Spahn-Krise: „Unverantwortliche Situation“ – CDU-Fraktionschef nach Verfassungsrichter-Chaos unter Druck

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Die gescheiterte Wahl der Verfassungsrichter sorgt für wachsende Spannungen – Jens Spahn gerät zunehmend unter Druck und wird für das Debakel mitverantwortlich gemacht.

Berlin – „Ein Autounfall in Zeitlupe“ nennt Dennis Radtke, Chef des CDU-Sozialflügels, die Ereignisse rund um die Wahl der Verfassungsrichter, gegenüber der Nachrichtenagentur AFP. Angesichts des anhaltenden Streits um das Verfahren wächst auch innerhalb der Unionsfraktion der Unmut über das Vorgehen der Parteispitzen von CDU und SPD.

Radtke mahnt weiter, man solle in den Fraktionsräumen und Parteizentralen die Balkendiagramme vom Wahlabend ausdrucken und als Mahnung aufhängen – zur Erinnerung daran, „dass das Eis verdammt dünn ist, auf dem wir tanzen“. Die aktuelle politische Lage gleiche einer „Sturmflut“, in der sich die Koalition bewähren müsse.

Spahn im Kreuzfeuer: Eine „unverantwortliche Situation“ und ein „Desaster“

Der Bundestag sollte am 11. Juli eigentlich über die Neubesetzung von drei Richterposten beim Bundesverfassungsgericht entscheiden, doch die Unionsfraktion forderte kurzfristig die Absetzung der Wahl der SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf.

Das Vorgehen führte zu einem Eklat in der schwarz-roten Koalition und einer Verschiebung der Richterwahl. Britta Haßelmann, Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, sprach von einer „unverantwortlichen Situation“ und einem „Desaster“, wobei sie Jens Spahn direkt dafür verantwortlich machte. Viele Beobachter – nicht nur die Opposition – sehen das Scheitern der Wahl als eine Niederlage für Jens Spahn.

Politisches Desaster: CDU und SPD streiten um Richterwahl

Der Umgang mit der Richterwahl hat in der Politik an vielen Stellen für großen Unmut gesorgt. Thomas Bareiß (CDU) äußerte gegenüber dem Tagesspiegel, ein „ganz ungutes Störgefühl“ angesichts der plötzlich auftauchenden Plagiatsvorwürfe gegen Brosius-Gersdorf. Der Bundestagsabgeordnete betonte, dass er gerade an die Christdemokraten in der Frage nach den Plagiatsvorwürfen einen hohen Anspruch habe und diese besser hätten geprüft werden müssen.

Bareiß kritisierte weiter „beide Seiten“ des Koalitionsbündnisses, welche „sich in den letzten Wochen nicht gerade mit Ruhm bekleckert“ haben. Insbesondere die schnelle Ankündigung der SPD, an ihrer nominierten Kandidatin festzuhalten, sei „kein kluger Schnellschuss“ gewesen, der das weitere Verfahren belaste und der Kandidatin selbst schade.

Netzwerk Spahn: Kulturkampf gewinnt gegen Loyalität zu Merz

Die „Jagdlust“ – wie die Zeit es nennt – des von der CDU/CSU-Fraktion sowie rechten Medien und Influencern geführten Kulturkampfes gegen Brosius-Gersdorf entfaltete binnen weniger Tage eine Eigendynamik, die größer war als der Fraktionszwang oder die Loyalität zum Kanzler.

Auch medial kommt der Fraktionsvorsitzende nicht gut weg: In einem Kommentar der Zeit wird beschrieben, dass Jens Spahn, genau wisse genau, was er tue und das Spiel mit rechtspopulistischen Energien in vollem Bewusstsein spiele. Friedrich Merz andererseits, nähre den „Wolf“ (den Rechtspopulismus) nur unabsichtlich, weil er die Wirkung seiner politischen Manöver nicht überblicke. Spahn hingegen glaube das kontrollieren zu können, womit er hantiere.

Jens Spahn muss einen klaren Richtungsschuss an seine Fraktion abgeben – oder braucht er ihn gar selbst? (montage) © Katharina Kausche/picture alliance/dpa (montage)

Koalitionsstreit um Richterwahl – Spahn unter Druck

Die gescheiterte Richterwahl ist nicht das erste Mal, dass Jens Spahn in seiner Rolle als Fraktionschef der Union unter Druck gerät. Seine Aufgabe ist es, die eigenen Abgeordneten auf Kurs zu halten und Konflikte zu lösen. Doch er schien überrascht, als die Debatte für die Koalition schieflief.

Schon vor der Wahl im Bundestag gab es politische Vorbehalte gegen die SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf in den Reihen von CDU/CSU. Dies lag unter anderem an ihrer liberalen Haltung zum Abtreibungsthema sowie an ihrer Position zur Impfpflicht in der Corona-Pandemie. Die Unionsfraktion berief sich zudem auf Plagiatsvorwürfe, die nach der Wahl jedoch als „konstruiert“ kritisiert wurden. Spahn soll die Debatte in der Fraktion zu lange haben laufen lassen, ohne zu intervenieren oder zu steuern. Als er dann Widerstand in den eigenen Reihen wahrnahm, verbreitete die Union „zweifelhafte Mutmaßungen“ über angebliche Plagiatsvorwürfe gegen die Professorin, was das Vertrauen der SPD in ihren Koalitionspartner untergraben haben soll, wie die Berliner Morgenpost berichtet.

Es war bereits das zweite Mal, dass Spahn es nicht geschafft hatte, die Reihen zu schließen. Schon bei der Kanzlerwahl von Friedrich Merz war dieser im ersten Wahlgang gescheitert. Die Wahl war Spahns erste Feuerprobe als Fraktionschef – und sie ging gründlich daneben. Darüber hinaus steht der Ex-Merkel Minister wegen „überteuerter Masken“ aus seiner Zeit als Gesundheitsminister unter Druck.

Maskendeals und Machtspiele: Spahn bleibt im Fokus

Ein Gutachten stellte fest, dass Spahn entgegen dem Rat seiner Fachabteilungen zu Beginn der Pandemie in Beschaffungen von damals knappen Masken eingestiegen war, zu festen hohen Preisen ohne weitere Verhandlungen. Dem Bund drohen aus Rechtsstreitigkeiten darüber noch Milliardenrisiken.

Spahn verteidigt sich mit Verweis auf die Notlage in der Pandemie. Die Debatte um die Maskenkäufe hält jedoch an. Spahn, ein politisches Urgestein, seit 2002 im Bundestag und nach Merz der mächtigste Mann in der Union, gilt als machtbewusst und hoch ambitioniert, mit Zielen bis hin zum Kanzleramt. Er normalisierte zudem das Verhältnis zur AfD, indem er erklärte, man müsse die AfD im Parlament „wie jede andere Oppositionspartei“ behandeln, was viele in der Union irritierte.

Parlamentsgeschäftsführer der Union rät zum „runterkommen“

Unionsparlamentsgeschäftsführer Steffen Bilger (CDU) stellte gegenüber AFP Gespräche in der Koalition über das weitere Vorgehen in Aussicht. Er schlug vor, dass „erstmal alle etwas runterkommen“, bevor man „in Ruhe mit der SPD das weitere Verfahren bespricht“.

Auch Bilgers CSU-Stellvertreter Reinhard Brandl betonte, dass Union und SPD das gemeinsame Ziel eint, ein „gemeinsames Kandidaten-Paket“ für das höchste deutsche Gericht durch den Bundestag zu bringen. Dazu würden die „notwendigen Gespräche“ in der Koalition geführt, und die Koalitionäre sollten „jetzt erstmal einen Gang runterschalten“. (kox)

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