Propaganda vor der Wahl: Türkei setzt auf „Kaan“ – Umgebaute F-16 ist Erdogans Prestigeobjekt
Der Kampfjet „Kaan“ absolviert seinen Jungfernflug. Vor den Kommunalwahlen in der Türkei soll das Flugzeug vor allem Präsident Erdogan Schub verleihen.
Ankara – Die Türkei möchte ihre eigenen Kampfflugzeuge der sogenannten 5. Generation herstellen. Deswegen zählt der „Kaan“ als Prestigeprojekt der türkischen Verteidigungsindustrie. Am Mittwoch (21. Februar) hob die Maschine erstmals ab.
Der Kaan ist auch eine Alternative zur amerikanischen F-35. Die Türkei wurde allerdings aus dem F-35 Programm ausgeschlossen, nachdem es sich das russische Luftverteidigungssystem S-400 angeschafft hatte. Jetzt hat Ankara sogar Probleme, F-16 Kampfflugzeuge aus den USA zu kaufen.
Umso größer war die Freude bei Präsident Recep Tayyip Erdogan und seiner Regierung. „Heute haben wir einen der stolzesten Tage der türkischen Verteidigungsindustrie erlebt“, schrieb Erdogan auf X und kündigte weitere Tests für den Kaan an. „Ein historischer Tag für die türkische Verteidigungsindustrie! Der türkische Tarnkappen-Kampfjet der 5. Generation hat seinen Jungfernflug erfolgreich absolviert. Wir sind stolz auf alle Beteiligten“, schrieb sein Finanzminister Mehmet Simsek ebenfalls auf X.
Kaan – Westliche Technik, die in der Türkei modifiziert wurde
Doch es gibt auch Kritik an dem Kaan, vor allem weil dieser zunächst nur ein Prototyp ist und auch nicht sehr viel türkische Technik drinsteckt. Der Kaan sei von BAE-Systems aus Großbritannien entworfen worden, seine Software stamme vom französischen Konzern Dassault, klärt der Sicherheitsexperte Özge Kilinc im Gespräch mit fr.de von IPPEN.MEDIA auf. „Die Triebwerke vom Typ F110-GE kommen aus den USA, die auch in den F-16 Kampfflugzeugen eingebaut sind.“ Es seien westliche Technologien in dem Kaan eingebaut, die lediglich in der Türkei modifiziert wurden. Kilic war Chefredakteur der früheren Militärzeitschrift Turkish Defence und Reporter des früheren Branchenmagazins Savunma ve Havacılık.

Derzeit ist der Prototyp noch kein Kampfflugzeug der 5. Generation. Es sei weiterhin auf dem Radarschirm sichtbar und erfülle auch weiterhin nicht die anderen Voraussetzungen dafür, sagt der Experte. „Es ist nicht einfach, gleich ein Kampfflugzeug der 5. Generation herzustellen, wenn man nicht zuvor Kampfflugzeuge der ersten, zweiten, dritten und vierten Generation hergestellt hat. Das sieht alles nach Wahlpropaganda aus.“
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Kaan wird F-16 aus den USA nicht ersetzen können
Zudem werde der Kaan so schnell die vorhandenen und die aus den USA bestellten F-16 nicht ersetzen können. „Bis 2029 sollen schließlich gerade einmal zehn Maschinen hergestellt werden“, so Kilinc. Das werde sich als schwierig erweisen. Noch sei nicht geklärt, ob es bis dahin zum Beispiel ein eigenes Triebwerk für den Kaan geben oder ein ausländisches Unternehmen dies liefern werde.
Auch andere Fachleute sind skeptisch, ob es sich beim Kaan um eine Wunderwaffe der 5. Generation handelt. Wegen des Cockpit-Designs könne vermutlich die gewünschte Halb-Tarnfähigkeit des Kaan nicht erreicht werden, schreibt Remzi Barlas, der zuvor für den staatlichen Luftfahrtkonzern TAI (Turkish Aerospace Industries) Chefingenieur für Drohnen war, in einem Beitrag auf Linkedin. Das ist auch das Unternehmen, dass den Auftrag für den Kaan erhalten hat.
Barlas wurde aus dem Staatskonzern entlassen und musste später für zwei Monate ins Gefängnis. Ihm wurde „Spionage“ vorgeworfen. Der Ingenieur hatte sich unbeliebt gemacht, weil er der Regierung vorwarf, beim Bau von Militärdrohnen den Konzern „Baykar“ zu bevorzugen. Das Unternehmen gehört übrigens zu der Familie von Erdogans Schwiegersohn Selcuk Bayraktar, das auch den berühmten „Bayraktar-TB2“ baut.
Türkische Technik für Kaan nicht ausgereift
„Es ist unklar, wann das AESA-Radar (Active Electronic Scanning Array) von ASELSAN, das das Rückgrat der Hauptschlagskapazität des Flugzeugs darstellt, seine volle Leistungsfähigkeit erreichen wird. Zwei F-110-Triebwerke, die auch in F-16-Flugzeugen verwendet werden, wurden vorübergehend in Kaan/MMU eingesetzt, doch ist es nicht möglich, mit diesen Triebwerken die ursprünglich für das Flugzeug angestrebte Reichweite und Tragfähigkeit zu erreichen“, so Barlas.
Es scheine derzeit unmöglich zu sein, ein Triebwerk mit der bei der Konstruktion des Flugzeugs vorgesehenen Leistung zu beschaffen. „Selbst wenn ein Triebwerk für dieses Flugzeug gefunden wird, wird die erste Einsatzfähigkeit bestenfalls in zehn Jahren erreicht sein“, sagt Barlas. „In Anbetracht der Tatsache, dass die einheimische Triebwerksentwicklung bei TEI (TUSAS Engine Industries Inc.) noch viele Jahre andauern wird, liegt der wahrscheinlichere Zeitraum bei etwa 15 Jahren.“
Rüstungsindustrie als Werbeplattform für Erdogan
Der Kaan wird vor den anstehenden Kommunalwahlen am 31. März vorgestellt. Umso mehr wird in der Vorführung des Kaan politisches Kalkül vermutet. „Die Rüstungsindustrie war Erdoğans wichtigste Propagandaplattform bei den letzten Wahlen. Der Erstflug des Kaan-Flugzeugs wurde mehrmals verschoben. Der Grund für diese Verschiebungen war, dass der Erstflug noch vor den Wahlen stattfinden sollte. Obwohl der Flug technisch problematisch ist, ist er für die Propaganda wichtig“, erzählt der im deutschen Exil lebende türkische Investigativjournalist Cevheri Güven. Und Erdogan hat sich einiges vorgenommen. Am 1. April soll die Metropole Istanbul und die Hauptstadt Ankara wieder in der Hand seiner AKP sein. (erpe)