Klassische Anlagestrategien: Buy-and-Hold im Reality Check

Bullenmärkte sind Phasen anhaltender Kursanstiege. Treiber solcher Aufschwünge sind neben Liquidität und Konjunktur oft investitionsgetriebene Booms in einzelnen Branchen. Heute prägt das Thema Künstliche Intelligenz (KI) die Gewinnerlisten: Ein kleiner Kreis KI-exponierter Unternehmen trug in den Jahren 2023 und 2024 einen überproportionalen Teil der Indexrenditen: Allein der Entwickler von Grafikprozessoren und Chipsätzen, Nvidia, stellte im Jahr 2024 als Einzelwert über ein Drittel der Gewinne im US-amerikanischen S&P 500.

Ist dies ein gutes Umfeld für klassische Buy-and-Hold-Ansätze, also solche Strategien, die Wertpapiere zum langfristigen Vermögensaufbau über einen Anlagehorizont von mehreren Jahren (oder sogar Jahrzehnten) halten? Zur Beantwortung ist ein Vergleich der aktuellen Lage mit früheren Marktphasen hilfreich. 

Wann Buy-and-Hold weniger gut funktioniert

Buy‑and‑Hold profitiert von Zinseszinseffekten, niedrigen Kosten und steuerlicher Effizienz. Historisch gab es aber auch magere Aktienjahre, wie etwa in den späten 1960ern bis frühen 1980ern. Schwache reale Renditen in einem Umfeld hoher Inflation – speziell in den USA – kennzeichneten diese Marktphase. In Europa verbuchte hingegen der Euro Stoxx 50 sein historisches Hoch im Jahr 2000. Es dauerte knapp ein Vierteljahrhundert (Februar 2025), bis dieses Hoch wieder überschritten wurde. Häufige Ursachen für diese Schwächephasen: Hohe Einstiegsbewertungen, themengetriebene Blasen sowie Zins- beziehungsweise Inflationsschocks.

Nach Übertreibungen folgt oft ein „Bust“: Überinvestitionen führen zu schlechter Kapitalallokation und enttäuschten Umsatzerwartungen. Historische Beispiele sind die Telekom‑/Glasfaser‑Überkapazitäten um das Jahr 2000 sowie investitionsgetriebene Öl‑Zyklen in den 1970ern.

Der aktuelle Blick auf die Aktienmärkte

ETF‑orientierte Buy‑and‑Hold‑Anleger sollten prüfen, ob ihre Allokation im aktuellen Umfeld noch angemessen positioniert ist. Der Aktienindex MSCI World, der die Kursentwicklung von rund 1500 Unternehmen aus 23 Industrieländern abbildet, ist ungewöhnlich konzentriert: Die Top‑10‑Titel vereinen rund 25 Prozent der Indexgewichtung. Gleichzeitig entfallen etwa 72 Prozent des Index auf die USA – ein historisch hoher Anteil.

Die Unternehmen im US-Markt sind hoch bewertet. Das Shiller-CAPE (Cyclically Adjusted Price-to-Earnings Ratio) misst das Verhältnis des aktuellen Aktienkurses zum durchschnittlichen inflationsbereinigten Gewinn der letzten zehn Jahre. Beim S&P 500 liegt der Wert aktuell bei rund 38. Dies ist deutlich über dem historischen Durchschnitt und nahe den Rekordwerten um das Jahr 2000. KI bleibt zwar die bedeutendste technologische Entwicklung seit dem Internet und zahlreiche US‑“Megacaps“ profitieren davon. Die Breite dieser Marktperformance ist jedoch begrenzt.

Ein Blick auf Sub‑Indizes zeigt zudem, dass Technologiewerte im laufenden Jahr nicht durchgehend die besten Performer waren. Die Branchen Aerospace & Defense sowie Goldminen lagen 2025 zeitweise deutlich vorn, obwohl beide Segmente nur einen kleinen Anteil am MSCI‑World‑Universum ausmachen. Für Buy‑and‑Hold‑Anleger ist die kurzfristige unterschiedliche Performance einzelner Sektoren zwar grundsätzlich zweitrangig. Aber: Die Abhängigkeit von bestimmten Branchen und das Diversifikationsdilemma im MSCI World sind nicht von der Hand zu weisen: Künftige Renditen hängen stark vom Erfolg weniger, überwiegend US‑amerikanischer Unternehmen und einer anhaltenden Outperformance KI‑naher Titel ab.

Langes Festhalten an Einzelwerten: „Never Sell“

Never Sell“, also ein Asset grundsätzlich nie zu veräußern, hat sich ähnlich wie „Buy-the-Dip“ (Kaufen nach Kursrückgängen) in der Börseneuphorie der vergangenen Jahre quasi als Meme etabliert. Angesichts der raschen Erholungen nach Rückschlägen – etwa Corona-Pandemie, Markteinbruch 2022 oder dem jüngsten Zollschock – zeigen sich viele Privatanleger risikofreudig (‚risk-on‘) und setzen auf die Aktienmärkte.

Eine vielzitierte Studie des Finanzwissenschaftlers Hendrik Bessembinder legt nahe: Fast die Hälfte aller US-Aktien erzielt über ihre Lebenszeit weniger Erträge als kurzfristige Staatsanleihen. Und: Nur rund vier Prozent der Titel verantworten den gesamten Nettowertzuwachs des US‑Aktienmarkts. Bessembinder hat dafür einen Zeitraum von 90 Jahren (1926 bis 2016) analysiert.

Folgt man Bessembinders Argumentation, dann steigen die meisten Unternehmen zwar eine Zeit lang, geben später jedoch nach und underperformen langfristig risikoarme Alternativen. „Never Sell“ funktioniert daher ex ante nur bei sehr wenigen Ausnahmetiteln. Für Privatanleger ist eine breite Diversifikation meist sinnvoller, als den jüngsten Höhenfliegern hinterherzulaufen. Zumal die Stars eines abgelaufenen Bullenmarkts in den Folgejahren häufig zu den Underperformern zählen. 

Fazit und Ausblick: Der feine Unterschied

Buy‑and‑Hold heißt, ein diversifiziertes Portfolio über Länder und Sektoren zu halten und regelmäßig, aber maßvoll anzupassen. „Never Sell“ kann bei Einzeltiteln hingegen gefährlich sein und sollte nicht als Dogma verstanden werden. Beobachten Sie bei Ihren Investments daher, ob sich deren ursprüngliche „These“ grundlegend geändert hat („Thesis Check“). Gemeint ist damit: Systematische Überprüfung, ob die ursprünglichen Annahmen und Gründe für eine Investition weiterhin gültig sind.

Sehr konzentrierte Indizes erfüllen Diversifikationsansprüche nur bedingt. Hilfreich ist daher ebenfalls, auf ein diszipliniertes Rebalancing zu achten. Dies bedeutet, Portfolio-Struktur und Vermögensverteilung regelmäßig im Blick zu haben und das geplante Risiko-Rendite-Profil konstant zu halten (wenn erforderlich durch Umschichtungen). 

Wer die Dominanz weniger US‑Mega‑Caps reduzieren möchte, kann Alternativen wie den MSCI World Equal Weighted-Index prüfen oder gezielt untergewichtete Teile im Portfolio mittels aktiv gemanagter Fonds oder Sektor-ETFs kompensieren.

Martin Hermann, CFA, ist seit 2012 CFA-Charterholder und Mitglied des German Advocacy Committee der CFA Society Germany. Im Asset Management von Berenberg leitet er den Berenberg Global Focus Fund und verantwortet die globale Aktienstrategie „Equity Growth“. Zuvor war er Portfoliomanager bei Allianz Global Investors.

Über die Kolumne „Finanzen. Klartext. Verstanden“

Für Privatanleger lohnt sich oftmals ein Blick darauf, wie professionelle Investoren den Markt einschätzen, mit neuen Entwicklungen der Finanzbranche umgehen und ihre Portfolien ausrichten. In dieser Kolumne schreiben Investmentexperten der CFA Society Germany alle 14 Tage für Focus Online. Der Verband setzt sich mit rund 3.000 Mitgliedern aktiv für Finanzbildung in Deutschland ein.