Geht Putins Kalkül doch auf? Ukraine-Soldaten alarmieren – „Man hat keine Kraft mehr“

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Ukrainische Soldaten berichten im Kampf gegen Russlands Invasion von Erschöpfung und mangelnder Unterstützung. Auch Experten schlagen Alarm.

Awdijiwka – War das seine nächste Drohung? Während Wladimir Putin tausende russische Soldaten bei Awdijiwka im Donbass in den Tod schickt, besuchte er am Dienstag (5. Dezember) zeitgleich Pjatigorsk.

Ukraine-Krieg: Warnungen vor Wladimir Putins Regime nehmen im Westen wieder zu

Die mit knapp 140.000 Einwohnern eigentlich unbedeutende Stadt liegt nur knapp 100 Kilometer von der Grenze zu Georgien entfernt, was die Visite des Kreml-Autokraten im äußerten Süden Russlands bedeutender macht. Schließlich warnen die Georgier seit dem völkerrechtswidrigen Überfall auf die Ukraine vehement vor dem riesigen Nachbarn.

Sie sind nicht die Einzigen, die das tun. Auch in der internationalen Politik nehmen die eindringlichen Warnungen vor Putins Regime in der Vorweihnachtszeit merklich zu. Dasselbe gilt im Ukraine-Krieg für ungewöhnlich öffentliche Klagen ukrainischer Soldaten von der Front. Als Putins Kalkül gilt, die Ukrainer und den Westen zu zermürben. Geht sein brutaler Ansatz auf?

Autokratischer Kreml-Machthaber: Russlands Wladimir Putin.
Autokratischer Kreml-Machthaber: Russlands Wladimir Putin. © IMAGO/Sergei Karpukhin

„Wir sollten Angst davor haben, dass Russland diesen Krieg gewinnt, dass Putin diesen Krieg gewinnt. Denn dann stehen wir vor einer völlig neuen Sicherheitslage in Deutschland“, sagte Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) am Dienstagabend im „heute journal“ des ZDF: „Unsere Verantwortung ist, auf dem Schlachtfeld und im Kriegsgeschehen eine Situation herbeizuführen, dass Putin erkennt, er kann diesen Krieg nicht gewinnen und deshalb an den Verhandlungstisch kommt.“

Wladimir Putin: Boris Pistorius warnt eindringlich vor Russland-Autokrat

Sollte Putin dagegen diesen Krieg gewinnen, meinte der SPD-Minister, „sind Georgien und Moldawien in Gefahr. Und das Baltikum könnte ebenfalls folgen. Dann würden wir über einen Bündnisfall reden“. Die europäische Rüstungsindustrie liefere Kiew, „was wir können“, und sie fahre „die Kapazitäten hoch“. Es gebe aber „das Problem, dass die Rüstungsindustrie in bestimmten Bereichen nicht so schnell liefern kann“, erzählte der 63-jährige Niedersachse: „Wir reden über ein Russland, das trotz Sanktionen weiter produziert, wenn auch nicht das hochmodernste Material.“ Es sei nicht so, dass für die russischen Streitkräfte nichts nachkäme, meinte er.

Wir sollten Angst davor haben, dass Russland diesen Krieg gewinnt, dass Putin diesen Krieg gewinnt. Denn dann stehen wir vor einer völlig neuen Sicherheitslage in Deutschland.

„Sie können davon ausgehen, dass das in den nächsten Monaten besser wird“, sagte Pistorius dagegen ZDF-Journalistin Marietta Slomka über europäische Verpflichtungen: „Wir werden allein aus Deutschland fast 200.000 Schuss Munition (für Artillerie, d. Red.) liefern.“ Auf dem Schlachtfeld sind die Ukrainer dennoch in eine „Sackgasse“ geraten, wie es Oberbefehlshaber Walerij Saluschnyj formulierte.

Exemplarisch: Awdijiwka droht die Einkesselung. „Sie greifen die ganze Zeit an. Wir verlieren sehr viele Soldaten. Man hat keine Kraft mehr, gegen sie zu kämpfen. Sie beschießen uns mit Artillerie und mit Drohnen“, schilderte ein verwundeter Soldat dem ZDF. Ein anderer Soldat erzählte von fehlendem Nachschub und mangelhafter Ausrüstung.

Ukrainische Armee: Russlands Truppen machen am Dnipro Druck

„Hier sollten mehrere Brigaden stationiert werden, nicht einzelne Kompanien – wir haben einfach nicht genug Männer“, erklärte der Soldat der BBC zur Lage im südlichen Delta des riesigen Flusses Dnipro. Offenbar ist die Situation der ukrainischen Armee dort brisanter als von Kiew kommuniziert. „Wir haben einen Großteil unserer Ausrüstung selbst bezahlt – Generatoren, Powerbanks und warme Kleidung gekauft. Jetzt, wo der Frost kommt, wird es nur noch schlimmer – die wahre Situation wird vertuscht“, sagte er dem britischen Sender.

Ein ukrainischer Soldat wird unweit der Front bei Awdijiwka behandelt.
Ein ukrainischer Soldat wird unweit der Front bei Awdijiwka behandelt. © Screenshot ZDF Mediathek

„Als wir am Ufer (des Dnipro bei Cherson, d. Red.) ankamen, wartete der Feind. Die Russen, die wir gefangen nehmen konnten, sagten, ihre Streitkräfte seien über unsere Landung informiert worden, sodass sie bei unserer Ankunft genau wussten, wo sie uns finden könnten. Sie warfen alles auf uns – Artillerie, Mörser und Flammenwerfer. Ich dachte, ich würde nie rauskommen“, erzählte er: „Die gesamte Flussüberquerung steht unter ständigem Beschuss. Ich habe gesehen, wie Boote mit meinen Kameraden an Bord nach einem Treffer einfach im Wasser verschwanden.“

Carlo Masala im „heute journal“ des ZDF: Ukrainische Truppen sind erschöpft

Es sei ein Punkt erreicht, „in dem große Teile der ukrainischen Truppen durchaus erschöpft sind. Die Möglichkeit der Rotation ist kaum gegeben, tageweise sind Truppenteile nur bis zu 60 Prozent befüllt. Das ist eine irrsinnig große Belastung“, erklärte Militärexperte Prof. Carlo Masala von der Universität der Bundeswehr München dem ZDF. Auch andere Experten mahnen: Dr. Christian Mölling von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) rät eindringlich, die Ukrainer mit den Voraussetzungen für eine neue Offensive 2024 auszustatten. Ein Zögern könnte verheerende Auswirkungen für Europa haben – auch für Deutschland.

„Man muss relativ klar sagen, dass uns die Konsequenzen, wenn wir der Ukraine nicht helfen und damit weiterhin unsere eigene Sicherheit gefährden, wahrscheinlich schon in fünf oder sechs Jahren ins Haus stehen werden“, erklärte Mölling jüngst dem „heute journal“. „Dann geht es nicht um eine nukleare Eskalation gegen Kiew, sondern um eine nukleare Eskalation, die möglicherweise Berlin ins Zentrum rückt.“ Während die Regierung in Kiew zu eigenen Verlusten schweigt und stattdessen die ukrainische Luftwaffe Videos zu waghalsigen Flugmanövern verbreitet, hängt viel von den USA ab.

Wladimir Putin: US-Sicherheitsberater warnt vor Vernachlässigung der Ukraine

Die finanziellen Hilfen der USA laufen Ende des Jahres aus, während die Republikaner im Kongress Mittel blockieren. In wichtigen Swing States liegt der Republikaner Donald Trump in Umfragen zudem vor Amtsinhaber Joe Biden. Es geht um ein Hilfspaket über 81 Milliarden US-Dollar. „Ich glaube, dass jeder Kongressabgeordnete, der nicht für die Unterstützung der Ukraine stimmt, es Putin erleichtert, sich durchzusetzen“, erklärte der Nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan. „Eine Stimme gegen die Unterstützung der Ukraine, ist eine Stimme für Putins strategische Position.“ (pm)

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