingungen kommen nicht mit. So passiert es, dass Deutschland plötzlich zu viel Strom produziert – und dafür zahlen muss.

Berlin – Eigentlich ist es doch eine gute Sache: Der Ausbau der erneuerbaren Energien hat jetzt so richtig an Fahrt aufgenommen. Im ersten Quartal des Jahres 2024 betrug der Anteil der Erneuerbaren am Strommix in Deutschland fast 60 Prozent, wie Daten des Statistischen Bundesamtes zeigen. Konventionelle Energieträger (vor allem Kohle und Erdgas) gingen auf 41 Prozent zurück.

Strom aus Wind und Sonne sorgen auch für Probleme

Doch der Zubau der Windkraft- und Solaranlagen sorgt nun auch für Probleme am Strommarkt. Denn die Anlagen produzieren ziemlich viel Strom, wenn er gar nicht gebraucht wird. Das ist vor allem bei PV-Anlagen der Fall: logischerweise können diese nur tagsüber Strom erzeugen, der aber zu dieser Zeit nicht vorrangig benötigt wird. Weil die Speicherkapazitäten nicht ausreichen, müssen Netzbetreiber den unnützen Strom trotzdem einspeisen und an der Börse verkaufen – für einen Ramschpreis. Das kostet sowohl Betreiber als auch den Staat aktuell viel Geld.

Das Problem lässt sich gut anhand folgender Grafiken darstellen. Zuerst wird hier anhand der Daten der Bundesnetzagentur gezeigt, wie viel Strom in Deutschland in der Zeit vom 24 bis 27. Juli alle Viertelstunden erzeugt wurde:

Wenig überraschend: Tagsüber wird sehr viel Strom aus Solaranlagen erzeugt, daraus wird tagsüber im Sommer mit Abstand der meiste Strom produziert. Auch aus Wind kann durchaus sehr viel Strom erzeugt werden, allerdings unterliegt dies deutlich mehr Schwankungen. Kritisch wird es aber abends, ab 19 oder 20 Uhr lösen Erdgas und Kohle die Erneuerbaren wieder ab. Und das ist ein Problem, denn zu der Zeit wird wieder mehr Strom verbraucht, wie diese Grafik zeigt:

Es ist also schön und gut, dass tagsüber – vor allem jetzt im Sommer – nahezu der gesamte Stromverbrauch durch erneuerbare Energien abdeckbar ist. Der große Hebel liegt nun darin, diesen Strom auch in den frühen Morgenstunden und abends zur Verfügung zu haben. Ganz zu schweigen von den Wintermonaten, wenn die Sonne wieder seltener auf die Dächer prallt. Dazu braucht es Speicherkapazitäten.

Deutschland hat zu wenig Stromspeicher – das führt zu negativen Strompreisen

Verbraucher und Verbraucherinnen werden daher auch schon angeregt, wenn sie eine eigene PV-Anlage haben, diese Speicherkapazitäten auch zu nutzen. Also: Strom in Elektroautos parken oder in Batteriespeicher und erst wenn diese voll sind, ins Netz einspeisen. Doch aktuell reichen die Speicherkapazitäten bei Weitem nicht aus. Laut Bundesverband der Solarwirtschaft hat Deutschland aktuell Speicherkapazitäten von 12 Gigawattstunden installiert. Bis 2030 brauchen wir 100 Gigawattstunden, bis 2045 sogar 180 Gigawattstunden. Darüber hinaus sind Speicher noch sehr teuer.

Also muss der überschüssige Strom aktuell ans Netz, was zu sogenannten „negativen Strompreisen“ führt. Es gibt also so viel Strom am Markt bei geringer Nachfrage, dass er an der Börse quasi verschenkt wird. Wer einen dynamischen Stromtarif nutzt, kann davon profitieren und seine Haushaltsstromkosten massiv senken.

Steuerzahler müssen Milliarden für überschüssigen Solarstrom zahlen

Was für Verbraucher und Verbraucherinnen gut ist, ist aber nicht zwingend für die Netzbetreiber und den Staat gut. Denn in Zeiten negativer Strompreise kann der Netzbetreiber insbesondere kleine Anlagen, wie Balkonkraftwerke und private Solaranlagen mit einer Leistung von weniger als 400 Kilowatt nicht vom Markt abriegeln. Sie müssen den Strom annehmen – und in vielen Fällen eine Einspeisevergütung zahlen, die sich aber nicht nach dem aktuellen Marktpreis richtet.

Sonnenuntergang hinter Windpark
Der erneuerbare Strom kommt in Deutschland voran – doch das kostet überraschend viel Geld. (Archivfoto) © Jens Büttner/dpa

Das heißt: Die Netzbetreiber machen ein Minusgeschäft. Das Geld erhalten sie zwar über die EEG-Förderung vom Staat zurück. Das geht aber zulasten des Steuerzahlers. Nach Berechnungen des Energieökonoms Christof Bauer von der TU Darmstadt könnte das den Bundeshaushalt 2024 um 20 Milliarden Euro belasten. Gegenüber der Tagesschau sagte er: „In diesem Jahr werden wir voraussichtlich in rund zehn Prozent aller Stunden negative Preise sehen.“ Daher müsse man „anerkennen, dass es nicht finanzierbar ist, die Einspeise-Vergütung aufrechtzuerhalten, selbst wenn der Strom keinen Wert mehr hat.“

Experte: Negative Strompreise werden künftig auf Festverträge für Strom abgewälzt

Es braucht also eine erneute Anpassung der Einspeisevergütung, damit Anreize wieder besser gesetzt sind. Denn aktuell ist es für Netzbetreiber durch die Einspeisevergütung unattraktiv, weiter in die Energiewende zu investieren. Wolfram Axthelm vom Bundesverband Erneuerbare Energien wies gegenüber der Zeitung für kommunale Wirtschaft darauf hin: „Die zunehmenden Zeiten mit negativen Preisen am Strommarkt stellen ein immer größeres Problem für die betriebswirtschaftliche Grundlage von Neu- und Bestandsanlagen dar.“ Das gefährde den weiteren Ausbau der Erneuerbaren.

Christof Bauer geht in der Tagesschau davon aus, dass die Stromanbieter anfangen werden, diese Kosten für negative Strompreise auf den Endkunden in den Festverträgen abzuwälzen. Dadurch steigen die Strompreise wieder, anstatt dass der Ausbau der Erneuerbaren die Preise nach unten korrigiert.

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