Krise bei Merz-Koalition wegen Richterwahl: Scharfe Worte der SPD – Spahn im Kreuzfeuer der Opposition

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Harte Reaktionen auf Richter-Eklat: Merz-Koaliton eine „Katastrophe“ – Spahn hat „Fraktion nicht im Griff“

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Was als formeller Akt galt, wird zur Machtdemonstration. Die geplante Wahl von Verfassungsrichtern gerät zum politischen Zankapfel – die Union blockiert eine SPD-Kandidatin.

Berlin – Eigentlich ist es eine Routineentscheidung. Doch dieses Mal entwickelt sich die Wahl der neuen Verfassungsrichter zur Kontroverse – auch innerhalb der Reihen der schwarz-roten Koalition. Der Bundestag nahm die Entscheidung für Freitag (11. Juli) sogar kurzfristig aus der Tagesordnung. Die Reaktionen fallen scharf aus – und offenbaren Spannungen zwischen den Fraktionen.

Vertagte Entscheidung im Bundestag: Union blockiert SPD-Kandidatin wegen „Extrempositionen“

Eigentlich wollte der Bundestag am Freitag drei neue Verfassungsrichterinnen und -richter ernennen. Doch das wurde nun vertagt. Drei Personen standen zur Wahl: Die Union schlug Günter Spinner vor, einen Richter vom Bundesarbeitsgericht. Die SPD nominierte die Juraprofessorinnen Frauke Brosius-Gersdorf und Ann-Katrin Kaufhold. Unklar war kurz vor den geplanten Wahlen allerdings, ob es für die Kandidaten genügend Stimmen geben würde. Insbesondere die SPD-Kandidatin Brosius-Gersdorf war in der Union umstritten. Dort attestiert man ihr „gesellschaftspolitische Extrempositionen“, wie CSU-Politiker Stephan Pilsinger IPPEN.MEDIA sagte.

Ihre Haltungen „unter anderem zur Impfpflicht, zur Menschenwürde erst ab der Geburt sowie ihre Haltung zur Zulässigkeit des Kopftuchs bei Rechtsreferendarinnen trotz anderslautender Rechtsprechung zeigen deutlich, dass sie für mich nicht die nötige Verfassungsbindung und Neutralität für das höchste Gericht mitbringt“, so Pilsinger weiter. Zuletzt gab es gegen Gersdorf auch Plagiatsvorwürfe, weshalb Unionsabgeordnete an ihrer fachlichen Eignung zweifelten, die ursprünglich den Ausschlag für ihre Nominierung gegeben hatte.

Prof. Frauke Brosius-Gersdorf, bundesverfassungsgericht
Frauke Brosius-Gersdorf bei einer Pressekonferenz im April 2024 (Archivbild). © IMAGO/ Metodi Popow

Union in der Kritik: Grüne und Linke zweifeln an Spahns Eignung als Fraktionschef

Die harsche Kritik der Union wiederum bemängelten andere Politiker. „Das Verhalten der Union heute erschüttert mich. Aber vor allem erschüttert es die bisher stabil geglaubten Grundfesten unserer demokratischen Grundordnung“, schrieb die Grünen-Abgeordnete Katrin Göring-Eckardt am Freitag auf der Plattform X. Teilweise hatten sich Vertreter der Unionsfraktionsführung zuletzt dafür eingesetzt, Brosius-Gersdorf trotz Kritik aus den eigenen Reihen zu wählen. „Frau Brosius-Gersdorf ist keine Kandidatin der Union, aber eine respektable Kandidatin der SPD – und ganz sicher keine linksradikale Aktivistin“, sagte etwa CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Offenbar waren diese Bemühungen ohne Erfolg. Die frühere Grünen-Chefin Ricarda Lang fand auf X: „Wenn Jens Spahn nicht gewillt oder in der Lage ist, Mehrheiten in seiner Fraktion zu organisieren, dann sollte er nicht Fraktionsvorsitzender sein.“ Ähnlich äußerte sich auch Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann. Die Fraktion „läuft ihm davon und auch dem Kanzler, und das ist nicht nur ein Ansehensverlust, das beschädigt ihn auch in seiner Autorität als Fraktionsvorsitzender so erheblich, dass ich mich frage, ob er sein Amt ausführen kann.“ Auch Linken-Fraktionsvorsitzende Heidi Reichninnek machte Spahn für das „Chaos“ verantwortlich. Es sei ein „Armutszeugnis“, dass es nicht zur Abstimmung gekommen sei.

Plötzlicher Kurswechsel empört SPD: Union verschiebt Wahl trotz vorheriger Mehrheit

Bundesratspräsidentin Anke Rehlinger (SPD) kritisierte den Umgang mit der SPD-Kandidatin Brosius-Gersdorf. „Ich finde es auch ausdrücklich bedauerlich, wie man hier mit einer Richterin und einer Frau umgeht.“ Es gehe auch um die Reputation eines Verfassungsorgans, des Bundesverfassungsgerichts. „Es ist kein guter Tag für die Demokratie in diesem Land“, kommentierte Dirk Wiese, der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD.

Wiese sprach auch von einer Hetzjagd gegen die Juristin Brosius-Gersdorf. „Von einer Kampagne kann hier keine Rede sein“, wies Stephan Pilsinger indes die Vorwürfe gegen die Union im Gespräch mit IPPEN.MEDIA zurück. Am Montag habe es im Ausschuss noch die nötige Zweidrittelmehrheit gegeben, kritisierte Wiese weiter, am Freitag sollte die Wahl dann aus Sicht der Union wegen Plagiatsvorwürfen verschoben werden. Spannungen innerhalb der schwarz-roten Koalition traten damit offen zutage.

Wie es jetzt weitergeht: Bundesverfassungsgericht muss jetzt Vorschläge liefern

Der Bundestag muss eigentlich innerhalb von zwei Monaten nach Ende einer Amtszeit eines Verfassungsrichters eine Nachfolge wählen. Die Frist dafür ist bereits abgelaufen, doch es gibt eine Regel für genau diese Fälle: Der Wahlausschuss des Bundestags fordert das Bundesverfassungsgericht dann auf, drei Vorschläge zu machen. In einem Fall ist das mit Günter Spinner bereits geschehen, für die zwei weiteren Stellen gibt es noch keine Vorschläge.

Die nächste reguläre Bundestagssitzung ist erst im September. Wenn es keine Sondersitzung gibt, müsste der Wahlausschuss das Gericht bis dahin offiziell um neue Vorschläge bitten. Das Gericht kann sich grundsätzlich Zeit lassen mit Vorschlägen. Wenn es welche macht, hat der Bundestag drei Monate Zeit, jemanden zu wählen. Passiert das nicht, darf der Bundesrat übernehmen – so steht es in der neuen Regelung, die seit Anfang des Jahres gilt (bme/as mit dpa/AFP).

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