Klamme Pflegekassen: Bundesfond rettet vor Zahlungsunfähigkeit – beginnt ein Dominoeffekt?
Zum ersten Mal seit Einführung der Pflegeversicherung musste eine Pflegekasse durch staatliche Finanzhilfen vor der Zahlungsunfähigkeit bewahrt werden. Der Beginn eines Dominoeffekts?
Kassel/Berlin - Die gesetzliche Pflegeversicherung in Deutschland galt lange als finanziell stabil – doch gerät das System zunehmend unter Druck: Erstmals seit ihrer Einführung (1995) muss eine Pflegekasse staatliche Hilfe beantragen, um nicht zahlungsunfähig zu werden. Experten warnen, dies könnte erst der Anfang sein.
Betroffen ist die Pflegekasse der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) mit Sitz in Kassel. Die Körperschaft aus Hessen erhielt eine Liquiditätshilfe aus dem Ausgleichsfonds der Sozialen Pflegeversicherung (SPV), um die Pleite abzuwenden.
Pflegekasse von Pleite bedroht – Hilfsgelder durch staatlichen Ausgleichsfond
„Mit dieser Finanzhilfe werden die schwankenden Ausgaben am Monatsanfang abgedeckt“, bestätigte ein Sprecher der Kasse gegenüber der Bild. Demnach war die Kasse im Februar nicht mehr in der Lage, ihre laufenden Kosten vollständig aus eigenen Mitteln zu decken.
Die betroffene SVLFG aus Kassel betreut rund 500.000 Versicherte. Die finanzielle Unterstützung wurde den Angaben zufolge bereits vom Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) gewährt und ist bis Dezember 2025 befristet.

Kosten strapazieren die Pflegekassen – BAS hat die Aufsicht
Das BAS, das die Rechtsaufsicht über die Träger der Sozialversicherung hat, verwaltet den Ausgleichsfonds der sozialen Pflegeversicherung. Dieser dient unter anderem dazu, finanzielle Schwankungen zwischen den Pflegekassen auszugleichen.
Präsident Frank Plate hatte bereits in der vergangenen Woche gegenüber der Wirtschaftswoche erklärt, dass eine Pflegekasse wegen drohender Zahlungsunfähigkeit Finanzhilfen erhalten habe – allerdings wurde zu diesem Zeitpunkt noch kein Namen der von der Pleite betroffenen Pflegekasse genannt.
Plate deutete zudem an, dass die finanziellen Löcher der Pflegeversicherung sich weiter verschärfen könnte: Es sei möglich und „bei einer weiteren Verschärfung der Finanzsituation wahrscheinlich“, dass noch weitere Anträge gestellt werden.
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Alarmzeichen für Pflegesystem: „Finanzlage seit Jahren defizitär“
Die finanzielle Rettungsaktion für die landwirtschaftliche Pflegekasse hat besorgniserregenden Charakter. Jens Martin Hoyer, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der AOK-Bundesverbände, sieht die staatliche Finanzspritze als Alarmsignal für das deutsche Pflegesystem:
Die Finanzlage der Sozialen Pflegeversicherung ist schon seit Jahren defizitär, nicht zuletzt aufgrund des unzureichenden Bundeszuschusses für versicherungsfremde Leistungen.
„Die Finanzlage der Sozialen Pflegeversicherung ist schon seit Jahren defizitär, nicht zuletzt aufgrund des unzureichenden Bundeszuschusses für versicherungsfremde Leistungen. Deshalb ist der Beitrag bereits mehrfach erhöht worden, zuletzt gerade erst zum Jahreswechsel.“
Strapazierte Pflegekassen: AOK-Manager nennt Hintergründe
Hoyer verweist darauf, dass trotz der Beitragserhöhung zum 1. Januar 2025 das BAS die Ausgabendeckungsquote des Ausgleichsfonds von 0,5 auf 0,4 Prozentpunkte gesenkt hat. Das bedeutet, Pflegekassen haben nur mehr 40 Prozent einer Monatsausgabe als Betriebsmittel zur Verfügung. Es gibt somit weniger Rücklagen, um kurzfristige finanzielle Engpässe zu überbrücken.
So warnt der AOK-Vertreter, dass die jüngste Beitragserhöhung der Pflegeversicherung nicht ausreiche, um die Ausgaben zu decken: „Aktuell sind die AOK-Pflegekassen nicht betroffen. Sollte die Ausgabendeckungsquote noch weiter abgesenkt werden, wird aber auch die Finanzlage bei den AOKs enger. Sollten mehrere Pflegekassen einen Finanzhilfe-Antrag stellen, sind Domino-Effekte zu befürchten.“
Pflegeversicherung: Steigende Beiträge sind zu erwarten
Experten gehen davon aus, dass die Finanzierungslücke in der Pflegeversicherung weiter wachsen wird. Hoyer hält eine weitere Beitragserhöhung im Laufe des Jahres 2025 für unausweichlich. Bereits in der Vergangenheit waren die Beiträge mehrfach angehoben worden, um die steigenden Kosten zu bewältigen.
Sollte sich die finanzielle Lage mehrerer Kassen weiter verschlechtern, könnte dies das gesamte System in Schieflage bringen. Drohende Insolvenzen einzelner Pflegekassen könnten den Druck auf die verbleibenden Kassen erhöhen – und zwangsläufig auf den Staatshaushalt, um den derzeit gerungen wird.
Wie es mit der Pflegeversicherung weitergeht, hängt also auch maßgeblich davon ab, ob der Staat mit Reformen gegensteuert oder ob die Versicherten erneut zur Kasse gebeten werden. (PF mit Material von AFP und dpa)