Es geht um Waffenstillstand mit Russland - Experte sagt über deutsche Soldaten in Ukraine, was im Wahlkampf niemand ausspricht
Herr Mölling, in zwei Wochen ist Donald Trump erneut Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Kommt nun das von ihm versprochene schnelle Kriegsende in der Ukraine?
Darauf würde ich nicht setzen. Zum einen hängt ein Kriegsende in der Ukraine von vielen Faktoren ab – nicht nur von Donald Trump.
Und zum anderen schwächt Trump seine Aussage ja bereits selbst ab: Vor einigen Wochen sprach er noch von 24 Stunden, in denen er den Krieg angeblich beenden könnte. Nun ist von sechs Monaten die Rede.
Was schließen Sie daraus?
Die Aussage mit den 24 Stunden war sicherlich ein Stück weit dem Wahlkampfmodus geschuldet, in dem Trump sich damals befand.
Aber die Realität des Krieges richtet sich natürlich nicht nach solchen markigen Sprüchen. Insofern nähert sich Trump mit Blick auf seinen Amtsantritt vermutlich schlicht der Realität an.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat trotzdem vor einigen Tagen bekräftigt, er setze Hoffnungen in Trump – und das, obwohl der designierte US-Präsident zwischenzeitlich sogar mit einem Stopp der US-amerikanischen Ukraine-Hilfen drohte. Wie interpretieren Sie das?
Aus Selenskyjs Sicht ist es völlig richtig, sich jetzt auf den nächsten US-Präsidenten zu fokussieren und nicht auf den, der ohnehin bald nicht mehr im Amt sein wird.
Der ukrainische Staatschef passt dabei seine Wortwahl dem an, wie Trump sich selbst gerne sehen möchte: als starken Mann, als jemand, der diesen Krieg beenden kann. Ich denke, es ist durchaus schlau von Selenskyj, Trump in der aktuellen Lage etwas Honig ums Maul zu schmieren.
Das ist alles?
Nicht ganz. In Kiew gibt es durchaus einige, die sagen: Der bisherige US-Präsident Joe Biden hat uns mit seiner oft zögerlichen Art bei den Militärhilfen überhaupt erst in die Situation gebracht, in der wir jetzt sind und in der es weder vor noch zurück geht. Trump ist unberechenbar – vielleicht auch im positiven Sinne.
Können Sie das näher erklären?
Eine der Charakteristika von Trump ist, dass er seine Unkalkulierbarkeit zur Politikform erhoben hat. Sprich: Auch die Russen wissen nicht sicher, wie er tickt. Daraus – gepaart mit seiner großen Macht – schöpft Trump einen enormen politischen Nutzen.
Die ukrainische Armee hat vor knapp einer Woche im russischen Grenzgebiet Kursk überraschend eine neue Offensive gestartet. Ist das ein Versuch, die eigene Verhandlungsposition zu verbessern, solange es noch geht?
Das Ausmaß der Lage in Kursk ist bislang von außen schwer zu beurteilen. Letztendlich wissen wir noch nicht sicher, ob der Zeitpunkt der neuen Offensive wirklich aus politischem Kalkül gewählt wurde oder ob sich für die Ukrainer einfach eine Gelegenheit zum Vorstoß ergeben hat.
Aber zweifelsfrei hilft es Kiew, in dieser Phase der Unsicherheit Verhandlungsmasse in Form von russischem Territorium zu halten oder sogar auszubauen.
Allerdings stoßen auch die Russen weiter vor – vor allem im ostukrainischen Gebiet Donezk, wo sie zuletzt etwa den Ort Kurachowe besetzten.
Die russische Regierung hat, wenn man das überhaupt so bezeichnen kann, den Vorteil, dass es noch eine Vielzahl an Menschen gibt, deren Leben sie für diesen Krieg zu opfern bereit ist.
Russland ist eben keine Demokratie, in der man – wie in der Ukraine– für die Rekrutierung von Kämpfern irgendein Mobilisierungsgesetz durchs Parlament kriegen müsste. Außerdem kämpft die russische Armee ja längst nicht mehr alleine gegen die Ukraine.
Sie meinen die nordkoreanischen Soldaten, die mittlerweile zu Tausenden in der russischen Armee kämpfen sollen?
Ja. Dass nun auch Nordkoreaner für Russland sterben, ist natürlich Wahnsinn, aber aus Kremlsicht zahlt es sich aus. Jeder Meter, der gewonnen wird, ist für Wladimir Putin ein Ausdruck von Erfolg.
Und es trägt dazu bei, dass Moskau seinen bisherigen Kriegsstil, der keine Rücksicht auf hohe Verluste in den eigenen Reihen nimmt, beibehalten will und kann.
Sind ein Einfrieren der Front und damit ukrainische Gebietsverluste am Ende unausweichlich?
Ich möchte dezidiert nicht von Einfrieren sprechen, weil der Begriff impliziert, es gebe ein Problem, dass man kaltstellen und dadurch kontrollieren kann. Das ist aber reine Fantasie. Solche Konflikte können jederzeit erneut aufbrechen, das haben die letzten Jahrzehnte immer wieder gezeigt.
Nichtsdestotrotz ist es natürlich längst kein Geheimnis mehr, dass die Ukraine auf militärischer Ebene Probleme hat – nicht zuletzt aufgrund unzureichender westlicher Hilfen.
Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass bei einigen der Wunsch besteht nach einer taktischen Pause und einer Möglichkeit, sich neu aufzustellen.
"Klar ist, dass Putin in irgendeiner Weise abliefern muss, weil im politischen System Russlands die Gewalt regiert und es für Schwäche kein Verzeihen gibt" Christian Mölling, Militär- und Sicherheitsexperte
Trump hat jetzt ein Treffen mit Putin angekündigt – und auch der Kreml schließt das nicht aus. Aber würde sich die russische Seite überhaupt auf eine Waffenruhe entlang der aktuellen Frontlinie einlassen?
Russlands Gebietsansprüche in der Ukraine gehen deutlich über die aktuell besetzten Gebiete hinaus. Und da der Kreml diese Kriegsziele immer wieder erwähnt, müssen wir erst einmal davon ausgehen, dass alles darunter nicht in seinem Sinne ist. Ganz sicher können wir das aber nicht sagen.
Warum nicht?
Wir wissen nicht genau, was Putin mindestens in der Ukraine erreichen muss, damit er zu Hause politisch überleben kann. In anderen Worten: Es entzieht sich unserer Kenntnis, was er seinen Leuten hinter den Kulissen versprochen hat.
Klar ist nur, dass er in irgendeiner Weise abliefern muss, weil im politischen System Russlands die Gewalt regiert und es für Schwäche kein Verzeihen gibt. Wenn Putin aus Sicht seiner Entourage nicht genug Erfolg hat, dann ist er austauschbar.
Wie soll es vor diesem Hintergrund gelingen, Russland zu Verhandlungen zu zwingen, die nicht in einer Kapitulation der Ukraine enden?
Denkbar wäre etwa, dass Trump und seine Berater eine Alternative aufzeigen, die aus Moskauer Sicht so viel Druck erzeugt, dass Putin und seine Leute sagen: Wenn wir jetzt nicht aufhören zu kämpfen, dann wird der Ertrag dieses Kriegs für uns noch geringer sein.
Wie könnte ein solcher Druck konkret aussehen?
Eine Möglichkeit wäre, dass die USA Russland mit noch größerer Unterstützung der Ukraine drohen, falls Putin nicht einlenkt. Eine andere, dass man den direkten Druck auf Moskau erhöht, zum Beispiel durch Sanktionen. Oder beides, das schließt sich ja gegenseitig nicht aus.
Welche Rolle spielen westliche Waffenhilfen an die Ukraine unmittelbar vor und während möglicher Verhandlungen?
In deutschen Debatten wird mitunter der Eindruck erweckt, man müsse sich entscheiden zwischen Verhandlungen und Militärhilfen. Das ist fast schon weltfremd.
Sechsstellige Zahl an Soldaten für Waffenruhe - auch deutsche?
Inwiefern?
Jeder von uns hat doch schonmal um irgendetwas verhandelt und weiß daher: Es lässt sich leichter verhandeln, wenn ich eine Alternative habe, und deshalb vom Verhandlungstisch auch wieder aufstehen kann. Habe ich keine, wie will ich denn dann meine Interessen durchsetzen?
Auf den Krieg übertragen bedeutet das: Aufstehen kann ich dann, wenn ich auch die Möglichkeit hätte, weiterzukämpfen, und das Gegenüber das auch weiß und es in seine Abwägungen einbeziehen kann. Wenn ich diese Möglichkeit nicht habe, dann werden mir die Bedingungen diktiert – das ist Kapitulation.
"Man kann nicht erst für Frieden werben und dann sagen: Absichern müssen diesen Frieden aber die anderen" Christian Mölling, Militär- und Sicherheitsexperte
Selenskyj betont immer wieder, dass ein nachhaltiger Frieden nur mit starken Sicherheitsgarantien für die Ukraine erreichbar ist. Wie könnten solche Garantien aussehen?
Sollte tatsächlich eine Waffenruhe entlang der Frontlinie geschlossen werden, dann wäre es in erster Linie enorm wichtig, den Bereich gut abzusichern. Dafür wäre sicherlich eine sechsstellige Zahl an Soldaten nötig.
Auch deutsche Soldaten?
Darüber will verständlicherweise gerade niemand öffentlich nachdenken, schließlich sind auch hierzulande gerade alle Parteien im Wahlkampf. Aber natürlich werden in den Verteidigungsministerien verschiedener Länder bereits Szenarien diskutiert, damit man der Politik Optionen aufzeigen kann, wenn diese handeln möchte.
Und klar ist auch, dass sich Deutschland dem nicht entziehen können wird – vor allem nicht, wenn hier in Teilen Friedenswahlkampf gemacht wird.
"Die Unterstützung für Kiew ist eben kein Schaulaufen"
Wie genau meinen Sie das?
Man kann nicht erst für Frieden werben und dann sagen: Absichern müssen diesen Frieden aber die anderen. Das wäre inkonsistent – nicht nur innerhalb Deutschlands, sondern auch gegenüber den Partnern in Europa.
Erwarten Sie nennenswerte Veränderungen in der deutschen Ukraine-Politik, falls der Bundeskanzler ab dem Frühjahr Friedrich Merz heißt?
Ich erwarte keinen gravierenden Kurswechsel, aber hoffe auf entschlossenere Hilfen – übrigens auch, falls der Kanzler weiter Olaf Scholz heißt. Immerhin hätte er dann ein neues Mandat, das ihn nochmal für vier Jahre in Verantwortung bringt.
Natürlich stimmt es, dass Deutschland der Ukraine im Vergleich zu anderen Ländern bereits jetzt sehr viel hilft. Aber die Unterstützung für Kiew ist eben kein Schaulaufen. Es geht doch darum, die Ukraine auf das Podest zu heben, nicht die größten Unterstützer. Dienst für den Frieden heißt, dass am Ende der gerechte Frieden gewinnt.
Von Hannah Wagner
Über den Experten:
Christian Mölling ist Außen- und Sicherheitsexperte und Direktor des Programms „Europas Zukunft“ der Bertelsmann Stiftung. Bis August 2024 war er stellvertretender Direktor des Forschungsinstituts und Leiter des Zentrums für Sicherheit und Verteidigung bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.
Das Original zu diesem Beitrag "„Auch die Russen wissen nicht, wie er tickt“: Beendet Trump den Krieg in der Ukraine, Herr Mölling?" stammt von Tagesspiegel.