Merz will den Acht-Stunden-Tag abschaffen: Sind wir Deutsche wirklich so faul?
Merz will Acht-Stunden-Tag abschaffen – doch Vergleich bringt überraschende Erkenntnis
Bundeskanzler Friedrich Merz will den Acht-Stunden-Tag kippen. Sind Deutsche wirklich zu arbeitsscheu? Ein Faktencheck zeigt Überraschendes.
Berlin – Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) fordert drastische Änderungen am Arbeitszeitgesetz und stellt den Acht-Stunden-Tag infrage. Laut Merz müsse in Deutschland „wieder mehr und vor allem effizienter“ gearbeitet werden, wie er immer wieder betont – zum Wohl des Wirtschaftsstandorts. Doch sind die Deutschen tatsächlich so arbeitsscheu, wie es politische – teils populistische – Stimmen immer wieder suggerieren? Ein Blick auf aktuelle Zahlen und Expertenmeinungen zeigt: Die Realität ist deutlich komplexer.
Arbeitszeit im EU-Vergleich: Deutsche arbeiten weniger Stunden, aber länger bis zur Rente
Laut Daten des Statistischen Amtes der Europäischen Union Eurostat arbeiteten Erwerbstätige ab 15 Jahren in Deutschland im Jahr 2024 durchschnittlich 34,3 Stunden pro Woche. Damit liegt Deutschland europaweit auf einem der letzten Plätze, nur Dänemark und die Niederlande arbeiten noch weniger pro Woche.
Doch diese Zahlen täuschen, denn sie berücksichtigen nicht das gesamte Arbeitsleben. Tatsächlich arbeiten Deutsche durchschnittlich 40 Jahre lang – fast drei Jahre länger als der EU-Durchschnitt. Nur fünf EU-Länder weisen eine längere Lebensarbeitszeit auf, Spitzenreiter sind die Niederländer mit 43,8 Jahren. Allerdings relativiert sich dieser Eindruck bei genauerem Hinsehen. In Deutschland beträgt die geschätzte Lebensarbeitszeit insgesamt 52.662 Stunden. Zum Vergleich: Der EU-Durchschnitt liegt bei 57.342 Stunden, Spitzenreiter Estland sogar bei 71.331 Stunden. Nur in Luxemburg arbeiten Menschen im Laufe ihres Lebens noch weniger als in Deutschland.
Teilzeit in Deutschland: Das Problem liegt nicht in der Faulheit, sondern im System
Rainer Dulger, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), widerspricht der These, die Deutschen seien arbeitsscheu. Laut Dulger sei das eigentliche Problem ein System, das Leistung nicht belohnt, sondern bestraft – besonders für Frauen. „Egal wie viele Stunden sie arbeiten – am Monatsende bleibt nach Abzügen nicht viel übrig“, kritisiert der BDA-Präsident im Gespräch mit der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ). Die hohe Abgabenlast von fast 48 Prozent für Durchschnittsverdienerinnen und -verdiener führe dazu, dass sich Mehrarbeit kaum lohne.
Dulger fordert daher eine Reform des Arbeitszeitgesetzes. Besonders im Kontext der Digitalisierung sei es notwendig, flexiblere Arbeitszeiten zu ermöglichen. „Wenn jemand abends noch einmal schnell nach acht Stunden im Büro mit einem Geschäftspartner an der Westküste der USA telefoniert, sollte das unproblematisch sein“, erklärt Dulger gegenüber der NZZ. Er kritisiert auch die verpflichtende Arbeitszeiterfassung, die vor allem in verantwortlichen Positionen als „übergriffig“ empfunden werde. Statt Misstrauen brauche es mehr Vertrauen in die Beschäftigten.
Deutschlands ungleiche Steuerpolitik: Hohe Abgaben belasten Arbeitnehmer
Die Diskussion um den Acht-Stunden-Tag ist eng mit der Steuerpolitik verbunden. Eine aktuelle Stellungnahme des Netzwerks Steuergerechtigkeit kritisiert die geplanten Steuersenkungen der Bundesregierung. Diese seien ungezielt und würden vor allem großen Unternehmen zugutekommen. Laut einer Meta-Analyse aus dem Jahr 2022 haben Steuersenkungen kaum positive Effekte auf Wirtschaftswachstum oder Beschäftigung. Stattdessen sollten gezielte Investitionen in Bildung, Infrastruktur und Digitalisierung gefördert werden, um nachhaltige Wachstumsimpulse zu setzen.
Die hohe Steuerlast belastet insbesondere Geringverdienerinnen und Geringverdiener. Dulger betont, dass es wieder echte Unterschiede zwischen Erwerbstätigen und Empfängern von Transferleistungen geben müsse. Eine Verkäuferin, die 40 Stunden pro Woche arbeite, müsse am Monatsende deutlich mehr verdienen als jemand ohne Beschäftigung. Steuerliche Entlastungen sollten daher gezielt bei kleineren und mittleren Einkommen ansetzen, anstatt Großkonzerne weiter zu bevorzugen.
Wirtschaftsmotor Steuersystem: Mehr Netto vom Brutto statt mehr Stunden auf der Stechuhr
Die Forderung von Merz nach Abschaffung des Acht-Stunden-Tages trifft auf heftige Kritik, da sie einseitig die Verantwortung auf Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer abwälzt. Tatsächlich zeigt sich, dass nicht die Arbeitsmoral der Deutschen das Problem ist, sondern ein System, das Leistung nicht ausreichend belohnt und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit hohen Abgaben belastet.
Laut Dulger müsse die Politik endlich dafür sorgen, dass sich Arbeit wieder lohnt. Dazu gehöre auch, Bürokratie abzubauen und echte Anreize für Mehrarbeit zu schaffen. Zwar sind erste steuerliche Anreize für Mehrarbeit im Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD bereits verankert – wörtlich heißt es: „Wir stellen umgehend Überstundenzuschläge steuerfrei, die über die tariflich vereinbarte beziehungsweise an Tarifverträgen orientierte Vollzeitarbeit hinausgehen.“
Ob dies jedoch ausreichend sein wird, mehr Arbeitsanreize zu schaffen, um den steigenden Lebenshaltungskosten (Miete, Lebensmittel, Energie) entgegenzuwirken, ist fraglich. Nicht umsonst stieß Merz Aussage „Mit Vier-Tage-Woche und Work-Life-Balance werden wir den Wohlstand unseres Landes nicht erhalten können“, beim Wirtschaftsrats der CDU Mitte Mai 2025 auf heftige Kritik. Kurz gesagt: Die Debatte um den Acht-Stunden-Tag und die Arbeitsmoral der Deutschen greift zu kurz. Deutschland hat nicht in erster Linie ein Problem mit der Arbeitszeit, sondern mit den Rahmenbedingungen. Und faul sind wir schon mal gar nicht. (ls)