Die deutsche Wirtschaft ist in Krisenstimmung. Geplagt von Rezessionssorgen und Bestrebungen nach Strukturwandel, müssen sich Unternehmen neu aufstellen.
Berlin – Die deutsche Wirtschaft hangelt sich aktuell von einer schlechten Nachricht zur nächsten. Die aktuellste vom Dienstag (6. Februar): Die Aufträge in der Industrie stagnieren, halten sich nur durch unerwartete Großaufträge über Wasser. Weiter vermeldet am Dienstag das Ifo-Institut, dass sich die Stimmung im Einzelhandel erneut eingetrübt hat, die Nachfrage zieht nicht an, gleichzeitig ist sie von Lieferkettenproblemen und dem Fachkräftemangel belastet.
Die bedrückende Lage spiegelt sich auch in einem neuen Bericht der Unternehmensberatungsfirma Boston Consulting Group (BCG) wider. Laut dessen „Industry Crisis Radar“, über den die WirtschaftsWoche zuerst berichtet hat, ist die Stimmung hierzulande so schlecht wie seit Jahren nicht mehr. Die analysierten Daten zeigen sogar, dass es der Wirtschaft jetzt schlechter geht, als während der Corona-Pandemie oder zu Beginn des Ukraine-Kriegs.
Drei Branchen im Fokus: Autoindustrie, Chemieindustrie und Immobilien
Besonders schlecht geht es BCG zufolge in drei Branchen zu: der Automobilbranche, der Immobilienbranche und in der Chemiebranche. Für alle drei Bereiche seien gestiegene Kosten ein erheblicher Faktor, wie es BCG-Experte Jochen Schönfelder in der WiWo beschreibt. „Zusätzlich leiden Chemie- und Autoindustrie unter einer schwächeren Nachfrage und im Immobilienbereich sehen wir erhebliche Finanzierungsprobleme.“
Dass es diesen drei Branchen gerade besonders schlecht geht, ist wenig überraschend. Die Autoindustrie befindet sich in einer Phase des Umbruchs durch den Umstieg auf Elektromobilität und die wachsende Konkurrenz aus China. Noch immer können deutsche Autobauer nicht mit den Billigmodellen aus China mithalten. Aber auch der US-Konkurrent Tesla setzt hiesige Unternehmen unter Druck. So wurde 2023 der Tesla Model Y zum meistverkauften Auto weltweit gekrönt, sowohl in China als auch in Europa.
Während die Autobranche dem Preisdruck aus China standhalten muss, kommt die Immobilienbranche aufgrund der gestiegenen Zinsen nicht in Schwung. Anfang 2024 befindet sich die Branche in Wartestellung, denn die Zinsen sollen irgendwann im Laufe des Jahres wieder sinken. Bis das eintritt, werden Immobilienkäufe nicht getätigt, um später von besseren Konditionen zu profitieren. Der Markt muss sich also auf eine Geduldsprobe einstellen. Und auch wenn die Erholung dann eintritt, erwarten Ökonomen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln keine sprunghafte Rückkehr zum Stand von 2021, wie es im Wohnbarometer von Februar heißt.
Chemieindustrie leidet enorm unter Energiekosten
In der Chemieindustrie sind die Probleme aber noch tiefgreifender. Dort sind es nämlich vor allem die Energiekosten, die den Unternehmen zu schaffen machen. Diese energieintensiven Betriebe fordern daher schon seit Beginn der Energiekrise eine Entlastung seitens der Bundesregierung, sowie eine Perspektive auf bessere Bedingungen in der Zukunft. Denn in den USA und China profitiert die Konkurrenz von deutlich niedrigeren Energiepreisen – unter anderem, weil sie ihre Energie nicht importieren müssen. In Deutschland wird diese Unabhängigkeit mittels einer erneuerbaren Energieinfrastruktur erst jetzt aufgebaut. Es wird noch Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte dauern, bis sich das auf die Energiepreise hierzulande niederschlagen wird.
In der WirtschaftsWoche ergänzt BCG-Chemieexperte Marcus Morawietz, dass die Chemiebranche daran leidet, dass ihre wichtigsten Abnehmer ebenfalls in der Krise stecken: „Die wichtigsten Abnehmer für chemische Produkte sind die Autoindustrie und der Bau – und damit Branchen, die selbst unter erheblichem Druck stehen“. Die aktuelle Krise bedeute aus seiner Sicht „einen strukturellen, fast schon tektonischen Umbruch“ für die Chemieindustrie. „Die Gefahr ist groß, dass Chemieunternehmen abwandern, oder ihre Geschäfte in Deutschland herunterfahren.“
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Brandbrief an die Regierung: Transformationskommission gefordert
Vor wenigen Tagen haben führende deutsche Unternehmen deshalb auch – nochmal – dafür plädiert, dass die Politik alles dafür tut, um die Transformation der Wirtschaft schnell voranzutreiben. Zu den Unterzeichnern gehören etwa die Deutsche Telekom, der Energiekonzern Eon, Ikea Deutschland, Miele, Otto und Puma, Thyssenkrupp oder Wacker Chemie. In dem Appell mit dem Titel „Die Transformation als Jahrhundertprojekt“ heißt es, das wirtschaftliche Überleben des Standorts Deutschland hänge auch davon ab, „ob wir das Ziel der Klimaneutralität erreichen“. Nötig sei daher ein Schulterschluss der demokratischen Parteien, „der langfristige Transformationsprozesse und Investitionsentscheidungen der Wirtschaft ermöglichen muss“.
Initiiert hat den gemeinsamen Brief die Stiftung KlimaWirtschaft. Die Unternehmen forderten die Bundesregierung auf, eine Transformationskommission einzuberufen.
Zu ihren Forderungen gehören wettbewerbsfähige Energiepreise und eine Weiterentwicklung der Schuldenbremse sowie eine vollumfänglich digitalisierte Verwaltung. Außerdem brauche die Wirtschaft einen Transformations- und Energiekonsens aller demokratischer Parteien, mehr staatliche und private Investitionen in die Klimaneutralität und einen sozialverträglichen Hochlauf grüner Märkte.
Mit Material von AFP