Nach islamistischen Anschlägen: Muslime erleben Anfeindungen
Nach den vielen Attentaten durch muslimische Männern in letzter Zeit, unter anderem in München, haben auch die Anfeindungen gegenüber den islamischen Gemeinden zugenommen. Wir haben uns im Landkreis umgehört, wie die Stimmung vor Ort ist.
Landkreis – „Ich habe drei Tage nicht schlafen können“, sagt Bayram Yerli. Im Februar waren Rechtsextremisten des „III. Weg“ vor der Penzberger Moschee aufmarschiert, nachdem sie im Januar bereits Flugblätter in Penzberg verteilt und gegen die islamische Gemeinde Penzberg gehetzt hatten. Sie hätten einem zwar nichts angetan. Aber es sei diese perfide Symbolik, dieses „Wir sind da und beobachten Euch“. Früher, sagt Yerli, hätten sich Rechtsextremisten nicht getraut, vor die Moschee zu ziehen und zu fotografieren. „Es laufen Bilder im Kopf ab: Man denkt, ist das der Anfang? Wie geht es weiter?“
Bayram Yerli ist Deutscher mit türkischen Wurzeln. Er sitzt im Penzberger Stadtrat, war SPD-Chef in Penzberg, Betriebsrat bei HAP und fast 30 Jahre lang Vorsitzender der islamischen Gemeinde Penzberg. Neben der Moschee betreibt er das Lokal „Maida“. Deutschland sei seine Heimat, sagt Yerli. Er habe hier sehr viel Gutes erfahren, er wolle in seinen Möglichkeiten der Gesellschaft etwas zurückgeben. „Und dann kommt jemand und sagt: Du gehörst nicht in diese Gesellschaft. Das ist mehr als eine Verletzung.“
Befürchtung, dass sich jugendliche Muslime isolieren
Die erste und zweite Generation, die nach Deutschland kam, habe noch Verbindungen in ihre Herkunftsländer gehabt, erzählt Bayram Yerli. Die Jugendlichen, die hier geboren und aufgewachsen sind, hätten dagegen mit den elterlichen Heimatländern nichts zu tun. Die aktuelle Situation, solche Vorfälle bedrücken die jungen Leute, es mache sie wütend, sie wüssten nicht, was sie tun sollten, sagt der 54-jährige Familienvater. Die Jugendlichen, fürchtet er, isolieren sich. Es sei traurig, dass den Enkeln der ersten Gastarbeitergeneration suggeriert werde, sie seien hier nicht heimisch. Und, so Yerli, es sei schwer, den Jugendlichen zu erklären, dass diese Worte nicht repräsentativ für Deutschland sind.
Trotzdem: In Penzberg fühlt sich Bayram Yerli wohl. Es herrsche ein gutes Miteinander, ein guter Zusammenhalt. Die Religionsgemeinschaften stünden Schulter an Schulter. Auch von den Parteien kommt Rückhalt. Man dürfe aber nicht verschweigen, dass es auch hier die andere Seite gebe, räumt er ein.
Was ihm Sorgen bereitet, ist die große Politik, sind die Diskussionen vor der Bundestagswahl. Man habe Migration auf Terror und Gewalt reduziert. Man habe nicht differenziert. Bei der AfD sei das nicht anders zu erwarten gewesen. Aber auch die CSU/CSU und seine eigene Partei, die SPD, habe nicht differenziert, sagt Yerli. Und die Medien hätten ihren Beitrag geleistet. Seine Kinder hätten gesagt, sie gehen nicht zur Wahl, weil sie sich von allen Parteien ausgegrenzt fühlen. Yerlis Wunsch: Dass die Politik zu einer sachlichen Diskussion zurückkehrt.
Attentäter seien „irregeleitete Individuen“
„Gott sei Dank“ habe man solche Anfeindungen wie in Penzberg bei der Islamischen Gemeinde Weilheim noch nie erlebt, sagt der Vorsitzende Attila Güven im Gespräch mit der Heimatzeitung. „Und ich bin wirklich schon lange dabei“, so Güven. In große Aufruhr versetzt habe die Mitglieder der Weilheimer Gemeinde aber kürzlich der herrenlose Koffer vor der Schongauer Moschee, die wie die Weilheimer Gemeinde ebenfalls Teil des türkischen DITIB-Verbandes ist. „Wir hatten an dem Tag auch eine große Veranstaltung“, so Güven. Letztlich stellte sich der Koffer in Schongau aber als ungefährlich heraus – denn er war leer. Und damit konnten auch die Weilheimer Muslime wieder aufatmen.
Eine steigende Skepsis in der Gesellschaft gegenüber Moscheen und dem Islam habe er in letzter Zeit durchaus festgestellt, erzählt Güven. Bedingt sei das vor allem durch islamistische Anschläge wie kürzlich in München, begangen von „irregeleiteten Individuen“. Aber: „Hier in Weilheim merken wir davon nichts.“
Überwachungskameras an der Moschee
In Schongau ist die Stimmung bei Muslimen durchaus angespannt, seit es in Penzberg zu der rechtsextremen Hetze gegen den Islam gekommen ist. „Uns gibt der Vorfall auf jeden Fall zu denken“, sagt Hava Sirin, die sich als Dialogbeauftragte bei der Schongauer DITIB-Moschee engagiert und sich aktiv für den offenen Dialog zwischen allen Glaubensgemeinschaften einsetzt. Nicht erst seit der Bundestagswahl habe ihre Gemeinde durchaus Ängste vor einem Erstarken der Rechtspopulisten, sagt Sirin. Das Gute sei, dass man in der islamischen Gemeinde offen über Sorgen sprechen könne. „Niemand ist damit allein.“
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Und Sirin betont auch: „Wir fühlen uns als Muslime in Schongau insgesamt sicher.“ Das liege nicht zuletzt an den Maßnahmen, mit denen die Gläubigen ihre Gotteshäuser schützen. Vor der Moschee hat die DITIB-Gemeinde etwa bereits vor geraumer Zeit Überwachungskameras installiert.
Die Hoffnung der Schongauerin ist, dass sich die Gesamtstimmung im Land schnell verbessert, die Unsicherheit zurückgeht – und damit auch kein Platz mehr für Fremdenfeindlichkeit bleibt. „Ich bin mir sicher, dass viele eine rechtspopulistische Partei gewählt haben, um ihren Frust zu zeigen.“